Der Culture Clash zwischen den Einflüssen des Westens und den Traditionen des Ostens prallt in Indien besonders krass aufeinander. „Pardes“, ein Klassiker zu dieser Thematik, den der indische Erfolgsregisseur Subhash Ghai bereits 1997 schuf, kommt nun als DVD auf den deutschen Markt. Mit typisierten Figuren treibt die Geschichte der jungen indischen Heldin, die mit einem emigrierten Inder aus den USA verheiratet werden soll, auf einen dramatischen Höhepunkt zu. Das dreistündige Epos bietet dabei alles, was man von Bollywood erwartet, allerdings von allem etwas zu viel: verklärtes Pathos bis an die Grenze zur Lächerlichkeit, fast nur aus Albernheiten bestehende Komik und Gesellschaftskritik ohne viele Zwischentöne. Man muss Bollywood schon sehr lieben, um sich als westlicher Zuschauer mit all dem anfreunden zu können.
Der vor Jahrzehnten in die USA ausgewanderte Geschäftsmann Kulwanti (Himani Shivpuri) hat es in der neuen Welt zu Ansehen und Reichtum gebracht, doch darüber nie seine indischen Wurzeln vergessen. Um die auch seinem vollkommen westlich sozialisierten Sohn Rajiv (Apoorva Agnihotri) näher zu bringen und die guten indischen Traditionen in der Familie zu wahren, fliegt er nach Indien, um eine vorbildhafte indische Frau für den Sprössling zu suchen. Fündig wird er bei einem alten Freund in der indischen Provinz und dessen Tochter Ganga (Mahima Chaudhry). Als verständigen Mittler zwischen den beiden Prototypen ihrer jeweiligen Kultur fungiert Kulwantis Ziehsohn Arjun (Shah Rukh Khan). Der ist im Gegensatz zu Rajiv ganz hin und weg von der unschuldigen Schönheit, doch gehorcht er seinen Pflichten. Das macht er so gut, dass die beiden sich umgehend verloben und nach einer Probezeit in den USA heiraten wollen. Doch zurück in der westlichen Heimat kann Rajiv seine schlechten Seiten als rauchender und trinkender Partyheld mit Machoallüren nicht mehr vor Ganga verbergen und die Unglückliche sucht freundschaftlichen Trost bei Arjun. Der steht damit vor der schweren Entscheidung, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen und sich damit gegen die Familie zu stellen, die ihm in den USA quasi Asyl gegeben hat, oder seine Angebetete ins offene Messer laufen zu lassen….
Ghai exerziert die Probleme, die sich für fast alle jungen Inder durch die rasante Modernisierung des Landes ergeben, an einem extremen Beispiel durch. Der Jetset-Mann aus Amerika trifft auf die Unschuld vom Lande. Sehr früh wird deutlich, welche Partei dabei besser wegkommt. Der leitmotivisch wiederholte Song „I love my India“ stellt unüberhörbar heraus, welche einmaligen Qualitäten das Riesenland dem westlichen Lebensstil voraushat. Im Einzelnen wird das an der Entwicklung der Liebesgeschichte dann „bewiesen“. Man mag der Konsumgesellschaft gegenüber durchaus kritisch eingestellt sein, die Schwarz-Weiß-Malerei von „Pardes“ macht es sich jedoch etwas zu einfach und führt dazu, dass sich die drei Stunden Lauflänge des Films trotz aller Farbenpracht und Musical-Einlagen ziemlich ziehen. Ursache dafür ist weniger die Tatsache, dass von vorneherein klar ist, wie die Sache ausgeht, sondern vielmehr eine Dramaturgie, die sich nicht aus der Geschichte selbst heraus entwickelt, sondern wie am Reißbrett abgesteckt, verschiedene Themen abhandeln zu müssen scheint.
Die Handlung wirkt an vielen Stellen so zusammengeschustert, dass jedes Laster des Westens wenigstens einmal den Tugenden des traditionellen Indien gegenübergestellt werden kann. Einer der wenigen Kritikpunkte am indischen Lebensstil wird erst sehr spät aufgeworfen, um die ausweglose Situation doch noch zu einem guten Ende zu führen. Ausgerechnet die Großmutter ist es, die das althergebrachte Patriarchat und die absolute Unterordnung der Frau in Frage stellt. Der Betroffenen, also Ganga selbst diesen Part zuzuschreiben, wäre offensichtlich schon ein Schritt zu viel gewesen. Dass die Frau aus Perspektive des Regisseurs auch im freien Westen wohl daran tut, sich dem Mann unterzuordnen, macht eine Szene deutlich, in der Gangas Ausbruchsversuch aus den Klauen ihres raubeinigen Gatten in Spe sehr schnell durch ein paar aufdringliche Penner gestoppt wird und sie sich dankbar in die rettenden Arme Arjuns zurückflüchtet.
Um den Unterhaltungswert zu erreichen, den dieses Genre in jedem Fall zu erfüllen hat, greift Ghai meist auf Albernheiten zurück, die vor allem die weiblichen Figuren ziemlich dumm aussehen lassen. Aufgeregtes Gegacker bei der Ankunft wichtiger Personen und stumpfsinniges Beharren auf Anstand sowie völlige Unkenntnis dessen, was in der Welt vor sich geht, zeichnet einen großen Teil der indischen Damenwelt aus. Diejenigen, die in der westlichen Welt funktionieren, sind wie Schwiegermutter Neeta zu kalt berechnenden Geistern mit maskenhaftem Gesicht verkommen. Typisierter als in vielen anderen Bollywood-Perlen agieren die Darsteller insgesamt. Feine Regungen in der Mimik und kleine bedeutsame Gesten sind nicht unbedingt die Stärken des Genres, hier jedoch verzichtet man offensichtlich freiwillig darauf, die Charaktere durch Zwischentöne zu differenzieren. Die Guten lächeln und leiden, die Bösen huren und hauen. Letzteres im Übrigen ungewöhnlich häufig und vor allem begleitet von einer unerwarteten Tonregie. Ausgiebig werden Fäuste geschwungen und landen laut krachend auf dem Gegner. Da ist wohl glatt ein anregender Funke aus dem Kino des übrigen asiatischen Raumes herübergeflogen, der immerhin für Bewegung sorgt und das Image des allseits friedfertigen Inders leidlich unterhaltsam gegen den Strich bürstet.
Im Gegensatz zu vielen anderen Bollywood-Produktionen wurde hier offensichtlich nicht allzu viel Wert auf mitreißende Choreographien in prächtigen Gewändern gelegt. An deren Stelle stehen kitschige Inszenierungen des indischen Superhelden Shah Rukh Khan, dem Meister des tränenreichen Blicks, und seiner Partnerin Mahima Chaudhry im Vordergrund. Mit sehnsuchtsvoller Mine lässt sie ihr langes Haar im Ventilatorwind wehen, umflattert von ihrem Schal und maßlos weich gezeichnet. Da Shah Rukh Khan auch als Sangeskünstler sein Geld verdient, kann ihm diese Gelegenheit zur Werbung und Imagepflege nur recht sein. Die heitere Leichtigkeit, die in den meisten indischen Liebesfilmen trotz aller Dramatik mitschwingt, fehlt hier weitgehend. Vielmehr legt sich der Anlass, dem dieser Film gewidmet ist, nämlich die 50-jährige Unabhängigkeit Indiens, mit missionarischem Eifer über das Geschehen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist die äußerst bescheidene und in Abhängigkeiten verharrende Rolle der Ganga traurig, vor allem wenn man bedenkt, dass Ganga den als Indiens Lebensader bedeutsamen Fluss Ganges bezeichnet und damit letztlich auch für Indien als Ganzes steht. Außer dem hilflosen Beharren auf den Traditionen werden dieser Frau mit dem symbolischen Namen kaum Handlungsspielräume eröffnet. So gerät das ambitionierte Unterfangen zu einer vorhersehbaren, verharmlosenden und damit kurzsichtigen Lobhymne auf das traditionelle Indien und lässt am Ende wenig Raum für versöhnliche Akzente zwischen den beiden Kulturräumen des Ostens und des Westens.