Die Verlockung auf der Saw-Welle mitzureiten, ist sicherlich groß, aber wenn man sich dabei so ungeschickt anstellt wie „Captivity“ ist der Untergang vorprogrammt. Roland Joffés Film ist nicht nur an sich ein Debakel, sondern sitzt darüber hinaus auch noch äußerst unbequem zwischen den Stühlen: Planlos zwischen Psycho-Thriller und Exploitation schwankend, im Großen und Ganzen vorhersehbar und im Detail unglaubwürdig.
„Sie ist ein Model und sie sieht gut aus, ich nähm’ sie heut’ gerne mit zu mir nach Haus.“ Und wie so oft ist der Wunsch wieder einmal Vater des Gedankens. Auch für den psychopatischen Killer in „Captivity“. Schon hat er in einem Club das junge Model Jennifer Tree (Elisha Cuthbert) ganz einfach betäubt, unauffällig eingepackt und mit zu sich nach Hause genommen. Dort, ganz wie es sich für einen Psychopathen gehört, sperrt er sie in eine Hightechzelle, in der er der erwachenden Schönen zunächst mit Hilfe einer Strandprojektion und einem Blumenstrauß glaubend macht, sie wäre in einem Hotelzimmer. Als Jennifer erkennt, in welcher Lage sie ist, fängt sie an zu randalieren. Darauf hin wird sie – wie im weiteren Verlauf noch häufiger – betäubt. Wer denkt, der Urlaubstrick wäre das einzige, was sich der Psychogeiselnehmer ausgedacht hat, irrt. Jennifer steht eine grausame Zeit bevor.
„Er weiß alles über mich – er war in meinem Apartment“ (Jennifer)
Genau wie übrigens auch dem Zuschauer. Auch wenn sich Gedanken an Torture Porn wie Saw und Hostel aufdrängen, hantiert „Captivitiy“ doch mit ähnlichen Themen – Eli Roths und James Wans Folterdramen haben mit dem Film von Roland Joffé in etwa soviel zu tun wie Gore mit dem indischen Hippie-Mekka. Wenn Joffés Film nicht zu genannten Vertretern zu zählen ist, wozu dann? Die Idee, den Antagonisten als einen fanatischen Moralapostel zu zeigen, ist weder neu noch unbekannt und so argwöhnt man nach der Entführung des Models etwas à la Sieben, Stichwort „Eitelkeit“. Einen gesellschaftskritischen Ansatz wider die Schönheitsindustrie verfolgt „Captivity“ dann aber trotz einiger Indizien doch nicht weiter. Ob die Anzeichen eine Finte waren? Eher nicht, denn schnell wird klar, dass nicht nur der Film, sondern auch die Entführer kein rechtes Konzept haben. Lieber zwingen sie ihrem Opfer hanebüchene Spielchen auf, wie etwa dass das Licht mal an, mal aus geht oder ein kleines Schränkchen immer wieder aufschnappt. Zwischendurch wird Jennifer gefühlte 20 Mal betäubt, damit Bösewicht seinen Versuchsaufbau neu anordnen kann. Selbst die Leute, die Saw nicht mochten, werden sehnsüchtig an John „Jigsaw“ Kramer (Tobin Bell) zurück denken, der sein tödliches Spiel so gut plante, dass er den ganz Film über ein Nickerchen halten konnte und trotzdem alles nach seinem Gusto geschah. Ohne Chloroform, Betäubungsgas & Co. sähen die Dunkelmänner in „Captivity“ alt aus. Zumal sich das später sichtbar werdende Etappenziel des Psychos auf zig Arten leichter erreichen ließe als so.
„Es tut mir leid!!“ (Jennifer tut es leid – nur was?)
Wenn „Captivity“ nur nicht so schrecklich langweilig wäre – was würde man ihm da nicht alles verzeihen. So aber fällt die äußerst unplausible, im Detail ins Groteske reichende Story gleich doppelt ins Gewicht. Durch Unterhaltungsverweigerung auf nahezu der ganzen Linie – na gut, der Gedärmecocktail hatte einen gewissen Unterhaltungswert – wird man förmlich gezwungen, den gesamten Film oder einzelne Szenen auf ihre Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. Dieser profitiert auch nicht gerade von den einfachen Figurenzeichnungen. Wer sich von Elisha Cuthbert (The Girl Next Door, Tatsächlich Liebe, House Of Wax) mehr als ihr bloßes Dasein erhofft, wird übrigens enttäuscht werden. Außer einer Handvoll Minenspielen von der Stange (verwirrtes, wahlweise panisches Opfer und zum Schluss ein paar Momente grimmige Rächerin) hat Cuthbert nichts zu bieten. Zum Glück erreicht sie nicht den Nervfaktor ihrer Rolle in 24 - Season 1. Dabei ist die Schauspielerei insgesamt, z.B. von Pruitt Taylor Vince (Identity, Constantine, The Cell) oder Daniel Gillies (Spider-Man 2, Liebe lieber indisch) sowie einer Reihe einiger Nebendarsteller (wie deutlich geworden sein sollte) noch das geringste Problem von „Captivity“.
Dass der Film zumindest in Videotheken trotzdem recht ordentlich läuft, ist übrigens auch seiner in den USA über die Strenge schlagenden Marketingkampagne zu verdanken. Die Plakate mussten im ganzen Stadtgebiet von Los Angeles wieder entfernt werden, nachdem sich die Bevölkerung darüber empört hatte. Darauf zu sehen: explizite Bilder eine Frau in den einzelnen Stadien einer Geiselhaft – Entführung, Gefangenschaft, Folter und Ermordung. Die – wenngleich missglückte – Kampagne verlieh dem Film natürlich einen Hauch von Verruchtheit, und zusätzlich ist der Trailer recht gelungen.
Wie kommt es eigentlich, dass ein Regisseur wie Roland Joffé, der immerhin Filme wie Der scharlachrote Buchstabe gemacht und mit „The Killing Fields“ sogar drei Oscars gewonnen hat, nun etwas wie „Captivity“ abliefert? Auf die Frage, was ihn dazu trieb, antwortet der Regisseur, dass er noch nie einen Genrefilm gemacht hat und er dazulernen wolle. Und dass er fasziniert davon gewesen sei, dass eine Geschichte auf so engem Raum spielt. Von Joffés Faszination sowie von seinen Lernversuchen hat der Zuschauer rein gar nichts. Die Leihgebühr für den Film kann man besser anlegen. Den Preis für die Kauf-DVD selbstredend auch.