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    Wie in der Hölle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Wie in der Hölle
    Von Nicole Kühn

    Drei Frauen, drei Leben. Kaum etwas deutet darauf hin, dass die betrogene Ehefrau, die schwärmerische Studentin und die verschüchterte graue Maus etwas teilen – der Kontakt zwischen den drei Schwestern ist soweit minimiert, dass sie nicht einmal Adressen oder Telefonnummern voneinander haben. Jede versucht auf ihre Weise, mit der Vergangenheit zu leben – und jede verdrängt sie dabei und mit ihr die dazugehörigen Personen. Doch die Vergangenheit kommt zurück. Und mit ihr das Bindeglied, das zum schmerzhaften blinden Fleck im Leben einer jeden von ihnen geworden ist. Vielsagend und opulent beginnt Regisseur Danis Tanovic das Drama „Wie die Hölle", den zweiten Teil der von Krzysztof Kieslowski gemeinsam mit Krzysztof Piesiewicz verfassten Trilogie um Himmel, Hölle und Fegefeuer (Purgatorium). Dramatische klassische Musik untermalt das kaleidoskopisch aufgefächerte Schicksal von Vogelküken, denen ein Kuckucksei ins Nest gelegt wurde. Langsam und unerbittlich drängt der Eindringling die wehrlose Brut aus dem Schutzraum nach draußen, wo sie unweigerlich zugrunde gehen.

    Diese Perspektive übernimmt die Erzählweise für den Blick auf die Familie, die sich im gleichen Universum, bestimmt durch einen großen Schatten der Vergangenheit, bewegt, ohne die Grenzen, die jeder zwischen sich und den anderen gezogen hat, durchbrechen zu können.

    Auf den ersten Blick scheint Sophie (Emanuelle Béart), die älteste von drei Töchtern, beneidenswert: Sie ist betörend schön, verheiratet und hat zwei Kinder. Von innen her zerfrisst sie jedoch der Verdacht, ihr Mann Pierre (Jaques Gamblin) würde sie betrügen. Mit selbstzerstörerischem Willen geht sie der Vermutung nach und zerbricht dennoch an seiner Bestätigung. Ihre Hölle ist die vollkommene Erniedrigung ihrer selbst, die sie zwanghaft bis zum absoluten Tiefpunkt durchschreiten muss, um sich von einem zu dieser erniedrigten Person gehörigen Mann trennen zu können. Ähnlich temperamentvoll, jedoch ungleich fordernder wirft sich die Jüngste, Anne (Marie Gillain), in ihr Leben. So kompromisslos und zugleich abhängig geht sie in ihrer Beziehung zum wesentlich älteren, verheirateten Professor (Jaques Perrin) auf, dass ihr nur die pure wutentbrannte Verzweiflung bleibt, als er sie verlässt. Um ihn zu einem Bekenntnis seiner von ihr unzweifelhaft unterstellten Liebe zu ihr zu zwingen, ist sie sogar dazu bereit, seine Familie und zugleich ihre beste Freundin (Dominique Reymond) aufs Spiel zu setzen. Für sie ist es die Hölle, vom väterlichen Geliebten nicht ebenfalls geliebt zu werden.

    Jegliche Ansprüche an ein gemeinsames Leben mit einer geliebten Person abgelegt hat indes Céline (Karin Viard), die zweite der Schwestern. Mit bis zur Unzugänglichkeit getriebenem Gleichmut legt sie ihre Wege zurück, die sie als einzige der drei Schwestern regelmäßig zur Mutter (undurchschaubar: Carole Bouquet) führen. Deren Unempfindsamkeit für ihre Umgebung setzt Céline fort: Während sie die zaghaften Annäherungsversuche des Zugschaffners (Georges Siatidis), dem sie wöchentlich begegnet, komplett übersieht, vertreibt sie einen vermeintlichen Verehrer (Guillaume Canet) mit harschen Worten. Ihre Sehnsucht nach Nähe drückt sich in unbeholfenen Kuriositäten aus, wenn sie der schweigsamen Mutter aus dem Guiness-Buch der Rekorde vorliest oder pflichtbewusst schon mal die Kleider ablegt, wenn sie den geheimnisvollen Verehrer das erste mal zu sich nach Hause hereinlässt. Dass sie sich mit der Stilisierung zur selbstlosen Güte in Person ihre eigene Hölle geschaffen hat, wird der Frau erst bewusst, als sie dermaßen entblößt vor Sébastien sitzt. Nicht das Begehren nach ihrem Körper ließ ihn ihre Nähe suchen, es war das Bedürfnis, sich genau die Last von der Seele zu reden, die Célines Familie jahrelang mit ihm getragen hat, ohne davon zu wissen. Mit diesem Brechen des Schweigens öffnet der junge Mann die Tür zu nie ausgesprochenen Dingen, und Céline spürt, dass sie diese Tür durchschreiten muss, um sich und ihrer Familie ebenfalls eine zerstörerische Bürde zu nehmen.

    Für die Hölle kein Ort in einem weit ab gelegenen Jenseits, sie ist Teil der Welt, in der wir hier und heute leben. Meist erschaffen wir sie uns und anderen selbst, ob bewusst oder unbewusst. Die Kommunikation wird für ihn dabei zu einem Schlüssel, der Klarheiten schaffen und damit Kräfte freisetzen kann. Umgekehrt ist es ihre Unterdrückung, die Misstrauen entstehen und sich bleischwer auf die Gemüter und zwischen die Menschen legen lässt. Auch die tragische Entwicklung der Protagonisten begann mit dem Verschweigen einer Wahrheit und traf sie mit voller Wucht, als eine klärende Kommunikation abgelehnt wurde.

    Für seinen zweiten Film konnte der mit seiner vortrefflichen Kriegsfarce (No Man´s Land) bekannt gewordene und bereits oscarprämierte Regisseur Tanovic ein herausragendes Darstellerensemble gewinnen, das ihre Figuren mit enormer Präsenz auf der Leinwand versieht. Alle ohne Ausnahme verstehen es, den im realen Frankreich des 21. Jahrhunderts angesiedelten Personen mythologische Züge zu verleihen, ohne sie dabei zu Typen werden zu lassen. Laurent Daillants Kamera schmiegt sich ihren (Irr)Wegen durch das Leben an und begleitet sich durch Räume, denen Szenenbildnerin Aline Boletto symbolträchtige Wirkung verpasst. Ein Übriges tut die eigens komponierte Musik, um das Innenleben der Handelnden sinnlich erfahrbar zu machen. Manch einen mag diese überbordende Bildsprache und die Schwere der Thematik regelrecht erschlagen. Die an Carlos Saura erinnernde, mitreißende Gewaltigkeit der Darstellung ist jedoch durchaus angemessen, lässt man sich auf die Tiefe und Breite des Sujets ein. Tanovic geht es um nichts Geringeres als um die Verfassung des Menschen in der aktuellen Zeit. Es ist nur folgerichtig, wenn er dafür starke Ausdrucksformen findet, die in ihrer Ästhetik Mythen nacheifern. Das ist ihm besser und leichtfüßiger gelungen als Tom Tykwer, der sich mit Heaven am ersten Stück der Kieslowki'schen Trilogie versuchte. Berauschendes Kino, das in Erinnerung bleibt!

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