Im richtigen Leben Top, im Film Flop. Das scheint für Schauspieler-Pärchen zu gelten, bei denen es plötzlich auch auf der Leinwand heiß hergehen soll. Tom Cruise (Minority Report) und Nicole Kidman (Verliebt in eine Hexe) haben in Eyes Wide Shut gezeigt, wie man es nicht macht. Aishwarya Rai („Mohabbatein – Denn meine Liebe ist unsterblich“) und Vivek Oberoi („Kaal – Das Geheimnis des Jungels“), das Zentrum der romantischen Verwicklungen der Bollywood-Romanze „Kyun! Ho Gaya Na“ (dt. Schau! Was jetzt passiert), stehen diesen beiden leider in nichts nach. Abgesehen von der fehlenden Chemie haben Aishwarya Rai und Vivek Oberoi noch etwas mit Kidman und Cruise gemeinsam: Sie sind mittlerweile auch im echten Leben kein Paar mehr. In „Kyun! Ho Gaya Na“ dauert es Genre-typisch so lange, bis es zur Pärchen-Bildung kommt, das für Trennungsszenarien – selbst wenn man sie zeigen wollte – kein Platz mehr bleibt:
Der lausbübische Jungspunt Arjun (Vivek Oberoi) hat nur eins im Kopf: Seinen Spaß. Ob kindische Streiche, Extrem-Sportarten oder ausgelassene Party – Arjun ist kein Preis zu hoch, um seinen Kopf durchzusetzen und seinen Mitmenschen möglichst oft zu beweisen, was für ein verwegener Kerl, geistreicher Spaßmacher und strahlender Gewinner-Typ er ist. Ob er damit die Gefühle seiner Mitmenschen verletzt? Daran denkt er erst, wenn es zu spät ist. Dann heißt es gut Wetter machen. So ein Verhalten muss entsprechend sanktioniert werden: Arjun gesteht Diya (Aishwarya Rai), mit der er sich vor kurzem angefreundet hat, im Spaß, dass er sie liebt. Dann tut er so, als komme dieses Geständnis von seinem besten Freund Vinay (Gaurav Gera). Diya sagt Arjun daraufhin unter Tränen, dass sie ihn tatsächlich liebt. Er begreift, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht hat. Doch wird er auch rechtzeitig erkennen, dass Diya eigentlich seine Traumfrau ist?
Eine Geschichte über Liebe, Familie und Freundschaft – so kann man die meisten Bollywood-Filme zusammenfassen, die im deutschen Fernsehen gezeigt werden. „Kyun! Ho Gaya Na“ ist da keine Ausnahme. Immerhin ist das Bollywood-Musical merklich moderner, als Klassiker wie „In guten wie in schweren Tagen – Sometimes Happy, sometimes Sad“, in denen die Tradition noch im Vordergrund steht. Für Bollywood-Neulinge gilt: Lieber erst einen der Klassiker im Fernsehen anschauen und dann entscheiden, ob die epische Länge, die langsame Erzählweise und die realitätsferne Romantik von Kitschromanen wirklich gefällt. Nach dem Motto „Never change a winning team“, wird auch in „Kyun! Ho Gaya Na“ das übliche Bollywood-Süppchen aufgekocht: Eine große Tasse Tanz, zwei Hände voll Herzschmerz, reichlich flotte Tanzeinlagen und zehn Kilo Kitsch. Wer angesichts dieses Rezepts wehmütige Seufzer ausstößt, der wird auch mit dem Kauf dieser DVD nichts falsch machen. Wunderschöne Bilder, schöne Kostüme und tolle Songs, die von Hip-Hop und Rock beeinflusst sind, zählen zu den Stärken von „Kyun! Ho Gaya Na“. Die Story ist leider dürftig und auch die Schauspieler überzeugen nicht in jeder Szene.
Die Handlung ist bei „Kyun! Ho Gaya Na“ nebensächlich. Immer, wenn sie ins Stocken gerät, flüchtet sich Regisseur Samir Karniks Erstlingswerk in unwichtige Episoden. Mal posieren Oberoi und Rai vor dem Fußballtor, wie in einer schlechten Parodie von Kick It Like Beckham. Dann spielen die Hauptfiguren mit den Kindern aus dem Waisenhaus von Diyas Onkel Raj Chauhan (Amitabh Bachchan, Veer & Zaara, Black) ein Spiel namens „Piratenjagd“. Statt alten Schiffen werden hier kleine Jungs und Mädchen aufgetakelt, so dass es Peter Pan eine helle Freude wäre. Trägt das irgendwas zur Story bei? Leider nein, die meisten Episoden sind völlig belanglos. Wie klebrige Spaghetti wabern die Subplots durcheinander. Und statt sie zu entwirren und dem Chaos irgendeinen Sinn zu gaben, tut Regisseur Karnik das, was auch bei einer Schüssel Spaghetti angebracht erscheint: Schnell aufwickeln und runter schlingen.
Der ultimativen Spektakel-Moment eines jeden Liebesfilms (wann küssen sie sich endlich?) wird immer wieder hinausgezögert: Jedes Mal, wenn uns durch Zeitlupe und Teller-große, sich anstarrende Augen angezeigt wird, dass es jetzt gleich soweit sein könnte, kommt irgendwas dazwischen. Ein Musikvideo, eine Episode mit den Streichen der Kinder, ganz egal. Fast bekommt man das Gefühl, dass Arjun nur mit Diyas Gefühlen spielt, was so gar nicht zur Figur des einfältigen Lausbubs passen will. Das liegt zum Teil an der eher durchschnittlichen schauspielerischen Leistung von Vivek Oberoi: Arjuns Motive bleiben die meiste Zeit völlig im Dunkel. Warum hat er „Worte wie Liebe und Verlieren“ aus seinem Wortschatz gestrichen? Gebetsmühlenhaft wird dieser Satz wiederholt. Bedeutung sucht man vergebens. Stand dazu nichts im Drehbuch? Wir werden es nie erfahren…
Aishwarya Rai liefert als Diya eine solide Leistung ab. Wenn die Kamera einen so bedingungslos liebt, kann man aber auch fast gar nichts falsch machen: Porzellanpuppe-Teint, stets halbgeöffneten Lippen und unverwüstlichem Lipgloss - welcher Mann schmilzt bei diesem Anblick nicht dahin? Regisseur Karnik versteht es glänzend, das visuelle Potential der Miss World 1994 in wunderschönen Bildern einzufangen. Eine nationale Ikone wie Amitabh Bachchan als kinderlieber „Onkel“ ist ohne Zweifel ein großer Pluspunkt für jeden Bollywood-Film. Er zieht seit Mitte der Siebziger die Massen in die Kinos. Egal welche Qualität seine Filme haben. In einer BBC Online Wahl 1999 zum „Superstar des Millenniums“ belegte Amitabh Bachchan sogar vor Marlon Brando und Alec Guiness den ersten Platz. Die Nebencharaktere bleiben abgesehen von Arjuns Eltern (Rati Agnihotri und Om Puri) unterbeleuchtet.
„Kyun! Ho Gaya Na“ begeistert vor allem durch Musik und Tanzeinlagen. Die traditionellen indischen Elemente bleiben erhalten und werden mit Elementen aus Rock und Hip-Hop, sowie moderneren Kostümen aufgepeppt. Besonders „No, No!“ - ein Song, der angeblich spontan während der Dreharbeiten entstand – sticht hier heraus. Mehr Beyoncè als Bollywood bewegen sich die Tänzer hier nahezu lasziv in düsterer Disco-Atmosphäre zu heißen Beats. Die obligatorische Super-Schnulze darf nicht fehlen: „Aao Na“ wird als Thema für die Szenen zwischen Arjun und Diya eingesetzt. Anfangs etwas nervend, schleicht sich der Song fast unbemerkt Stück für Stück ins Ohr, bis man sich beim großen Finale schon fast zurückhalten muss, nicht mit zu summen. Auch „Dheere Dheere“ ist eher schmalzig. Fast wie Robbie Williams damals im Back for Good-Video, dreht sich Vivek Oberoi bei strömendem Regen schwermütig – weil in Zeitlupe.
Dieses Auswalzen von Momenten wird besonders in den Musikvideo-artigen Song-Clips immer wieder lästig, kommt aber auch in der „Handlung“ regelmäßig vor. Große Gesten von Vivek Oberoi erinnern schmerzhaft an Ricky Martin-Videos: Wie er die Hände ringt. Auf die Knie fällt. Da möchte man fast mit zählen: Un, dos, tres! Selbst das Polyester-Hemd und die Gesundheits-Gefährden engen Hosen passen perfekt in dieses Bild. Ein Fest für die Augen sind die Musik-Sequenzen trotzdem: Viele verschiedene Kostüme und Sets, perfektes Licht auf grünen Wiesen und an steilen Klippen - wundervoll anzusehen. Nur der inflationäre Einsatz von Windmaschinen stört den Genuss der optischen Opulenz ein wenig.
Auch außerhalb der Musikvideos kommt der schöne Schein nicht zu kurz: Frauen wie aus Tausend und einer Nacht, schicke Flitzer, prachtvolle Villen – nur die „Reich und Schön“-Fassade Indiens wird hier gezeigt. Peinlich: Eine Musik-Sequenz mit den beiden Hauptdarstellern und einem silbernen New Beetle. Während die Schöne im Auto liegt, spritzt Vivek Oberoi den Wagen mit einem Wasserschlauch ab. Immerhin weniger offensichtlich, als das POLO-Sport Productplacement von „Sometimes Happy, Sometimes Sad“.
Fazit: „Kyun! Ho Gaya Na“ ist eine Ode an die Romantik. Wunderschöne Menschen mit engelsgleichen Stimmen (übrigens: die Schauspieler singen nicht selbst) und gutem Charakter machen die Ups und Downs der Liebe durch und verfangen sich dabei gelegentlich in der episodenhaften Erzählstruktur. Also: Kuss und Schluss? Eher nicht. Zwar wird Bollywood-untypisch in einer Traumsequenz ein Küsschen zwischen Arjun und Diya gezeigt. Doch zum Schluss lässt man es bei einer züchtigen Umarmung bewenden. Warum? Das müsst ihr schon selbst rausfinden...