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    Michael Clayton
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Michael Clayton
    Von Carsten Baumgardt

    „I am Shiva, the god of death.“ (Arthur Edens)

    Wie weit kann Geld Menschen bringen, Dinge zu tun, die sie eigentlich nach moralischen Gesichtspunkten niemals tun dürften? Dieser einfach klingenden Frage widmet sich Tony Gilroy in seinem herausragenden Thriller-Drama „Michael Clayton“. Gilroy ist zwar ein Novize auf dem Regiestuhl, war aber zuvor zum Drehbuchstar in Hollywood aufgestiegen. Das ist seinem Film in jeder Szene anzumerken. „Michael Clayton“ ist exzellent geschrieben, die ausgezeichnete Schauspielriege trägt dazu bei, diese exakten Dialoge auch adäquat auf die Leinwand zu bringen. Der Thriller steht für hochgradig packendes Erwachsenenkino wie es im Mainstream selten geworden ist – zuletzt zu bewundern in dem Spionage-Thriller Das Bourne Ultimatum. Und wer schrieb dort das Drehbuch? Richtig, Tony Gilroy.

    Michael Clayton (George Clooney) ist Hausmeister bei der angesehenen New Yorker Anwaltskanzlei Kenner, Bach & Ledeen’s. Jedenfalls nennt er seinen Job so. Eigentlich ist der ehemalige Staatsanwalt für seinen angestammten Beruf des Juristen angestellt, doch sein Aufgabenbereich hat sich schon früh verschoben. Er ist ein „Fixer“, ein Problemlöser und -beseitiger. Einer, der jedes Malheur der Mandanten aus der Welt schafft. Bei der Wahl der Mittel ist Clayton nicht wählerisch. Alles, was nötig ist, wird getan – dies- und jenseits des Gesetzes. In der Kanzlei herrscht blankes Entsetzen und Panik. Claytons brillanter Kollege Arthur Edens (Tom Wilkinson) ist durchgedreht, hat sich nackt in einer Tiefgarage zum Affen gemacht und ist nach seinem Nervenzusammenbruch wild entschlossen, dem Chemikalienhersteller U/North, für den Kenner, Bach & Ledeen’s eine Drei-Milliarden-Dollar-Klage abwenden soll, ans Bein zu pinkeln. Er will die Wahrheit sagen und den Konzern damit in die Tiefe reißen. Firmenboss Marty Bach (Sydney Pollack) teilt Clayton Eden als Babysitter zu. Doch der Staranwalt gerät mehr und mehr außer Kontrolle, so dass U/North-Geschäftsführerin Karen Crowder (Tilda Swinton) ihrerseits die harten Bandagen auspackt...

    Gesellschaftliche Moral im Hollywoodkino: Das ist ein echtes Minenfeld. Von den üblichen polierten Massenprodukten ganz zu schweigen, wo eine tief gehende Auseinandersetzung mit dem Thema prinzipiell nicht in Frage kommt, ist es schwierig, den richtigen Ton zu treffen. Wird’s zu süßlich, fehlt die Ernsthaftigkeit, geraten die Helden zu bitter, scheuen die Produzenten das Risiko, keine Identifikationsfigur zu haben. An dieser Stelle seien drei Produktionen der jüngeren Filmgeschichte genannt, die in verschiedener Hinsicht das Thema Moral und Ambivalenz so exzellent behandelten, dass sie als Paradebeispiele dienen dürfen. Oliver Stone brachte in Wall Street die Gier einer ganzen Dekade, der Achtzigerjahre, in einem Film präzise auf den Punkt – begünstigt durch Michael Douglas’ grandiose, oscarprämierte Performance als Finanzhai Gordon Gecko, der zu einer Ikone der Achtziger geworden ist. Curtis Hanson siedelte in L.A. Confidential die moralisch ambivalenten Charaktere der Fünfzigerjahre auf beiden Seiten des Gesetzes an und begeisterte mit einer grandiosen Charakterzeichnung. Bei Michael Manns Insider ist die Sache mit der Moral im ausgehenden vorherigen Jahrhundert noch komplizierter. Die Hauptfigur des radikalen Journalisten Lowell Bergmann scheint durch und durch integer und blütenweiß. Doch als er aufs Kreuz gelegt und im Stich gelassen wird, schlägt er mit den gleichen niederen Waffen zurück und kommt durch das Denunzieren seiner Kollegen zu einem Triumph und seinem Recht. In diesen Fällen geht immer darum, wie weit jemand gehen würde, um sein Ziel zu erreichen. Und damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage, der sich Tony Gilroy („Bourne“-Reihe, Im Auftrag des Teufels) anno 2007 annimmt.

    Michael Clayton muss sich im Verlauf schwierigen moralischen Fragen stellen. Obwohl er über die Jahre viel Geld bei Kenner, Bach & Ledeen’s gemacht hat, steht er in der Kreide. Seine Spielleidenschaft wirft ihn immer wieder zurück. Doch er ist ein knallharter Hund, eiskalt, wenn es darum geht, die dicken Brocken wegzuräumen. Doch das Leben auf des Messers Schneide nagt an ihm. Seine Ehe ist längst Geschichte, seinen Sohn Henry (Austin Williams) sieht er zu selten, kümmert sich aber rührend. Wie können Menschen, die das Recht so weit beugen, bis es grotesk verzerrt wird, auf der anderen Seite so fürsorglich sein? Doch es ist eben kein Widerspruch, da Michael Clayton genau das machen muss, womit jeder Mensch konfrontiert ist: das Geld für den Lebensunterhalt verdienen. Und wie Claytons Boss Marty Bach trefflich feststellt: Michael ist der Beste seines Faches. Und damit schließt sich der Kreis - ohne offensichtlichen Ausweg aus dem Dilemma. Dieser Schwelbrand seines Gewissens macht den Film hochinteressant. Dass mit dem Chemiekonzern U/North ein noch größerer Unmoralist seine Bahnen zieht, nimmt in „Michael Clayton“ eine ganz entscheidende Rolle ein. Ausgang offen.

    Abseits von diesen theoretischen Überlegungen, die aus den Handlungen abzuleiten sind, ist „Michael Clayton“ elektrisierendes Schauspielerkino. George Clooney (Syriana, Good Night, And Good Luck, „Ocean’s“-Reihe) ist perfekt besetzt, weil er genau die nötige Präsenz und Leichtigkeit mitbringt, unter der lässigen, smarten Fassade die Tiefgründigkeit dieses Michael Clayton durchscheinen zu lassen, die ihn an den Abgrund bringt. Seine Spielpartner passen ebenso prima ins Konzept. Für den stets famosen Tom Wilkinson (Geliebte Lügen, Batman Begins) ist dieser psychisch kollabierte Killeranwalt Arthur Edens eine weitere Paraderolle, in der der Brite voll aufdrehen kann. Allein sein einleitendes mitreißendes Voiceover ist ein Ereignis, das er mit weiteren ekstatischen Szenen bestätigt. Die dritte wichtige Säule ist Tilda Swinton (The Beach, Young Adam, Broken Flowers). Sie verkörpert das dezent personifizierte Böse einer Gesellschaftsgeneration, was den Film wie die oben genannten Beispiele zuvor so universell macht. Doch selbst ihre Aufgabe als beängstigend kühle Antagonistin ist keineswegs offenkundig plakativ, sondern differenziert gespielt. Besonders den Druck, den Menschen in derart verantwortungsvollen Positionen haben und aushalten müssen, um zu überleben, bringt Swinton exzellent rüber. Als Sahnehäubchen gesellt sich noch Regielegende (Die drei Tage des Condor, Die Dolmetscherin, Die Firma, „Jenseits von Afrika“) und Aushilfsschauspieler (Eyes Wide Shut, Spurwechsel) Sydney Pollack hinzu. Er versprüht pures, raues Charisma.

    Fernab von diesen Glanzleistungen hat das Thriller-Drama auf formaler Seite tadellose Werte zu bieten: eine elegante Optik, einen atmosphärischen Score und eine clevere Struktur, die verschiedene Zeitebenen am Ende geschickt zusammenführt, was dann zum krönenden Abschluss in einer schlicht phantastisch gespielten Schlussszene mündet – ein Showdown wie in einem Western, nur mit modernen Mitteln.

    Fazit: „Michael Clayton“ ist klassisches Kino, wie es in den Siebziger- und Achtzigerjahren Tradition hatte und heute bis auf Ausnahmen in Vergessenheit geraten ist. Zu Beginn und am Schluss herausragend, schleichen sich lediglich im Mittelteil minimale Durchhänger im hochoktanigen Spannungsbogen ein. Dazu serviert Tony Gilroy den besten John-Grisham-Film, der nicht auf einem John-Grisham-Roman basiert, weil er die Trivialität dieser Verfilmungen durch Cleverness ersetzt, aber die Griffigkeit dieser Stoffe beibehält.

    „I am Shiva, the god of death.“ (Michael Clayton)

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