South Central Los Angeles wurde im vergangenen Jahrhundert zum amerikanischen Synonym für hohe Kriminalitätsraten und soziale Brennpunkte. Nachdem in den Sechzigern die rassenbedingten Watts-Aufstände beendet wurden, verließen die Weißen und mittelständischen Farbigen fluchtartig das Stadtviertel. Die verbliebene Bevölkerung South Centrals bestand zum deutlich überwiegenden Teil plötzlich aus arbeitslosen oder niedrig entlohnten Schwarzen. Die Lebensqualität stürzte ins Bodenlose, so dass insbesondere die verfeindeten Gangs der Crips und Bloods mit ihren Morden und Drogengeschäften das Bild prägten, das Außenstehende von dem Viertel wahrnahmen. Im Kino eignete sich dieses verrohte South Central L.A. daher bestens für Gangsterfilme („Colors – Farben der Gewalt“). Erst der junge Regisseur John Singleton setzte sich für seine Heimat ein und schuf einen authentischen Einblick in das schwierige Leben in einem Großstadtghetto. „Boyz N The Hood“ erweist sich dabei als ein Drama über das Aufwachsen in einer aussichtslosen Situation, das rückblickend zu den bedeutendsten und besten Werken der Neunziger zu zählen ist.
Um Tre (Cuba Gooding Jr., Jerry Maguire, Besser geht’s nicht) zu einem anständigen und rechtschaffenden Mann zu erziehen, setzt seine überforderte Mutter ihren Sohn bei seinem Vater Furious (Laurence „Morpheus“ Fishburne, Matrix, Das Ende) in South Central L.A. ab. Hier freundet sich der hochbegabte Tre mit den Brüdern Ricky (Morris Chestnut, Daddy ohne Plan, Anacondas) und Doughboy (Ice Cube, Sind wir schon da?, xXx 2 - The Next Level) an, die im Nachbarhaus aufwachsen. Während Football-Talent Ricky und Super-Schüler Tre dem sozialen Moloch durch ein Studium entkommen wollen, steckt der kleinkriminelle Doughboy stets mit einem Bein im Knast…
Rule number 1: Get yourself a gun.
Rule number 2: Don’t trust nobody.
Rule number 3: Don’t get caught up.
(Ice Cube – „How to survive in South Central”)
Obgleich die Rassentrennung in den Vereinigten Staaten bereits 1964 für beendet erklärt wurde, verschlossen die Politiker ihre Augen vor den sozialen Problemen in den Großstadtghettos. In den Achtzigern schwappten jedoch vermehrt schwarze Künstler ins mediale Interesse, die auf diese Missstände aufmerksam machten. Spike Lee begann mit den Arbeiten an seinen – filmischen – Joints und erzählte in dem viel beachteten „Do The Right Thing“ mit spitzer Zunge von den Rassenunruhen in einem New Yorker Stadtviertel. Die Rap-Combo Public Enemy war politisch engagiert, prangerte an und wollte das schwarze Selbstbewusstsein stärken. Im Hinblick auf das drastische Ghettoleben gingen N.W.A. (= Niggas With Attitude) allerdings noch einen Schritt weiter und prägten mit ihrem kontrovers diskutierten Hit-Album „Straight Outta Compton“ den späteren Gangsterrap. Hedonistisch berichteten sie von der korrupten Polizei und dem Leben als Gangster und Frauenheld.
Diese parallel verlaufenden Entwicklungen im Film- und Musikbusiness waren letztlich erforderlich, um einen Film wie „Boyz N The Hood“ überhaupt möglich zu machen. Ein Major-Studio wie Columbia Pictures war auf einmal bereit, in einen augenscheinlichen Nischenfilm sechs Millionen Dollar zu investieren und dem unbekannten Regiedebütanten John Singleton bei der Inszenierung verhältnisgemäß freie Hand zu lassen. Diese optimistische Herangehensweise des Filmstudios sollte sich schließlich auszahlen. Bereits am Startwochenende spielte „Boyz N The Hood“ fast das Doppelte seiner Produktionskosten ein. Dieser Erfolg trat eine Welle von Epigonen (etwa „Dangerous Minds“ und die „Friday“-Reihe) los, die versuchten, das Leben in den heruntergekommenen Stadtvierteln auf ihre eigene Art und Weise zu porträtieren. Nicht selten drifteten die Filme jedoch in Klischees oder exzessive Gewaltorgien ab und neigten wie etwa „Menace II Society“ dazu, die Ghettogangster zu heroisieren.
Der in South Central L.A. aufgewachsene John Singleton bemühte sich in seinem Mikrokosmos hingegen um Authentizität. Er wollte nicht die Gewalt stilisieren, sondern vielmehr den Strudel aus Gegengewalt illustrieren und zeigen, wie leicht man von diesem verschlungen werden kann. Um den Realismus hochzuhalten, engagierte der junge Filmemacher Gangmitglieder, die hinsichtlich der Kleidung, Sprache und Ausstattung beratend zur Seite standen. Ebenso ließ der Regisseur und Drehbuchautor eigene Erfahrungen wie die zentrale Vater-Sohn-Beziehung oder einen farbigen Polizisten, der sich aufgrund seiner Uniform als etwas Besseres ansieht, in die Handlung einfließen.
Wirklich von der Masse hebt sich „Boyz N The Hood“ jedoch vor allem durch sein grandioses Drehbuch ab. Bereits der kurze Einblick in das Kinderleben der Protagonisten offenbart die erzählerische Stärke des Films. Mit deutlichen Anleihen an „Stand By Me“ machen sich die Freunde auf den Weg, um die Leiche eines ermordeten Jugendlichen zu besichtigen. Obgleich sie ständig Polizeisirenen und Schüsse hören, scheinen sie zu diesem Zeitpunkt noch unbefleckt vom Ghettoalltag zu sein. Sie leben die gewöhnlichen Kinderträume und raufen sich harmlos miteinander. Einzig die derbe Umgangssprache ist ein kleines Indiz für das soziale Umfeld. Insgesamt wird das Freundschaftsverhältnis aber äußerst unaufgeregt dargestellt – als würden die Kinder in einer gewöhnlichen Kleinstadt aufwachsen.
Nach dieser Einleitung macht die Handlung einen Sprung und setzt sieben Jahre später wieder ein. Singleton stellt im Folgenden lediglich einen Ausschnitt aus dem Ghettoalltag der Protagonisten dar und zeigt bereits bei der Individualisierung der Figuren, dass ein möglichst breiter Querschnitt durch die Personenschichten erfolgen soll. Doughboy hängt ständig mit seiner Clique auf der Veranda herum, für alle Fälle steckt eine Pistole stets im Hosenbund. Einer seiner Freunde wurde deutlich von den Gewalttaten gezeichnet und sitzt seit einer Schießerei im Rollstuhl. Ricky repräsentiert dagegen die Ghettobewohner, die bereits in frühester Jugend Eltern werden. Tre ist schließlich der Besonnene, der nach der Schule einem regulären Nebenjob nachgeht und mit Vehemenz versucht, dem Ghetto zu entkommen. Obgleich die drei Hauptfiguren somit die – mittlerweile üblichen – Klischees verkörpern, sind sie keine simplen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, sondern weisen eine vielschichtige Charakterisierung auf.
Insbesondere an Tre, der eigentlichen Hauptfigur des Films, werden diese Graustufen sehr deutlich. Nach außen hin vertritt der Jugendliche einerseits die von seinem Vater gelehrten Werte, andererseits ist er trotz seiner ehrgeizigen Ziele kein klassischer Streber, sondern steht auch weiterhin mit Doughboy und dessen kleinkriminellen Freunden auf gutem Fuße. Zwei einschneidende Ereignisse im Verlauf der Filmhandlung untermauern schließlich die großartige Vorstellung des späteren Oscar-Preisträgers Cuba Gooding Jr. und die glaubhafte Entwicklung der Figur. Nachdem einige Halbstarke bei einem abendlichen Straßentreffen von Jugendlichen nach einer verbalen Auseinandersetzung mit Ricky wahllos in die Luft schießen, flieht Tre zu seiner Freundin Brandi (Nia Long, Sind wir schon da?, Big Mamas Haus 2) und bricht emotional zusammen. Später muss er sich zudem dem Strudel aus Gewalt und Rache stellen – entweder den niederen Hassgefühlen freien Lauf lassen oder aber den Worten seines Vaters folgen. Unabhängig davon, wie er sich entscheidet, werden diese wenigen Tage im Sommer 1991 sein Leben für immer verändern. Immer vorausgesetzt, dass er den nächsten Tag überhaupt überlebt.
Seine Intensität verdankt „Boyz N The Hood“ schließlich auch dem Soundtrack, der von Rappern der damaligen Szenespeerspitze geprägt ist, und den weiteren Akteuren, aus denen John Singleton vollends überzeugende Vorstellungen herauskitzelt. Hervorhebenswert ist hierbei vor allem Ice Cube, der als schnodderiger Doughboy („Who you callin’ a ho’? I ain’t no ho’!“, „Oops, I’m sorry, bitch!“) einfach vorzüglich ist und dabei trotz aller Hitzköpfigkeit nicht das klassische Bild des Ghettogangsters bedient („Ain't nothing else to do in the motherfucking pen. (…) I was reading and writing my girl.“).
It ain't nothin like the shit you saw on TV.
Palm trees and blonde bitches?
So I'd advise to you to pack your shit and get the fuck on!
(Ice Cube – „How to survive in South Central”)
Mit 24 Jahren war John Singleton der jüngste Regisseur, der jemals für einen Oscar nominiert wurde. „Boyz N The Hood“ ebnete ihm den Weg nach Hollywood und begründete nebenbei ein neues Genre, das vor allem in den Neunzigern die schwarze Filmlandschaft prägte: der Ghettofilm, der das Leben in den von Farbigen bewohnten Stadtteilen charakterisiert. Ein Versuch, der bei „Boyz N The Hood“ hervorragend funktioniert. Stringent inszeniert Singleton einen Strudel der Gewalt, aus dem man nicht entfliehen kann. Mit seiner unaufgeregten Art versteht es der Regiedebütant, mit der Kamera kleine, intime Momente einzufangen, die den Alltag in South Central ausgezeichnet widerspiegeln. So erweist sich „Boyz N The Hood“ abschließend als ein intensives Zeitdokument, das auch in der Gegenwart noch nichts an Brisanz und Aktualität verloren hat.