Die im Spätherbst eingeleitete amerikanische Award Season ist in vollem Gange. Das schlägt sich auch auf die Kost nieder, die dem Publikum vorgesetzt wird. In Deutschland finden sich diese Produktionen zumeist zu Beginn des kommenden Jahres wieder. Ein klassischer Vertreter dieser Sparte ist Bennett Millers Kinodebüt „Capote“. Doch das innovativ angelegte Biopic hat ein echtes Luxusproblem: Der phantastische Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman überragt alles andere in diesem Film so sehr, dass die guten Leistungen des gesamten Teams dagegen verblassen.
New York, 1959. Truman Capote (Philip Seymour Hoffman) ist nach seinem Erfolg Frühstück bei Tiffany einer der gefeiertsten Schriftsteller seiner Zeit. Das extrovertierte Genie genießt sein Leben als Salonlöwe des New Yorker Jetsets in vollen Zügen. Selbst seine offen ausgelebte Homosexualität, in der damaligen Zeit eigentlich ein Tabuthema, schlägt sich nicht negativ nieder. Capotes Vorliebe für große Reden und Gesten sind in der Gesellschaft akzeptiert. Mehr noch: Die Upper Class lechzt danach, sich in Trumans Glanz zu sonnen. Sein neuestes Projekt bringt einen radikalen Einschnitt in Capotes Leben. Durch einen Zeitungsartikel wird der Autor auf einen spektakulären Mordfall in der ländlichen Provinz von Kansas aufmerksam. Eine vierköpfige Familie wurde von zwei Einbrechern brutal ermordet. Capote reist mit seiner Assistentin Nelle Harper Lee (Catherine Keener) nach Holcomb, um zu recherchieren. Lee, eine Freundin aus Kindheitstagen, kam mit ihrem ersten und einzigen Roman Wer die Nachtigall stört übrigens selbst zu literarischem Ruhm. Bei der Landbevölkerung stößt Truman durch seine affektiert zur Schau gestellten Manierismen zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Erst als er sich mit dem Sheriff Alvin Dewey (Chris Cooper) anfreundet, kommen seine eigenen Nachforschungen voran. Die Mörder Perry Smith (Clifton Collins Jr.) und Richard Hickock (Mark Pellegrino) werden schnell gefasst. Capote bekommt Zugang zu ihnen und nutzt die Gespräche für die Recherche zu seinem geplanten Buch. Mit der Zeit verbindet Truman mit Perry, der wie sein Partner zum Tode verurteilt wird, eine Art von Freundschaft, die sich allerdings als sehr brüchig erweist...
Verfilmte Biographien sind in Hollywood eine heikle Angelegenheit. Lange Zeit als pures Kassengift verschrien, drehte sich der Trend zuletzt zumindest etwas. Filme wie A Beautiful Mind, Aviator, Ray oder demnächst Walk The Line stießen bei Presse wie Publikum auf positive Resonanz. Doch Bennett Millers Drama „Capote“ spielt rein formal nicht in einer Liga mit diesen Hochglanzproduktionen. „Capote“ ist klassisches Independentkino wie aus dem Lehrbuch - produktionstechnisch vergleichbar mit Bill Condons Kinsey aus der vorangegangenen Oscar-Saison.
Millers Ansatz zu seiner Capote-Betrachtung nach dem Buch von Gerald Clarke (2001) ist nicht unbedingt traditionell. Sein Film widmet sich lediglich den sechs Jahren von Truman Capotes Leben, in denen er an seinem literarischen Meisterwerk „Kaltblütig“ („In Cold Blood“, 1966) arbeitete. Somit kann von einer offiziellen Biographie, die Punkt für Punkt die Stationen des Seins abhakt, keine Rede sein. Das tut der Dramaturgie des Films sichtbar gut, da die grundsätzliche Schwierigkeit von Biographien, verschiedene Phasen kurz und knapp abhandeln zu müssen, weitgehend entfällt. Es ist auch nicht unbedingt nötig, alles über Capote zu wissen, denn Miller gelingt es mit seiner exzellenten Charakterzeichnung, dem Zuschauer ein Bild von diesem Mann zu vermitteln. Wer also eine Gesamtbetrachtung zu Capotes Leben erwartet, muss enttäuscht werden. Der Film sollte allerdings das Interesse an der Person wecken und so lassen sich mögliche Wissenslücken im Kontext zum Film später leicht schließen.
Truman Capote war Schriftsteller, Verfasser von Kurzgeschichten, Drehbuchautor und Schauspieler (Golden-Globe-nominiert in „Eine Leiche zum Dessert“, Cameo in „Der Stadtneurotiker“). Sein True-Crime-Roman „Kaltblütig“, der insgesamt zwei Mal (1967, 1996) verfilmt wurde, gilt als Vorreiter der Non-Fiction-Novels. Das Meisterwerk brachte Capote neben viel Geld auch jede Menge Ruhm und Anerkennung, nach der er zeitlebens so süchtig war. In New Orleans am 30. September 1924 als Truman Streckfus Persons geboren, verschlug es ihn mit seiner Familie 1939 nach Greenwich, Connecticut, eine Vorstadt von New York, wo später sein Aufstieg zum literarischen Superstar begann. Beim Magazin The New Yorker stieg Capote vom Laufburschen zum Starschreiber auf. Ursprünglich sollten seine Recherchen zu „Kaltblütig“ als Magazinartikel erscheinen, die Idee zu dem Roman ergab sich erst aus der Dynamik der Ereignisse. Diese Phase ist eindeutig auch der Wendepunkt in Capotes Lebens, die Tragik und Bitternis eines der großen Stärken des Films.
Obwohl Capote durch „Kaltblütig“ von der „Hall Of Fame“ in der „Olymp“ der Schriftsteller aufstieg, war dies dennoch der Anfang vom Ende. Die Zeit hat Capote emotional so sehr aufgezerrt, dass er sich nie wieder richtig davon erholen sollte, bis er 1984 im Alter von 59 Jahren am 25. August in Los Angeles an den Folgen seiner Alkohol- und Drogensucht starb. Während der Arbeit an „Kaltblütig“ begann er mit dem Trinken, dazu kam eine Tablettenabhängigkeit. 1975 überwarf sich Capote mit der New Yorker High Society und wurde in der feinen Gesellschaft als Außenseiter gebrandmarkt. Sein nie fertig gestellter epischer Schlüsselroman „Answered Prayers“, der 1988 als Fragment veröffentlicht wurde, sorgte 1975 für einen Skandal, weil er die gesellschaftliche Elite schonungslos vorführte und entblößte und die unter anderem porträtierte Ann Woodwarde in den Selbstmord trieb. Das erste Kapitel des Buches war als Vorabdruck im „Esquire“ erschienen. Die öffentliche Ablehnung seiner Person trieb Capote immer weiter in den Drogensumpf. Dazu verkrachte er sich mit seiner besten Freundin Harper Lee und sprach in seinen letzten 15 Lebensjahren kein Wort mehr mit ihr. Seine letzte beachtliche Prosa-Veröffentlichung „Musik für Chamäleons“ stammt aus dem Jahr 1980.
Um den Kreis zu schließen: Nichts von dem in den zwei Absätzen zuvor Beschriebenen wird in „Capote“ offen thematisiert, aber die Tatsache, dass der Zuschauer sich jeden einzelnen Aspekt bildhaft vorstellen kann, gibt Aufschluss auf die Leistung von Regisseur Miller. Er hat mit seinem Film den Menschen Truman Capote so exakt gezeichnet, dass es ein Leichtes ist, Bezüge zu „vorher“ und „nachher“ herzustellen. Warum dies alles so prima funktioniert, lässt sich in drei Worten auf den Punkt bringen: Philip Seymour Hoffman. Obwohl der 1967 in Fraport, New York, geborene Ausnahmeschauspieler in Kritikerkreisen zu den besten Mimen unserer Zeit gezählt wird, ist er in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch unterschätzt. Mit Auftritten in Mainstreamfilmen wie ...und dann kam Polly, Roter Drache, „Patch Adams“ oder „Twister“ sichert er sich sein Auskommen, aber brillieren tut er stets in kleinen, meisterhaften Werken wie Boogie Nights, Owning Mahowny, Magnolia, Punch-Drunk Love oder Almost Famous.
In „Capote“ spielt Hoffman mit seiner grandiosen Performance alles an die Wand, was ihm in die Quere kommt. Nicht dass Chris Cooper (American Beauty, Adaption, Seabiscuit, Jarhead), Catherine Keener (Die Dolmetscherin, Being John Malkovich, Jungfrau (40), männlich, sucht...) oder Clifton Collins Jr. (Mindhunters, Die Regeln des Spiels, Traffic) enttäuschen, nein, auch sie spielen tadellos gut, aber Hoffman dominiert trotzdem die Szenerie mit einer unglaublichen Präsenz, die seinen Nebenleuten mitunter die Luft nimmt. Er wirkt, als wäre er beim Dreh komplett in der Person Truman Capote versunken. Die Auszeichnung mit dem Oscar und Golden Globe als bester Hauptsteller ist mehr als verdient.
Unterstützt wird Millers sorgsam ruhige Inszenierung von Adam Kimmels karg-poetischen, oft kühlen Bildern. Der Kameramann tritt übrigens auch in einer Nebenrolle auf. Der Ereigniswert von „Capote“ ist neben den Schauspielleistungen diese spürbare innere Spannung der Protagonisten, die sich durch den Film hindurch immer mehr steigert und für eine knisternde Atmosphäre sorgt. Die Ambivalenz des brillanten aber linkischen Capote macht es dem Publikum nicht immer leicht, Partei zu ergreifen. Eine zentrale Frage durchzieht das Drama. Wie ist die Beziehung von Capote zu dem Mörder Perry Smith zu deuten? Nutzt ihn der Autor nur schamlos aus, hat er sich in ihn verliebt oder trifft wohlmöglich beides zu? Miller liefert eine Interpretation dafür, aber die Antwort auf diese Schlüsselfrage muss der Betrachter sich selbst beantworten.
Was „Capote“ zu einem Meisterwerk fehlt, offenbart sich im letzten Filmdrittel. Dort verliert Regisseur Miller teilweise seinen strengen Blick auf das Personal. Die Handlung zerfasert ein wenig und die Stringenz leidet. Ein aufregender und sehenswerter - wenn auch bitterer - Film ist „Capote“ natürlich dennoch. Wer sich dem anspruchsvollen Genre zugetan fühlt, sollte sich „Capote“ unbedingt ansehen. Das durch Stimmungen und Atmosphäre getragene Werk ist das Entdecken wert. Und sei es nur deshalb, damit mehr Kinofans verstehen, warum Philip Seymour Hoffman ein so großartiger Schauspieler ist...