Noch einen Tag vor dem US-Kinostart von „Snakes On A Plane“ wurde das Einspielergebnis von normalerweise extrem treffsicheren Box-Office-Analysten auf 38 Millionen Dollar für das erste Wochenende geschätzt. Im Endeffekt konnte „SoaP“, wie David R. Ellis´ Trash-Action-Thriller mittlerweile von Fans abgekürzt wird, aber überhaupt nur hauchdünn Platz 1 der Charts erreichen und legte mit einem Einspiel von gerade einmal 13,8 Millionen Dollar (15,2 Mio. inklusive Donnerstagspreviews) einen - im Vergleich zu den Erwartungen - glatten Box-Office-Crash hin. Was war passiert? Nur aufgrund seines verheißungsvollen Titels hatte sich im Internet ein lediglich mit dem Blair Witch Project-Phänomen vergleichbarer Hype aufgetürmt, der unzählige Blogs und Fan-Communitys aus dem Boden schießen ließ. Die Erwartungen von Fans und Verleih Warner steigerten sich mit der Zeit ins Unermessliche.
Auch was das Marketing angeht, wurde das Hauptaugenmerk auf Online-Strategien gelegt, US-Kritikern das Werk gar nicht erst gezeigt – wozu braucht man schon Printmedien, wenn man doch die gesamte Internet-Community hinter sich stehen weiß? Doch im Endeffekt wurde der Einfluss des Netzes auf das Box Office einfach nur maßlos überschätzt. Und die durchschnittlichen, noch nicht komplett im Cyberspace abgetauchten Kinogänger hatten wohl auch die realistischsten Erwartungen an „Snakes On A Plane“: Der Film macht Spaß, keine Frage. Ist auf der anderen Seite aber auch einfach noch nicht abgefahren genug, um seinen Vorab-Status als das absolute Partyfilm-Muss schlechthin nachhaltig zu rechtfertigen.
Weil Sean Jones (Nathan Phillips) der einzige Augenzeuge des Mordes an einem prominenten Staatsanwalt ist, setzt der eiskalte Superverbrecher Eddie Kim (Byron Lawson) alles daran, ihn möglichst schnell aus dem Weg zu räumen. Den ersten Anschlag seiner Schergen kann FBI-Agent Neville Flynn (Samuel L. Jackson) aber gerade noch verhindern. Um Jones die Aussage vor einem Schwurgericht zu ermöglichen, muss Flynn ihn auf einem Linienflug sicher von Hawaii nach Los Angeles geleiten. Doch keiner hat mit Kims überbordender Phantasie in Bezug auf mögliche Tötungsarten gerechnet: Mit Hilfe seiner Leute schmuggelt er hunderte Gift- und Würgeschlangen an Bord der fraglichen Maschine. Dazu wird jedem Passagier noch eine zuvor mit Pheromonen eingesprühte Blütenkette um den Hals gelegt, die die eigentlich wenig aggressiven Reptilien zu wahnsinnigen Killern mutieren lassen, die auf wirklich alles und jeden losgehen – inklusive der Piloten und jeder Menge bunter Kabel…
Schon in seinem Vorgänger-Film Final Call kam Regisseur Ellis schnell zur Sache: Die rasante Einführung, durch die nach nicht einmal zwei Minuten alle relevanten Fakten für die folgende L.A.-Achterbahnfahrt auf dem Tisch lagen, prägte in der amerikanischen Kritik sogar den Begriff des ökonomischen Filmemachens. Und auch bei „SoaP“ wird zu Beginn keine Zeit vergeudet. Gerade kreuzte Sunnyboy Jones noch gemütlich mit seinem Dirtbike passend zum angestimmten Song „Lovely Day“ auf Hawaii herum, da wird er mitsamt dem Zuschauer auch schon durch einen blutüberströmt von der Decke baumelnden Staatsanwalt in die Mitte des Geschehens katapultiert. Drei Szenen später sitzt Jones schon am Flughafen, von wo aus er als Kronzeuge auf den Kontinent überführt werden soll – eine absolute Highspeed-Inszenierung, die bewusst auf jedes Mätzchen verzichtet. Doch dann wird Ellis vom Drehbuch ein wenig seines heißgeliebten Tempo-Elements beraubt, denn wie in jedem Katastrophenfilm folgt nun die Einführung der zukünftigen Opfer und Helden – das kostet zwangsläufig eine Menge Speed, den Ellis nicht vollständig durch kleine Lacher bei der Vorstellung der zum Großteil herrlich skurrilen Charaktere kompensieren kann. In dieser Phase klopft im Kopf des erwartungsvollen Kinogängers zum ersten Mal vorsichtig der Gedanke an: Vielleicht ist „Snakes On A Plane“ ja doch nur ein zwar gut gemachter, aber eigentlich doch ganz normaler Genrefilm?
„SoaP“ ist auch eines der ersten interaktiven Filmprojekte überhaupt: Nachdem in Foren die wildesten Erwartungen an Schlangenattacken und Oneliner geäußert wurden, entschied sich Warner, die angestrebte PG-13-Freigabe zugunsten einiger anzüglich-frivoler Szenen aufzugeben. Hierfür wurde extra ein Nachdreh anberaumt, bei dem Ellis einige der absurden Internetideen aufgriff und nachträglich in seinen Film integrierte. Diese Sequenzen finden sich nun größtenteils im Slasher-Part des Films wieder, indem sich die Schlangen wie ihre Vorbilder in Scream und Konsorten unbemerkt an ihre Opfer heranpirschen und ohne großes Aufsehen bei den übrigen Passagieren um die Ecke bringen. Dabei werden auch noch andere Regeln des Slasher-Genres bedient – zum Beispiel: Sex = Tod. So bekommt das Liebesspiel eines halbnackten Pärchens in über 10.000 Meter Höhe auf der Flugzeugtoilette noch einen ganz besonderen Kick, als sich süße Giftschlangen zur großen Freude der Zuschauer in ihren primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen festbeißen: „Freaky Bitch, get of my Dick!“ In diesem, leider etwas zu kurz geratenem Abschnitt ist „Soap“ der erhoffte Partyfilmknaller geworden, bei dem man zwischen den einzelnen, bösartig-phantasievollen Attacken auf Kehlköpfe und Lachmuskeln kaum noch zum Luftholen kommt.
Nach der ersten gewaltigen Schlangeninvasion, die allein schon Dank ihrer schieren Masse an aufgefahrenen Kriechviechern zu überzeugen versteht, ändert sich der Ton des Films schlagartig. Von nun an treten die Schlangen immer stärker in den Hintergrund, dienen nur noch als die eigentlich austauschbare Gefahr, die man in einem Katastrophenfilm nun einmal braucht. Und funktionierten die Schlangen als ausgesprochen amüsante Variation eines Slaher-Killers noch hervorragend, kann Ellis dem Genre Katastrophenfilm mit „SoaP“ kaum neue Facetten abgewinnen (nur, dass der auf der Passagierliste stehende Arzt schon tot ist, als er zum ersten Mal gebraucht wird, ist mal erfrischend anders) – wäre nicht hin und wieder das aufmunternde Zischen zu hören, würde dieser Teil des Films kaum aus dem Durchschnitt der 08/15-Genreware herausstechen. Vor allem der nun einsetzende Handlungsstrang am Boden, in dem FBI-Agenten die Quelle der illegalen Schlangen zu ermitteln versuchen, kommt ohne eine einzige interessante Idee aus – natürlich kann man diesen Teil im Sinne einer funktionalen Dramaturgie auch nicht ganz weglassen, aber man hätte sich mit Sicherheit etwas zumindest leidlich unterhaltsames einfallen lassen können.
„Enough is enough! I had enough with this motherfucking Snakes on this motherfucking Plane!“ Die einzige Aufgabe von Samuel L Jackson (Pulp Fiction, Freedomland) in „SoaP” scheint das supercoole Schmettern von geschliffenen Onelinern zu sein – und diese erledigt er wie gewohnt mit Bravour: „Snakes on Crack. That´s good News!“ Was den Rest der Figuren angeht, macht das Drehbuch aber einfach zu wenig aus ihren speziellen Eigenschaften. So darf Rachel Blanchard (Wahre Lügen, Trouble ohne Paddel) als Society-Girl zwar um ihren gefressenen Zwerghund weinen und einen wunderbar selbstironischen Spruch („Hi, my name is Mercedes – like the Car, brumm, brumm.“) bringen, schlägt aus ihrer Paris-Hilton-Parodie insgesamt aber kaum Kapital. Ähnlich ergeht es auch dem Rapper, dem Kickboxer oder dem nervigen Typen mit Flugangst – nur der Computerspiel-Freak erhält seinen eigenen großen Auftritt. Hier verschenkt Ellis vollkommen unnötig jede Menge Party-Potential.
Insgesamt sind die nahezu unerschöpflichen Szenenvorschläge und Dialogzeilen in den Internet-Foren lustiger als die Trash-Elemente, die es schlussendlich in den Film geschafft haben. Der ganze Hype drumherum ist wohl aufregender als der Katastrophenflug selbst und der Erfolg von Brian Finkelstein, der sich mit Hilfe seiner Homepage www.snakesonablog.com eine offizielle Einladung zur „SoaP“-Remiere inklusive rotem Teppich, Anreise und Übernachtung erblogt hat, höher einzuschätzen als der von Regisseur David R. Ellis. Natürlich beschert einem „Snakes On A Plane“ 105 unterhaltsame Minuten, nur das von vielen erwartete unvergessliche Kinoerlebnis, das die Art des Filmemachens für alle Zeiten umkrempeln würde, ist es halt definitiv nicht geworden.