Ende der Neunziger Jahre lag das einst so große Hongkong-Action-Kino am Boden. Starregisseure wie John Woo und Konsorten waren nach Amerika abgewandert, um dort in meist schwachen Auftragsarbeiten ihren eigenen Stil zu kopieren. Meisterwerke wie A Better Tomorrow oder The Killer waren Vergangenheit, neue waren nicht absehbar. Schließlich kamen sogar aus Thailand bessere Heroic-Bloodshed-Filme, als aus Hongkong (beispielsweise „Bangkok Dangerous“). Erst als im neuen Jahrtausend mit Andrew Lau und Alan Maks genialem Actionthrillerdrama Infernal Affairs wieder ein richtiger Paukenschlag aus Hongkong kam, brachte dies dem einheimischen Kino – teilweise schon für tot erklärt – neues Selbstbewusstsein ein. Nun gibt es den Actionthriller aus Hongkong wieder und es schaffen immer neue, mit reichlich Vorschusslorbeeren ausgestattete Vertreter, den Sprung nach Deutschland. Tung-Shing Yees „One Nite In Mongkok - Nacht der Entscheidung“ ist einer von diesen. Angepriesen als neuer Infernal Affairs, doch von dessen Klasse ein ganzes Stück entfernt.
Mongkok ist der bevölkerungsreichste Stadtteil der Welt. Es ist die Schattenseite von Hongkong. Der Ort, an dem die Festlandchinesen stranden, die von einer besseren Zukunft in der glamourösen ehemaligen britischen Kronkolonie träumen. Ein Unfall in der Vorweihnachtszeit und zwei tote junge Männer setzen in diesem Stadtteil eine Welle von Ereignissen in Gang. Der Unfall ist die Folge einer Streiterei von jugendlichen Gangstern rivalisierender Banden – einer der Toten der Sohn eines Gangsterbosses. Um den Tod des Sohnes zu sühnen, wird der zwielichtige, nur nach dem eigenen Vorteil trachtende Liu (Lam Suet) beauftragt, einen Killer zu beschaffen.
So kommt der junge, unerfahrene Festlandchinese Lai Fu (Daniel Wu) in die Metropole. Doch schon von Beginn an steht sein Mordauftrag unter keinem guten Stern. Die Polizei bekommt Wind von der Sache, nimmt Liu in die Mangel und ist schnell auf Lai Fus Spur. Der hat inzwischen die Prostituierte Dan (Cecilia Cheung) vor einem brutalen Freier gerettet und ist nun gemeinsam mit ihr auf ungewohntem Terrain auf der Flucht. Bald hat er nicht nur die Polizei, sondern auch Gangster im Nacken. In der Weihnachtsnacht kommt es zur großen Entscheidung...
„One Nite In Mongkok“ unterscheidet sich in einigen Punkt sehr von den typischen Genrevertretern. Der Film problematisiert mehrmals die moralische Verwerflichkeit des Tötens. Lai Fu hat, wie sich schnell herausstellt, noch nie getötet und kommt nun als Auftragskiller daher. Natürlich keimen da recht bald Zweifel ob des Jobs auf. Noch deutlicher wird dies allerdings auf Seiten der Polizei. Ein junger Polizist rühmt sich, schon zwei Gangster mit Kugeln zur Strecke gebracht zu haben, um dann von einem erfahrenen Kollegen gesagt zu bekommen, dass die zwei verfeuerten Kugeln vielleicht jetzt erst einmal genug wären.
Diese Punkte sind aber eher selten. „One Nite In Mongkog“ ist über weite Strecken typisches Genrekino mit bekannten Versatzteilen. Der Killer und die Prostituierte ist ein nicht nur im Hongkong-Kino des Öfteren benutztes Motiv, dem Regisseur und Drehbuchautor Derek Yee genauso wenig Neues abgewinnen kann, wie der Ermittlungsarbeit der Polizei. Hier wird gewohnte Kost abgeliefert, größtenteils spannend erzählt – und das ist immerhin auch schon etwas.
Den Vergleich mit Infernal Affairs kann man damit aber nicht gewinnen. Die deutliche Niederlage von „One Nite In Mongkok“ in einer solchen Gegenüberstellung hat aber noch einen weiteren Grund: Die Macher von Infernal Affairs haben es glänzend verstanden, die verschiedenen Handlungsebenen miteinander in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite ein Gangster, der sich bei der Polizei eingeschlichen hat, auf der anderen Seite ein Cop, der Undercover bei den Gangstern arbeitet und dazu noch die zwei Bosse der Beiden. Insgesamt vier Perspektiven zwischen denen der Film wechselt, dazu kommt noch das beleuchtete Privatleben der beiden Hauptprotagonisten, welches in Infernal Affairs ebenfalls thematisiert wurde und trotzdem hatte man nie den Eindruck, man sieht Stückwerk. Leider ist dies bei Derek Yees Werk nicht so. Auch er wechselt fleißig die Perspektiven, zeigt mal den Irrweg der beiden „Landkinder“ Lai Fu und Dan in der Großstadt, die Ermittlungsarbeit der Polizei und auch das Treiben der Gangster. Doch was Infernal Affairs erst so groß gemacht hat, hätte er lieber sein lassen sollen. Derek Yee gelingt es nicht, die verschiedenen Sichtweisen miteinander in Einklang zu bringen. Zu oft wirkt der Perspektivwechsel willkürlich und sorgt für einen kurzzeitigen Spannungsbruch. Yee hätte sich hier wohl deutlich stärker auf die „Der Killer und das Mädchen“-Geschichte konzentrieren sollen.
Trotzdem beweist Derek Yee („Inner Senses“), dass er sein Handwerk versteht. Ihm gelingt eine gute Charakterisierung der meisten Figuren bis in die Nebenrolle hinein und er versteht es, den titelgebenden Stadtteil Mongkok gelungen in die Handlung einzubauen. Prunkstück seines Film ist aber die Optik. Diese ist ein kleiner Augenschmaus. Die hervorragende Kameraführung von Keung Kwok-Man („Black Mask“, „Seven Swords“) kann nicht genug gelobt werden.
Seine Schauspieler führt Yee sehr gut durch den Film. Ex-Topmodell Daniel Wu („Naked Weapon“, „New Police Story“) beweist einmal mehr, dass aus ihm ein ernstzunehmender Schauspieler geworden ist. Cecilia Cheung (Shaolin Kickers) spielt in ihrer eher undankbaren Rolle gewohnt überzeugend und der bisher eher wenig aufgefallene Alex Fong avanciert in seiner Rolle als Cop fast zum heimlichen Star des Films. Nur Lam Suets (Kung Fu Hustle) hinterlässt einen weniger überzeugenden Eindruck.
Derek Yee liefert mit „One Nite In Mongkok“ einen ansehnlichen und spannenden Film ab, der Action-, Thriller- und Dramaelemente über weite Strecken sehr gut vermengt und vor allem im blutigen Finale noch einmal kräftig zulegt. Auch wenn der Film hinter seinen Vorbildern zurückbleibt und der bekannten und vorhersehbaren Story nichts Neues abgewinnen kann, ist er doch einen Blick wert. Fans des asiatischen Thrillers werden mit „One Nite In Mongkok“ keine Offenbarung erleben, können aber mit einem spannenden Filmabend rechnen. Nur die – wie bei asiatischen Filmen leider so oft – misslungene und überzogene Synchronisation, dürfte den Filmgenuss trüben. Der Zuschaue wird förmlich genötigt, auf die Originaltonspur zu wechseln und sich den Film mit deutschen Untertiteln anzuschauen.