Mit seiner Ankündigung, einen sechsten Rocky- und einen vierten Rambo-Teil zu drehen, erntete Sylvester Stallone vor einigen Jahren im höflichsten Fall ein müdes Lächeln. Das Gros der Reaktionen ging eher in Richtung mitleidiges Kopfschütteln. Die Karriere des Achtzigerjahre-Actionstars war langsam ausgelaufen, die letzten kommerziellen Erfolge (Cliffhanger, 1993; „Demolition Man“, 1993; „The Specialist“, 1994; „Daylight“, 1996) liegen lange zurück. Doch Stallone setzte in einer Mischung aus Mut und Verzweiflung alles auf eine Karte – sehr wohl die Gefahr, sich lächerlich zu machen im Hinterkopf – und fuhr den Lohn ein. Rocky Balboa wurde von der Kritik wohlwollend aufgenommen und ein respektabler Erfolg an der Kinokasse. Die Aktien für „John Rambo“ standen da schon schlechter, immerhin ist das Image von Rambo II und Rambo III eine Katastrophe. Aber Stallone hat aus früheren Fehlern gelernt und präsentiert mit dem vierten, von ihm persönlich in Szene gesetzten „Rambo“-Teil einen grundsoliden, ungemein brachialen Actionfilm, der maßgeschneidert auf das Fanklientel abgestimmt ist.
John Rambo (Sylvester Stallone) hat es nach Thailand getrieben, wo er sich als Schlangenfänger und Bootskapitän durchschlägt. Seinen Frieden mit dem Krieg hat der Vietnam-Veteran gemacht, doch selbst im Dschungel Asiens soll die einstige Kampfmaschine nicht zur Ruhe kommen. Eine Gruppe von christlichen Missionaren unter der Führung von Dr. Michael Burnett (Paul Schulze) und Sarah Miller (Julie Benz) will ins bürgerkriegsgebeutelte Burma vorrücken, um dort den unterdrückten Bauern eines Indianerstammes zu helfen – der immensen Gefahr durch eine entartete, extrem sadistische Militärregierung, die Völkermord begeht, bewusst. Rambo lehnt den Auftrag, die kleine Gruppe ins Zielgebiet zu schippern, zunächst ab, kann jedoch der Überredungskunst Sarahs nicht widerstehen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Die Missionare werden gefangen genommen und unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt. Eine Truppe von internationalen Söldnern wird von Pastor Arthur Marsh (Ken Howard) damit beauftragt, die dem Tod geweihten Hilfsaktivisten zu befreien. Wieder ist es Rambo, der Lewis (Graham McTavish) und seine Männer in den Dschungel führen soll…
Stallone nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Er ist die treibende Kraft bei „John Rambo“, führt Regie, spielt die Hauptrolle und zeichnet gemeinsam mit Art Monterastelli (Die Stunde des Jägers) für das Drehbuch verantwortlich. Da Stallone die Figur am besten kennt und genau weiß, was die zahlreichen Hardcorefans sehen wollen, spielt er diese Karte voll aus und serviert einen Film, der Gewaltgegner verhöhnt und stattdessen die Zielgruppe bedient. Das hat er bei den Teilen 2 und 3 auch schon gemacht, allerdings mit einem gewaltigen Unterschied. Stallone entfernt einige Angriffspunkte für Kritik aus seinem Stoff. Die höchst fragwürdigen Grundwerte der beiden Vorgänger werden durch „gesellschaftspoltisch korrektes Töten“ ersetzt. Da „John Rambo“ eigentlich ein B-Movie mit den Produktionswerten eines A-Movies ist, läge es auf der Hand, die charakterliche Schwarz/Weiß-Zeichnung der abgrundtief bösen burmesischen Militärs als tumb abzutun. Doch die Realität spielt Stallone da in die Karten, weil sich jeder am Fernsehbildschirm vor nicht allzu langer Zeit davon überzeugen konnte, dass die Wahrheit nicht so weit weg ist, wie man zunächst vermuten könnte. Zu was Menschen fähig sind, zeigten zuletzt zum Beispiel Hotel Ruanda, Shooting Dogs und Lost Children in Filmen über Völkermord in Afrika.
Somit baut sich ein hübsches und politisch korrektes Feindbild auf, das ohne Verdruss attackiert werden kann. Nachdem die Fronten geklärt sind, pfeift Filmemacher Stallone auf weitere Rücksichtnahme und gibt kräftig Gas. Der Bodycount steigt in astronomische Höhe, laut Statistiken sollen 236 Menschen im Laufe des Films ins Gras beißen – eine klare Steigerung gegenüber den Vorgängern („Rambo“ = 1, „Rambo II“ = 69, „Rambo III“ = 132). Jedoch geht der Großteil auf das Konto der Burma-Militärs, die bereits im Prolog als unmenschliche Schlächter eingeführt werden, die Gefangene durch Mienenfelder jagen und die Überlebenden anschließend mit dem Maschinengewehr niedermähen. Rambo ist des Tötens eigentlich überdrüssig, sieht sich dann aber doch gezwungen, mit Pfeil, Bogen und Messer Schützenhilfe zu leisten. In den gut 80 Minuten Realspielzeit (ohne Abspann) bekommt Rambo drei zentrale, gut dosierte, dauerregengetränkte Überfallsequenzen als unerbittliche Frontsau, die Stallone ungemein energiegeladen und brutal-stilvoll in Szene setzt.
Im Gegensatz zu Rocky Balboa ist Alter hier kein Thema, weil Stallone trotz seiner 61 Jahre fit wirkt und es durchaus zu dem Charakter passt, sich in Thailand auf den Ruhestand vorzubereiten. Viele Worte hat der ehemalige Elitekämpfer noch nie verloren, aber in „John Rambo“ grunzt Stallone nur noch hier und dort ein paar grummelige Halbsätze, damit muss es gut sein. Er hat seine Balance gefunden, ist in Abwesenheit eines Colonel Trautman zur eigenen Vaterfigur geworden. Dies ist ganz klar nicht sein Krieg, was sich eindeutig auch als Malus des gesamten Films erweist. Die Motivation Rambos, der zu Beginn sehr weise und plausibel die Mission ablehnt, ist doch recht schwach auf der Brust. Die Missionare hatte er mehr als einmal gewarnt („go home“) und die Söldnertruppe verfügt nicht unbedingt über die höchsten Sympathiewerte. Geld spielt auch keine Rolle, und somit ist Rambo diesmal streng genommen im Auftrag des Herrn und der Menschlichkeit unterwegs, selbst wenn es ihm im Grunde um Missionarin Sarah geht. Die ultrabrutale Todesmaschine quasi als westlicher Gotteskrieger… diese Groteske sollte einem schon einen Schmunzler entlocken. Aber der vergeht schnell, denn „John Rambo“ bietet keinerlei Comicbrutalität, sondern realistische Tötungsszenarien, die vor Kopfschüssen, abgerissenen Gliedmaßen, zersplitterten Knochen und Blutbächen nur so strotzen. Das wird genrefremde Besucher generell abschrecken und befremden (wie eh und je), inszenatorisch löst Stallone diese Aufgabe jedoch mit Bravour. Überhaupt ist „John Rambo“ optisch beachtlich, die atmosphärischen Werte stimmen.
Wenn da nur nicht die schwache B-Movie-Story wäre. Stallone vermeidet es zwar, sich auf politisches Glatteis zu begeben, bietet über die komplette Laufzeit aber nicht eine einzige Überraschung auf und serviert stattdessen nur eine Handvoll Stereotypen, von denen sich kaum einer Profil verschaffen kann. Lediglich Julie Benz (8mm 2) als engagierte Menschenrechtlerin, Matthew Mardsen (Resident Evil: Extinction) als Scharfschütze und Graham McTavish (King Arthur) als bärbeißiger Söldnerführer spielen sich überhaupt halbwegs ins Gedächtnis vor. Dazu nervt die Naivität der christlichen Missionare, die sich durch ihr vorhersehbares Verhalten in die dramaturgisch bequeme Opferrolle manövrieren. Der ein oder andere Off-Kommentar Rambos gerät dann doch zu pathetisch, was der Testosteron pumpende Score noch unterstützt. Die Hardcorefans sollen und werden diese Aspekte nicht im Geringsten tangieren, denn diese berühmten „Rambo-Momente“ hat Stallone kraftvoll auf die Leinwand gebracht. Doch „John Rambo“ reduziert sich dadurch auf eine beinharte Gewaltorgie und erreicht nicht annähernd die Dichte, Komplexität und Spannung eines Blood Diamond, der mit ähnlichen Inhalten agierte.
Fazit: Sylvester Stallone verschreibt sich ganz Rambos neuem Motto: „Live for nothing or die for something“ und schließt sein Back-to-the-roots-Revival zunächst - es gibt immerhin Gerüchte um einen weiteren „Rambo“-Teil - mit einem satten Actionhammer ab, der durchaus respektabel ist. Das ist wesentlich mehr, als man vorher hat erhoffen können. „John Rambo“ kann sich nicht mit dem auch gesellschaftspolitisch hochinteressanten ersten Teil messen, übertrifft als knallharte Reise ins Herz der Finsternis die kruden Machwerke 2 und 3 aber locker, weil Stallone die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat.