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    Havanna Blues
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Havanna Blues
    Von Nicole Kühn

    Musik ist eine universell verständliche Kommunikationsform, obwohl man bestimmte Stile mit verschiedenen Regionen der Erde assoziiert. Kuba, das verspricht Mambo und Cha-Cha-Cha, sinnliche Tänze mit klarer Rollenverteilung. Doch auch auf der Karibikinsel ist die Zeit nicht stehen geblieben und es hat sich eine lebendige, junge Underground-Musikszene entwickelt. Aus dieser Welt erzählt das pulsierende Musiker-Drama „Havanna Blues“, das die Situation in diesem gebeutelten Land weder schwarz malt noch schönfärbt, sondern mitten aus dem Leben kommt.

    Ruy (Alberto Yoel) und Tito (Roberto Sanmartin) sind der Kopf einer Band, die sich im kreativen Chaos arrangiert hat: Disziplin wird zwar hin und wieder gefordert, doch der turbulente Alltag lässt daran kaum denken. Der Lebemann Ruy vertickt Souvenirs an Touristen, um seinen ganzen Stolz, einen 54er Chevy Convertible, instand zu halten. Titos Sorgen zwischen seinen beiden Kindern, einer am Rande der Geduld stehenden Ehefrau (Yailene Sierra) und seinem Hang zum Partyleben sind da schon handfester. Immer wieder aber bricht sich die Liebe zur Musik Bahn, treibt die jungen Menschen an und gibt ihnen die Kraft, sich auch von den widrigsten Umständen nicht beirren zu lassen. Ihre eigenwillige Mischung aus Salsa, Blues und Drumbeats spiegelt das Lebensgefühl junger Kubaner unverfälscht wider und kommt gut an. Der erste größere Live-Auftritt steht bevor, droht aber trotz großer Hingabe aller Beteiligten an schlichtem Geldmangel für die technische Ausrüstung zu scheitern. Da kommen die Talentscouts einer großen spanischen Firma gerade recht. Auch sie lassen sich von der mitreißenden Musik überzeugen. Überdies findet die Chefin an Titos körperlichen Reizen Gefallen. Alles läuft prächtig, die Chance auf den großen Durchbruch rückt in greifbare Nähe. Doch der Erfolg hat auch seine Schattenseiten und Tito muss einige existenzielle Entscheidungen für sein Leben treffen.

    Der gebürtige Spanier Benito Zambrano hat seine Leidenschaft für Kuba während seiner zweijährigen Ausbildung an der Internationalen Schule für Film und Fernsehen in Havanna entdeckt. Bereits sein erster, mit vielen internationalen Preisen bedachter Langfilm „Solas“ beschäftigt sich mit den dort gesammelten Erfahrungen. In „Havanna Blues“ prägt die Stadt nicht nur den Titel, sondern auch den Film. Die vitale Energie inmitten einer von Zerfall gezeichneten Metropole springt den Zuschauer förmlich an. Die Träume der Helden manifestieren sich in heruntergekommenen Bauten, deren Abglanz einstiger Pracht immer noch genügend Strahlkraft besitzt, um als Fluchtpunkt aus den alltäglichen ärmlichen Kulissen räumlicher Enge zu dienen.

    Die Handlung wird von den Lebensumständen in dem bitterarmen Land vorangetrieben. Keine der Figuren hat realistische Perspektiven auf ein „normales“, geregeltes Erwerbsleben. Dafür hat sich jede von ihnen eine eigene Überlebensstrategie zurechtgelegt und das Talent zur Improvisation wird allerorten abverlangt. Erfrischend, dass dem Lamentieren bei all den Problemen, die der Film aufgreift, kein Platz eingeräumt wird. Konflikte werden temperamentvoll ausgetragen, sei es zwischen Freunden oder zwischen Liebenden, ohne dabei auf das Klischee der heißblütigen Latinos zu verfallen. Zwischen den Ereignissen, die die Menschen zum Teil zu überrennen drohen, nehmen sie sich immer noch Zeit für ein paar ernste Worte in aller Ruhe. Und dann wird wieder angestoßen – auf die Liebe, auf das Leben!

    Die Strategie, fast ausschließlich Debütantinnen und Debütanten auf der Leinwand zu engagieren, geht bei Zambrano auf. Nichts wirkt hier gespielt oder einstudiert, die Darsteller sind die Figuren mit Leib und Seele. Die Zusammensetzung des Ensembles aus Schauspielern und Musikern lässt Film und Musik miteinander verschmelzen. Wo die Figuren angesichts der Kompliziertheit des Lebens in Sprachlosigkeit verfallen, finden sie Ausdrucksmöglichkeiten in der Musik. Deren Stellenwert kristallisiert sich in zwei konkurrierenden Parts des Films: Ruy steht nicht nur zwischen zwei Frauen, nämlich seiner mit den praktischen Problemen des Alltags kämpfenden Gattin Caredad und der geschäftstüchtigen Karrierefrau Marta, die beiden temperamentvollen Frauen stehen zugleich für ein Verhältnis zur Musik. Während Caredad und die gemeinsamen Kinder die Musik als ein Luxusgut (das man sich eben nur begrenzt leisten kann, es aber wenn, dann mit voller Hingabe genießt) begreifen, ist sie für Marta ein Geschäft mit den klaren Vorgaben der Nachfrage. Die Bemühungen, den beiden symbolischen Figuren etwas von ihrer Typenhaftigkeit zu nehmen, bleiben zuweilen auf der Strecke, besonders bei Marta. Dass beide trotzdem interessante Charaktere sind, verdankt sich vor allem der überzeugenden Darstellerleistung.

    Mit seiner Mischung aus einem Blick auf die wunden Punkte einer Nation und zähem Erfolgswillen passt der Film wunderbar in die hiesige Stimmungslandschaft: Die öffentliche Meinung übt sich (endlich) beim Lamentieren in Zurückhaltung, da kann ein Schub guter Laune und Unkaputtbarkeit von Träumen nicht schaden.

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