Jeder, der Quentin Tarantinos Meisterwerk Pulp Fiction gesehen hat, wird einige der Szenen in seinem ganzen Leben nicht mehr vergessen. Etwa den legendären Burger-Dialog zwischen John Travolta und Samuel L. Jackson. Den Hubbel in der Straße, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist und eine Autosäuberung der etwas anderen Art nach sich zieht. Oder auch die Tanzeinlage von Travolta und Uma Thurman, die – wie so viele Momente des Films – aus der Popkultur kaum mehr wegzudenken ist. Weit schwieriger wäre es hingegen, wenn man sich statt einzelner Augenblicke den genauen Plot ins Gedächtnis rufen sollte. Tarantino ist ein Meister des Tableaus, er schafft in einem Film mehr Szenen (und Charaktere) für die Ewigkeit, als selbst manch guter Regisseur in seiner gesamten Karriere. Die eigentliche Handlung spielt bei ihm stets eine untergeordnete Rolle, sie läuft nebenher mit, ohne dass die Spannung des Films allzu sehr von ihr abhängen würde. Mit „Inglourious Basterds“ treibt Tarantino dieses Konzept nun auf die Spitze. Obwohl der Film stolze zweieinhalb Stunden lang ist, besteht er im Endeffekt aus gerade einmal fünf Szenerien. Das funktioniert, weil die Inszenierung brillant, (fast) jeder Darsteller grandios und ausnahmslos jeder Dialog bis aufs I-Tüpfelchen scharf wie ein Skalpell geschliffen ist. Es bereitet aber auch Probleme, weil der Meister sein Pulver in den ersten beiden Akten mit Freuden verschießt, um dann im dritten und vierten Abschnitt ein klein wenig durchzuhängen.
Kapitel eins: Der Judenjäger Col. Hans Landa (Christoph Waltz) stattet dem französischen Bauern Perrier LaPedite (Denis Menochet), von dem er vermutet, dass er in seinem Haus eine jüdische Familie versteckt, einen Besuch ab. Es gibt leckere Milch zu trinken. Kapitel zwei: Die Basterds, eine Spezialeinheit unter der Führung von Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), die hinter den feindlichen Linien Jagd auf Naziskalps macht, hat einen deutschen Soldaten gefangenen genommen. Der Bärenjude genannte Vollstrecker der Truppe, Sgt. Donny Donowitz (Eli Roth), klappert schon mit seinem Baseballschläger. Kapitel drei: Der deutsche Kriegsheld und Kinostar Fredrick Zoller (Daniel Brühl) verguckt sich in die hübsche Kinobetreiberin Shosanna (Mélanie Laurent). Die ist jedoch Jüdin und wartet nur auf den richtigen Moment, um sich an den Besatzern zu rächen. Dieser scheint gekommen, als Propagandaminister Joseph Goebbels (Sylvester Groth) zustimmt, eine deutsche Filmpremiere ausgerechnet in ihrem Lichtspielhaus zu veranstalten. Kapitel vier: Der britische General Ed Fenech (Mike Myers) entsendet den ehemaligen Filmkritiker Lt. Archie Hicox (Michael Fassbender) nach Frankreich, wo er sich gemeinsam mit den deutschsprachigen Mitgliedern der Basterds, Sgt. Hugo Stiglitz (Til Schweiger) und Cpl. Wilhelm Wicki (Gedeon Burkhard), und der Unterstützung des deutschen Filmstars Bridget von Hammersmark (Diane Kruger), die inzwischen für die Briten arbeitet, in die geplante Premiere schleichen soll. Kapitel fünf: das furiose Finale…
Die Titeleinblendung zu Beginn und auch die Untertitel während des gesamten Films sind in einem satten Gelb gehalten, das an die Exploitation-Welle der 1970er Jahre erinnert. Es ist das Gelb des Italo-Westerns und des Euro-Trashs. Kein Wunder, basiert „Inglourious Basterds“ doch lose auf Enzo G. Castellaris Ein Haufen verwegener Hunde von 1978 und damit auf einer in Italien runter gekurbelten Billigversion des Robert-Aldrich-Klassikers Das dreckige Dutzend. Doch genau wie zuletzt auch Death Proof kein Trash war, obwohl sich der Film am Grindhouse-Kino der 1970er und 1980er orientierte, hat nun auch „Inglourious Basterds“ trotz der Vorlage wenig bis gar nichts mit dem üblichen Leinwandtrash gemein. Die ausladenden Tableaus, die Tarantino hier entwirft und in denen er sich mit all seinen – mitunter kranken – Phantasien austobt, erinnern eher an die Akte eines modernen Regietheaterstücks als an klassische Müllproduktionen. Nicht umsonst ist Tarantino ein riesiger Fan der Filmfestspiele in Cannes, wo Filmkunst groß geschrieben wird und einfache Mainstream-Produktionen allenfalls in Marktvorführungen gezeigt werden. Wer nach nunmehr sechs Langfilmen immer noch glaubt, er hätte es bei Tarantino mit einem Genreregisseur zu tun, ist falsch gewickelt. Von den 160 Minuten, die der Film dauert, sind 140 den ausgefeilten, aber auch ausufernden Dialogen gewidmet – das allein zeigt schon, dass man es hier keinesfalls mit einem normalen Kriegsfilm zu tun hat, und eben schon gar nicht mit Kriegstrash, in dem während einer kurzen Feuerpause höchsten mal ein paar Oneliner abgefeuert werden.
Die Charaktere von „Inglourious Basterds“ in der Filmstarts-Übersicht
Tarantino zieht die einzelnen Kapitel keinesfalls in die Länge, sondern in die Breite. Er nimmt sich für alles Zeit, was ihn interessiert – ob es nun zur eigentlichen Story gehört, oder es sich um einen Nebenschauplatz handelt, tut nichts zur Sache. Am deutlichsten wird dies im vierten Kapitel. Einige Soldaten vergnügen sich mit einem Saufspiel, bei dem jeder einen Zettel, auf dem der Name einer berühmten Persönlichkeit geschrieben steht, auf die Stirn geklebt bekommt. Diesen Namen gilt es zu erraten. Dieser lapidare Zeitvertreib offenbart nach und nach allerlei Charakterbausteine der Mitspieler. Tarantino nutzt die Klebezettel geschickt aus, um jedem einzelnen im Raum, selbst den Statisten, ein Gesicht zu geben. Doch dann liegen die Charaktere, die Tarantino in den vergangenen 25 Minuten so feingliedrig entworfen hat, plötzlich von Gewehrsalven zerfetzt in der Gegend herum. Das ist eine Art Anti-Dramaturgie, die sich nur Regisseure vom Kaliber eines Quentin Tarantino erlauben können. Was das soll, ist egal - es fasziniert, und hat damit schon seine Schuldigkeit getan. Die Dramaturgie zieht in den meisten Fällen trotz ihrer Eigentümlichkeit, weil jeder Moment für sich begeistert. Nur im dritten und in der zweiten Hälfte des vierten Kapitels ist selbst Tarantino – trotz einigen kleinen Ausbesserungen im Anschluss an die Uraufführung in Cannes – nicht vor dem einen oder anderen Durchhänger gefeit.
„Inglourious Basterds“ ist auch, und zwar noch mehr als es die früheren Filme von Tarantino eh schon waren, eine Liebeserklärung an das Kino selbst. In Shosannas Kino läuft gerade „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ mit Leni Riefenstahl, dessen Regisseur Georg Wilhelm Pabst auch später immer wieder Erwähnung findet. Der britische Agent Hicox ist nicht nur ein Ex-Kritiker, er ist auch ein ausgewiesener Experte des deutschen Kinos der 1920er und 1930er Jahre. Als Shosanna nach einer Filmvorführung die Leistung der Schauspielerin Lilian Harvey lobt, bekommt Goebbels einen Wutanfall. Natürlich wird nun kaum einer der Zuschauer das Wissen um Harveys Biographie parat haben, dass sie etwa beim NS-Regime in Ungnade fiel, weil sie dem inhaftierten Choreographen Jens Keith 1937 zur Flucht in die Schweiz verhalf und trotz anonymer Drohbriefe auch jüdische Kollegen bei sich zu Hause empfing. Doch das ist Tarantino egal. Seine Liebe zum Kino ist bedingungslos – und dasselbe erwartet er auch von seinem Publikum. Am Ende ist es der Hebel eines Kinoprojektors, der das Dritte Reich zu Fall bringt und dem Zweiten Weltkrieg ein vorzeitiges Ende bereitet. Das Kino hält historische Ereignisse hier nicht einfach nur fest oder gibt sich mit einer Interpretation eben jener zufrieden. Bei Tarantino erhält das Kino ganz selbstverständlich die Möglichkeit, die Geschichte nach Belieben umzuschreiben. Diese Wendung, die einem demütigen Kniefall vor der Macht der Leinwand gleichkommt, ist zwar ein liebenswert-naiver Wunschtraum, im Schaffen Tarantinos, der schon seit seiner Zeit als Videothekenangestellter mit jeder Faser seines Körpers für das Kino lebt, aber eigentlich nur konsequent.
Brad Pitt ist kein Mann der kleinen Gesten, sondern einer, der Ikonen schafft. Etwa den jungen Detective David Mills aus Sieben, den Boxer Mickey O’Neil aus Snatch, oder eben Tyler Durden, jenen Seifenvertreter aus Fight Club, der sich mit wildfremden Männern prügelt und Helena Bonham Carter mit einem gelben Gummihandschuh verführt. Wer etwa an Helen Mirrens brillanten Auftritt in Die Queen denkt, erinnert sich an eine grandiose Schauspielleistung. Bei Pitt ist das anders, da sind es die Figuren selbst, die beim Zuschauer hängen bleiben. Auch Aldo Raine ist ein solcher Charakter. Allein mit seinem Südstaatenakzent und der jetzt schon legendären Ansprache, die bereits im ersten Teaser zu sehen war und in der Raine seine Mannen dazu auffordert, ihm jeweils hundert Naziskalps zu bringen, hat sich die Rolle wohl auf Immer und Ewig ins kollektive Popkulturgedächtnis eingebrannt.
Trotzdem gibt es jemanden, der Pitt ganz gewaltig die Schau stiehlt. Der Österreicher Christoph Waltz (Herr Lehmann, Der alte Affe Angst), der für seine Rolle als Judenjäger Hans Landa zu Recht mit dem Darstellerpreis in Cannes geehrt wurde und sich wohl auch für die Oscar-Verleihung 2010 einiges an Chancen ausrechnen darf, steht zwar in Sachen Marketing nicht an vorderster Front, fungiert aber als der eigentliche Motor des Films. Er bekommt von allen Darstellern die meiste Leinwandzeit und reißt jede Szene, in der er vorkommt, in Sekundenbruchteilen an sich. Zwar überhöht er seine Rolle bis zum Geht-nicht-mehr (Landas Art ist von einem derart schleimigen Zynismus geprägt, dass einem jedes Mal der Atem stockt, wenn er den Mund aufmacht), aber dennoch verkommt die Figur – im Gegensatz zum vom Theater- und „Tatort“-Star Martin Wuttke verkörperten Hitler – nie zur reinen Karikatur. Eher das Gegenteil ist der Fall: Landa ist ein Soziopath, wie er im Buche steht – er ist hochintelligent, kann Menschen lesen und hat die Lächerlichkeit der Nationalsozialisten längst durchschaut. Er selbst ist keinesfalls ein überzeugter Nazi, vielmehr ist er als eiskalter Analytiker nur Teil der SS, um bei der Judenjagd seine perfiden Mord- und vor allem Machtphantasien bis zum Exzess auszuleben.
Würde man eine Rangliste der Darstellerleistungen aufstellen, fände sich hinter Waltz an zweiter Stelle wohl der französische Nachwuchsstar Mélanie Laurent (Der wilde Schlag meines Herzens) wieder. Als waschechte Femme Fatale, die sich im feurigen Finale im flammenroten Kleid als rachsüchtiger Engel offenbart, ist die hübsche 26-Jährige einfach umwerfend. Eli Roth ist als Bärenjude für den blutigsten Moment des Films verantwortlich. Allerdings gelingt dem schauspielernden Regisseur, der auch für den Film-im-Film „Nation’s Pride“ mit Daniel Brühl verantwortlich zeichnet, hier etwas, das ihm bei seinen selbstinszenierten Schlachtfesten Hostel und Hostel 2 gerade nicht gelungen ist: Er bringt Emotionen rüber. In einer Szene glaubt man sogar, der Baseballschläger schwingende Hüne würde aus dem Augenwinkel eine Träne wegdrücken. Michael Fassbender (300, Hunger, Eden Lake), der seit Jahren als kommender Star gehandelt wird, aber aus irgendeinem Grund immer noch in der zweiten Garde feststeckt, erweist sich diesmal vor allem als Meister der Dialekte: Er spricht erst tiefstes Britisch, um dann mit einem – beinahe – akzentfreien Deutsch zu verblüffen. Komiker Mike Myers (Austin Powers in Goldständer, Love Guru), der mit einem Schnurrbart und jeder Menge Schminke zu einem General des britischen Empires modelliert wurde, ist einer dieser überraschenden Besetzungscoups, für die Tarantino berühmt-berüchtigt ist. In diesem Fall geht das Kalkül nur bedingt auf. Myers‘ Auftritt amüsiert, begeistert aber nicht.
Die deutsche Darstellerriege ist zumindest zahlenmäßig die stärkste. Und was unsere Jungs da abliefern, macht der deutschen Schauspielerzunft wahrlich keine Schande. Allen voran August Diehl (23, Nichts als Gespenster, Lichter), der als undurchsichtiger Gestapo-Spürhund bei jedem Auftritt eine intensiv-knisternde Atmosphäre verbreitet. Daniel Brühl (Good Bye, Lenin!, Die fetten Jahre sind vorbei) wirkt als Kriegsheld, der mit seinem Scharfschützengewehr eigenhändig 268 Feinde in nur drei Tagen weggeputzt hat, mitunter zwar etwas bräsig, haut dann im Moment seiner Wandlung aber noch mal richtig einen raus. Til Schweiger (Keinohrhasen, Phantomschmerz) hat als Nazischlächter zwar nicht viel mehr zu tun, als grimmig in der Gegend herum zu starren, aber diese Aufgabe meistert er mit genügend Selbstironie – und deshalb mit Bravour. Als zweiter deutschsprachiger Basterd und persönlicher Übersetzer von Raine ist Gedeon Burkhard (Der letzte Zug) aus deutscher Sicht wohl die positivste Überraschung – eine absolut souveräne Leistung, die er hier abliefert. Einzig unser Mädel bereitet Sorgen. Das Spiel von Diane Kruger (Troja, Das Vermächtnis des geheimen Buches) wirkt mitunter arg hölzern – was doppelt ins Gewicht fällt, weil der deutsche Hollywood-Export ausgerechnet einen Kinostar verkörpert, der ein lockeres Auftreten eigentlich draufhaben sollte.
Fazit: „Inglourious Basterds“ ist ein waschechter Quentin Tarantino mit grandiosen Einzelszenen und leichten dramaturgischen Nachlässigkeiten. Absolutes Pflichtprogramm für jeden Cineasten bleibt der Film aber natürlich dennoch allemal.