Was für ein Comeback! Obgleich er den Oscar knapp verpasste, war Mickey Rourke, nominiert für seinen aufopferungsvollen Seelenstrip in Darren Aronofskys The Wrestler, der heimliche Star der Academy-Awards-Gala 2009. Als er zur Jahrtausendwende nach dauernden Drogenexzessen und einer selbstzerstörerischen Boxkarriere zur Schauspielerei zurückkehrte, wurde er noch verhöhnt. Dank kleiner Nebenrollen (Mann unter Feuer, Irgendwann in Mexico) fand er neuen Halt, im Noir-Comic Sin City schließlich trumpfte er wieder richtig auf. Kurz darauf ersetzte Rourke den ursprünglich vorgesehenen John Travolta in John Maddens Thriller-Drama „Killshot“. Der Regisseur von Shakespeare In Love und eine Vorlage des vielverfilmten Elmore Leonard (Todeszug nach Yuma, Jackie Brown) – das klang vielversprechend. Doch dann wanderte der Film nach miesen Testvorführungen für mehrere Jahre in die Rumpelkammer der produzierenden Weinstein-Brüder. Dass es „Killshot“ ausgerechnet jetzt, da Rourke wieder im Rampenlicht steht, doch noch auf die Leinwand schafft, verwundert kaum. Ein großer Wurf ist der ungeschickt konstruierte Thriller tatsächlich nicht. Wohl aber eine in vielen Ansätzen gelungene Charakterstudie, die Rourkes spätere Glanzleistung bereits andeutet.
Seit Profikiller Blackbird (Mickey Rourke, Iron Man 2, The Expendables) seinen kleinen Bruder bei einem missglückten Anschlag sterben sah, hat er jede soziale Bindung verloren. Um aus den Diensten seines gnadenlosen Auftraggebers entlassen zu werden, stimmt er einem letzten Job zu. Im Schlepptau hat er den aufbrausenden Kleinganoven Richie (Joseph Gordon-Levitt, Brick, Die Regeln der Gewalt). Bauarbeiter Wayne (Thomas Jane, Der Nebel) und seine Noch-Ehefrau Carmen (Diane Lane, Das Lächeln der Sterne) schlagen das zögernde Killerduo in die Flucht – nur, um damit selber zum Zielobjekt Blackbirds zu werden. Denn der weiß, dass ein Rückzug aus seiner mörderischen Branche solange Illusion bleibt, wie sich Menschen an sein Gesicht erinnern. Wayne und Carmen werden ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen und außer Reichweite geschafft. In der neuen Identität sieht Wayne eine Chance, die stillgelegte Ehe zu revitalisieren. Doch Blackbird und Richie haben die Fährte bereits aufgenommen...
Unaufgeregt erzählt „Killshot“ vom Versuch, den Sackgassen eines entgleisten Lebenswandels zu entkommen. Parallel begleitet Madden Blackbird und Wayne und verdeutlicht, dass der Neuanfang des einen den Untergang des anderen bedingt. Das hat zur Folge, dass Protagonist und Antagonist ständig die Position tauschen, abhängig davon, wem Madden gerade über die Schulter schaut. Durch die permanente Diffusion der Rollenverteilung wird zunehmend irrelevant, wer am Ende wen über den Haufen schießen muss, um neu anfangen zu dürfen. Es kann nur einen geben – so weit, so klar. Eine ähnliche Konfiguration bestand schon zwischen Al Pacino und Robert DeNiro in Michael Manns modernem Klassiker Heat. Der löste das dramaturgische Problem mit seiner brillanten Café-Szene: Die Kontrahenten trafen genau einmal aufeinander und waren gezwungen, sich gegenseitig in die Seele zu blicken und ihr Streben dabei im jeweils anderen wiederzuerkennen.
Eine ähnliche Begegnung zwischen Mickey Rourke und Thomas Jane bleibt aus. Da die Kontrahenten nicht um die Fallhöhe des anderen wissen, bleibt das Duell unpersönlich und lässt jegliche Gravitas vermissen. Immerhin haben die Konflikte innerhalb der beiden Parteien Format. Janes Wayne ist ein herzensguter Kerl, der immer wieder an der Blockade seiner Noch-Ehefrau scheitert und einfach nicht einsehen will, längst im Abseits zu stehen. Wenn er die Angst vor den Killern überspielt und die neue Identität im Zeugenschutzprogramm zum Tabula Rasa der kaputten Ehe deklariert, wird seine Hilflosigkeit glaubhaft verdeutlicht. Der seelische Aufruhr hinter Waynes munterer Fassade bleibt dabei leider vage, so wie auch die Gründe für Carmens Rückzug.
Der Native American Blackbird will derweil nach der ersehnten Killer-Rente ins längst fremd gewordene Reservat zurückkehren. Den gefährlich impulsiven Richie lässt er nicht aus Kalkül, sondern als Surrogat des toten Bruders gewähren. Mit seinem exaltierten Auftritt als jugendlicher Aggressor überspannt Joseph Gordon-Levitt gelegentlich den Bogen, lässt aber genug Talent durchblitzen, um Neugier auf seinen Part in Christopher Nolans Inception zu wecken. Rourke kontert mit gefühlvoll-nuanciertem Spiel und sorgt dafür, dass „Killshot“ nicht zur distanzierten Beobachtung verkommt. Kein Wunder, sind sich Blackbird und Randy „The Ram“ Robinson aus The Wrestler in ihrem Wesen als um eine zweite Chance kämpfende Seelenwracks doch äußerst ähnlich. Das vernachlässigte Potential seiner Figurenkonstellation kommt Maddens Thriller-Drama teuer zu stehen, als nachdenkliches Katz-und-Maus-Spiel bietet „Killshot“ aber immerhin passable Unterhaltung.