Meister Splinter, die Riesenratte, ist der Kopf der Bande; April O’Neil und Casey Jones die beiden einzigen menschlichen Freunde. Gemeint sind natürlich – Kinder der Achtziger wissen sofort Bescheid – die mutierten, sprechenden Schildkröten mit den italienischen Namen: Leonardo, Michelangelo, Raphael und Donatello – die Teenage Mutant Nina Turtles. 1984 als Underground-Comicfiguren geboren, hatten die Ninja-Schildkröten 1990 ihren ersten großen Auftritt auf der Leinwand, in einem der erfolgreichsten Independent-Filme aller Zeiten („Turtles“). Zwei weitere Verfilmungen folgten und eine riesige Merchandising-Maschinerie schüttete mächtige Gewinne aus. Bis heute leben die grünen Helden in einer Zeichentrickserie weiter und längst sind sie fester Bestandteil der Populärkultur. Trotzdem fristeten sie in den vergangenen Jahren eher ein Schattendasein und werden jetzt – die Achtziger sind gerade weit genug weg, um sie wieder aufzuwärmen – in der neuen Animations-Verfilmung „TMNT“ auf die Höhe der Zeit gebracht.
Schon zum Millenniumswechsel kursierten im Internet Gerüchte über einen neuen „Turtles“-Kinofilm, der komplett CGI-animiert sein solle. In einem früheren Pre-Production-Stadium war sogar John Woo, der Mozart des ästhetisch wertvollen Actionfilms, für den Regiestuhl angedacht. Dieser landete schließlich bei Kevin Munroe, der mit „TMNT“ seinen ersten Spielfilm drehte. Das Projekt wurde mehrmals verschoben, verzögert und schließlich fast vergessen. Nun aber ist es soweit: Die Pizza-liebenden Schildkröten sind wieder auf der Leinwand zu sehen, und sie machen sich richtig gut. Die animierten Turtles sehen um einiges besser aus, als ihre Vorgänger aus den Live-Action-Filmen und wirken viel lebendiger. An die Erwartungen und Sehgewohnheiten der heutigen Jugend angepasst, ist „TMNT“ dunkler geraten, als die ersten drei Filme. Die Handlung spielt sich größtenteils nachts ab, ist komplexer und düsterer als in den Vorgängern – Bruderkampf inklusive. Und trotzdem bleibt die Action keineswegs auf der Strecke.
„TMNT“ schließt ganz zwanglos an die früheren Abenteuer der Teenager-Schildkröten an. Leonardo, der älteste Bruder, hat New York verlassen und versucht im Dschungel seine Kampftechniken zu verbessern, um nach seiner Rückkehr die Rolle des Anführers zu übernehmen. Seine drei Brüder leben noch immer abgeschieden in der Kanalisation, gemeinsam mit Splinter, der sein obligatorisches Morgenrock-Outfit ein wenig aufgemotzt hat. Der leichtfüßige Michelangelo arbeitet als Attraktion auf Kindergeburtstagen, wozu er sich, was sehr witzig ist, eine riesenhafte Schildkrötenmaske über den Kopf stülpen muss... Donatello, der Denker, betreibt ein Call-Center für Computerprobleme aller Art. Und Raphael schließlich will sich nicht mit dem Nichtstun abfinden, sondern zieht nachts – ein wenig overdressed in einer regelrechten Kampfroboter-Rüstung – als „Nightwatcher“ um die Häuser, um Verbrechen zu verhindern; ganz wie früher eben. Nur Casey Jones, der ebenfalls im nächtlichen New York auf Verbrecherjagd geht (noch immer mit Hockey-Maske und Baseballschläger), weiß von Raphaels Abendbeschäftigung. Eines Tages beginnen seltsame Kreaturen ihr Unwesen in der Stadt zu treiben, und es ist schnell klar, dass die Ninja-Skills der Turtles wieder gefragt sind. Leonardo kehrt in die Stadt zurück und versucht sich als Anführer zu bewähren, was ihn immer wieder mit seinem impulsiven Bruder Raphael kollidieren lässt. Ein Bruderzwist, der in einem regenüberfluteten Kampf auf einem Hochhausdach einen visuell wie emotional spektakulären Höhepunkt findet. Wenn es dann aber hart auf hart kommt, stehen die Brüder sich wieder bei und decken sich gegenseitig den Rücken, beziehungsweise Panzer. Die Schildkröten und ihre menschlichen Mitstreiter vermuten den schwerreichen Industriellen Max Winters hinter der Unruhe in der Stadt...
Gut und Böse sind im Gegensatz zu den früheren Filmen nicht mehr klar voneinander zu trennen, was wohl auch daran liegt, dass Shredder, der ewige Erzfeind der Turtles, nicht mehr mit von der Partie ist. Es ist schön zu sehen, dass der erste CGI-„Turtles“-Film sich nicht in endlosen Actionszenen verliert, sondern im Vergleich regelrecht erwachsen geworden ist. Natürlich darf die Action trotzdem nicht fehlen und so wird den Schildkröten reichlich Gelegenheit geboten, in glänzend animierten, nie wirklich langwierigen Actionszenen ihre Kampfkünste zu präsentieren: Kurz- und Langschwert, Kampfstock und Nunchakus kommen genügend zum Einsatz, so dass „TMNT“ weder langatmig noch dümmlich ist.
Technisch ist „TMNT“ nahezu einwandfrei umgesetzt. Die Animationen sind auf dem modernsten Stand der Technik, die Musik ist mitreißend und das Design der Figuren und der Umgebung überaus gelungen. Im Original werden die Figuren sogar von so illustren Namen wie Zhang Ziyi, Sarah Michelle Gellar oder Laurence Fishburne gesprochen. Die Big-Budget-Frischzellenkur von Regisseur und Co-Autor Kevin Munroe ist aufgegangen; in den USA läuft „TMNT“ mit beachtlichem Erfolg in den Kinos. Und auch die Merchandise-Gewinne werden nicht lange auf sich warten lassen. Im Vorfeld des Kinostarts erscheint ein Computerspiel zum Film, das mit absoluter Sicherheit erst der Anfang einer großen Palette von Turtles-Zubehör ist, das auf die nachgewachsene Generation losgelassen werden soll. Selbst das hochwertig gedruckte Presseheft wird – originell und dekadent – in einer Pizzaschachtel serviert… Und da wundert es auch nicht, wenn Michelangelo am Ende von „TMNT“ in einem überdimensionalen Wink mit dem Zaunpfahl die Möglichkeit einer Fortsetzung in Betracht zieht...