Jeder Kommentar zum Film kann eigentlich nur ein SPOILER sein, dies nur nochmals zur Warnung.
Vorab: ich finde die Rezension ziemlich treffend, genau wie eigentlich viele der bisherigen Gastkritiken. Und genau das ist die große Stärke des Films. Er lässt den Zuseher bereits während des Geschehens hin und her schwanken, die richtige Position zum Geschehen suchen. Aber das geht im Endeffekt kaum.
Patrick Wilson stellt die Opferrolle so glaubhaft dar, und die Aktionen/das Auftreten des Mädchens scheinen so kühl, so fies (mir fällt kein treffenderes Wort ein), dass die Emotionen im Zuschauer hochkochen und man sich des Öfteren dabei ertappt, sich die rettende Faust in ihr Gesicht oder am besten auch gleich das Messer in den Bauch herbeizusehnen.
Nur: das ist das, was man sieht. Was man nicht sieht (bzw. nicht gesehen HAT), wird dem Zuschauer im Laufe des Films stückchenweise klar, und es kollidiert mit dem Geschehen. Man legt es beiseite, will vielleicht einen Kompromiss. Diesen gibt es nicht, und erst wenn man den Film während des Abspanns sacken lässt und das Hirn wieder Kontrolle über die Emotionen erlangt, wird klar, dass der Mann sich diesen Kompromiss schon vor einiger Zeit verspielt hat. Er hatte dem Mädchen seinerzeit nicht den Luxus irgendeiner Wahl gelassen, er war aktiv an ihrem Mord beteiligt; in welcher Rolle auch immer (er war es wohl wirklich nicht, das ist ihm eher zu glauben). Hier zeigt sich, dass es um mehr, als "nur" Verführung Minderjähriger oder Pädophilie geht. Was muss es für ein abscheulicher Mord gewesen sein, wenn der Kerl sich das gerne noch auf Foto festgehalten hätte? An welcher Szenerie mag er da teilgenommen haben? Warum kennt er Menschen, die kleine Mädchen töten? War es das erste Mal? Und auch: habe ich als Zuschauer tatsächlich die vergangenen 80 Minuten vornehmlich auf seiner Seite gestanden?? Das momentane Gefühl des Mitleids war eben stark.
Führt uns zur nächsten moralischen Frage. Selbstjustiz; Rache. Kann man das wirklich vertreten? Eigentlich natürlich nicht! Moment - hatte ich mir nicht vor 10 Minuten noch das Messer in ihren Bauch gewünscht? Ich fühle mich irgendwie ertappt. Wo sind also die Grenzen zu setzen? Und zählen sie überhaupt noch, wenn Du gerade an einer OP der "ganz besonderen Art" teilgenommen hast und das Messer nun endlich in Deiner Hand ist? Oder wenn Du einen gemeinen Mörder zur Strecke bringen kannst, dessen Schuld vor Gericht nicht bewiesen werden kann? Vielleicht, wenn Du es nicht selbst tust, sondern ihm die "Wahl" lässt?
Hand aufs Herz: wem nicht schon einmal bei Berichten über widerliche Verbrechen der Satz "dem gehören einfach die Eier abgeschnitten" über die Lippen gekommen ist, der werfe den ersten Pfadfinder-Keks.
Ich weiss auch nicht genau, wie man das moralisch im Endeffekt bewerten soll. Aber ich weiss, dass ein Film, der mich an einem gewöhnlichen Dienstagabend so gekonnt aufwühlt und danach zu solchen (und noch vielen weiteren!) Diskussionen anregt, mit einer Bewertung nicht unter 9 Punkten davon kommen sollte.