Die Erfolgsgeschichte von „Akira“ gestaltet sich lang. Als im Dezember des Jahres 1982 in Japan die erste Ausgabe des Mangas von Katsuhiro Otomo (Mushishi, „Steamboy“) erschien, verbanden die Menschen im westlichen Teil der Welt japanische Comics noch größtenteils mit belanglosen Kinderserien à la „Heidi“ und „Die Biene Maja“ (wobei bis heute die wenigsten wissen, dass diese Serien größtenteils in Nippon produziert wurden). Nachdem dann im Juli 1988 die filmische Adaption der Serie in die japanischen Kinos kam und einen Zuschauerrekord nach dem nächsten brach, wurde er ein Jahr später auch in den USA in ausgewählten Städten gezeigt. Von da an konnte ihn nichts mehr auf seinem Weg zum Kultfilm aufhalten, nicht einmal Steven Spielberg (Der Soldat James Ryan) und George Lucas („Star Wars“), die ihn Anfang der Neunziger noch als „für den US-Markt unverkäuflich“ bezeichneten. Doch die Nachwirkungen von Otomos Meisterwerk sind bis heute zu spüren…
1988 wird Tokio von einer gewaltigen Explosion komplett zerstört. Dieses Ereignis markiert den Beginn des Dritten Weltkriegs. 31 Jahre später lebt die Stadt unter dem Namen Neo-Tokio wieder auf und Japan findet sich in einer Zeit wieder, die von Bürgerunruhen und Studentenaufständen gegen die Obrigkeit gekennzeichnet ist. Die Motorradgang um Shôtarô Kaneda (Mitsuo Iwata, „Golden Boy“) zieht durch die Straßen der Megalopolis, immer auf Ärger mit verfeindeten Banden aus. Als sie eines Nachts von der Polizei verfolgt werden, treffen sie auf einen mysteriösen Jungen mit übernatürlichen Kräften, der von einer Armeeeinheit unter der Leitung von Colonel Shikishima (Tarô Ishida) gefangen genommen und in einem Hubschrauber weggeflogen wird. Doch schon bald scheint es das Militär auch auf Tetsuo Shima (Nozomu Sasaki), Kanedas besten Freund, abgesehen zu haben, der nach dieser nächtlichen Begegnung nicht mehr der alte zu sein scheint und mit zunehmender Aggression zu kämpfen hat. Die Situation wird zusehends komplizierter, als Kaneda die junge Untergrundkämpferin Kei (Mami Koyama) kennenlernt, die mit einer Gruppe Revolutionäre ein geheimes Militärprojekt sabotieren will, um die Auferstehung von „Akira“ zu verhindern.
Den eigentlichen Kern von „Akira“ zu erfassen, ist nahezu unmöglich. Selbst Otoma, der sein Werk immer als unvollendet angesehen hat und sich selbst davor scheut, einen Hauptcharakter zu benennen, verschließt sich solch einem Versuch. Viele Hinweise zur persönlichen Interpretation finden sich schon in der Welt von „Akira“ wieder, dem Japan des 21. Jahrhunderts. Hochtechnisiert und mit gigantischen, leuchtenden Häuserfassaden zeigt sich Neo-Tokio von seiner beeindruckenden Seite. Doch unter der glänzenden Oberfläche hat die Stadt mit Kriminalität und Bürgerunruhen zu kämpfen. Die Menschen lehnen sich gegen die Oberen und das repressive Regierungssystem auf, Krawalle werden blutig niedergeschlagen, es droht ein Militärputsch. Doch das ist nur die eine, die politische Seite des Films. Die andere ist eher spiritueller Natur. Da geht es um seltsame PSI-Fähigkeiten von Menschen, die zu militärischen Experimenten verkommen sind und um universelle Machtkämpfe zwischen Gut und Böse, um Schöpfung und Zerstörung. Alles zusammen verschmilzt dann zu einer beeindruckenden Dystopie.
Die Lebendigkeit dieser Welt in Bildern einzufangen, war eine enorme Herausforderung für das Produktionsteam. Ständig kreierten zwischen 60 und 70 Zeichner gleichzeitig aus 327 verschiedenen Farben über 160.000 Einzelbilder, die am Ende in eine Seherfahrung mündeten, die Zuschauer in Ost und West so noch nicht gesehen hatten. Das Beeindruckende an dem Film ist dabei die Detailgenauigkeit, auf die der Regisseur so großen Wert gelegt hat. Überall ist Bewegung, überall kann man Kleinigkeiten entdecken, die die Atmosphäre so unglaublich verdichten, sie so real erscheinen lassen. Dieser ganz eigene Stil Otomos ist bis heute erhalten geblieben und fasziniert wie eh und je.
Dabei kann der Film natürlich der Komplexität des rund 2000 Seiten umfassenden Originalepos nicht das Wasser reichen und viele Charaktere und der ausufernde Plot mussten für die Leinwand zurechtgestutzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt von „Akira“, wie von vielen anderen Animes bis heute, ist der historische Bezug auf die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki während des Zweiten Weltkriegs. In vielen Werken aus Japan spielt dieses Ereignis, das sich unauslöschlich ins kollektive Bewusstsein eingebrannt hat, eine entscheidende Rolle. So auch in „Akira“, wo die apokalyptischen Bilder einer großen, alles vernichtenden Explosion gleich mehrfach zu sehen sind. Zerstörung und Tod sind die Folge. Aber es gibt auch, und das könnte man sicher als die Hauptaussage des Films verstehen, immer neue Hoffnung und das Ende der einen ist immer auch der Anfang der anderen Welt, die aus den Trümmern hervorgeht. Diese philosophische, komplexe Ebene von Animationsfilmen war selbst in Japan zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich und ein entscheidender Faktor für den Erfolg des Films.
Komponist Shoji Yamashiro wurde bei der Entwicklung des Soundtracks völlig freie Hand gelassen, sowohl zeitlich als auch finanziell, und niemand, nicht einmal Otomo selbst, hörte das Ergebnis seiner Arbeit vor dessen Fertigstellung. Lediglich einige ausgewählte Szenen dienten ihm dabei als Inspiration. Zusammen mit der Gruppe „Geinoh Yamashirogumi“ entstand so ein unvergleichlicher Mix aus klassischen japanischen Einflüssen und Synthesizer-Sound, der perfekt zum Look des Films passt und viel zur Atmosphäre beiträgt.
Fazit: Mit „Akira“ schuf Katsuhiro Otomo einen Meilenstein in der Geschichte des japanischen Animationsfilms. In gewaltigen Bildern wird hier eine komplexe, philosophische Geschichte erzählt, die viele spätere Werke wie Ghost in the Shell und insbesondere „Neon Genesis Evangelion“ beeinflussen und prägen sollte. Jedenfalls rollte die Animewelle Anfang der 1990er Jahre nun langsam aber unaufhörlich in Richtung Westen und gipfelte 2001 mit Chihiros Reise ins Zauberland in dem am meisten ausgezeichneten Animationsfilm aller Zeiten. Doch das Interesse an „Akira“ reißt nicht ab; in seinem Musikvideo zu „Stronger“ verwendet Kanye West Realszenen, die stark vom Original inspiriert wurden. Eine US-Neuverfilmung von „Akira“ ist übrigens in Planung. Dabei wird es sich allerdings eine Realverfilmung handeln, die frühestens 2009 in die Kinos kommen wird.