Claude Chabrol gilt als einer der besten Regisseure Frankreichs. In seinem neuesten Film „Geheime Staatsaffären“ fühlt der Altmeister der französischen Wirtschaft gehörig auf den Zahn und nimmt sich in seinem Polit-Thriller des Skandals um Elf Aquitaine an, der 2003 in ganz Europa für Aufsehen sorgte.
Dabei ist der deutsche Titel des Films eher irreführend. Denn mit der Verstrickung der obersten politischen Elite in diesen Bestechungsskandal hat „Geheime Staatsaffären“ fast gar nichts zu tun. Der französische Originaltitel „L’Ivresse Du Pouvoir“, der übersetzt etwa Machttrunkenheit bedeutet, fasst den Inhalt wesentlich besser zusammen, denn in erster Linie geht es um die Untersuchungsrichterin dieses - im Film allerdings von Anfang an selbstverständlich als gänzlich fiktivem Fall gekennzeichneten - Skandals. Diese Untersuchungsrichterin ist Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert). Sie lässt Firmen-Chef Humeau (Francois Berléant) verhaften und versucht, ihm und seinen Partnern Veruntreuung von Geldern, Bestechung und ähnliche Delikte nachzuweisen. Ihre Untersuchung wird vom Emporkömmling Sibeaut (Patrick Bruel) mit Informationen unterstützt, der dabei natürlich selbst Karriere machen will. Während Humeau unter der rauen Behandlung im Gefängnis langsam weichgekocht wird und erste Aussagen macht, rückt Jeanne der nächsten Reihe von Mittätern auf die Pelle.
Als sie erkennt, wie ihre Macht über die Wirtschaftsbosse zunimmt, berauscht sie sich förmlich an ihrem eiskalten Vorgehen und geht immer kaltblütiger mit ihren Zeugen, den Verdächtigen und schließlich im Privatleben mit ihrem Mann Philippe (Robin Renucci) um. Doch ihre Vorgesetzten legen ihr Steine in den Weg und teilen ihr die als Zicke verschriene Erika (Maryline Canto) als Partnerin zu. Schließlich wird sie in einen mysteriösen Autounfall verwickelt und bekommt Bodyguards zugeteilt. Der Fall zieht auch in ihrem Privatleben immer größere Kreise und Jeanne droht, die Kontrolle über die Situation zu verlieren.
In ihrer inzwischen siebten Zusammenarbeit verlässt sich Regisseur Claude Chabrol („Die Blume des Bösen“, „Biester“, „Rien Ne Va Plus“) ganz auf die Darstellungskraft seiner Hauptdarstellerin. Spätestens seit „Acht Frauen“ von Francois Ozon ist auch in Deutschland bekannt, wie hervorragend schroff, eiskalt und abweisend Isabelle Huppert (I Heart Huckabees, „Die Klavierspielerin“, „Biester“) ihre Charaktere darstellen kann. Auch in „Geheime Staatsaffären“ nutzt sie ihr Talent voll aus und überzeugt mit einer kantigen, aber auch an den geeigneten Stellen komisch wirkenden Performance. Die Untersuchungsrichterin ist der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Geschichte, hinter die alle anderen Aspekte zurücktreten. Die facettenreiche Protagonistin ist die eigentliche Entdeckung der „Geheimen Staatsaffären“. Ein Zuschauer, der nicht viel über den Elf-Aquitaine-Skandal weiß, wird diesen Vorfall mit dem Spielfilm auch nicht in Verbindung bringen, weil die Anspielungen eher nur für Experten und Eingeweihte deutlich sind.
Der Film wirbt aber eben doch mit der Berufung auf reale Ereignisse, gerade dadurch, dass er sie am Anfang als reinen Zufall darstellt. Darin liegt sein großes Defizit, denn „Geheime Staatsaffären“ bringt in diesem Punkt einfach überhaupt keine neuen Erkenntnisse. Dass Firmenbosse zum Teil äußerst korrupt sind, ist auch für uns Europäer inzwischen keine schockierende Neuigkeit mehr. In der Aufrollung des Falls beschränkt sich das Drehbuch aus der Feder von Chabrols Angetrauter Odile Barski auf oberflächliche Verhöre, in denen lediglich zugegeben wird, dass die beteiligten Unternehmer Gelder für private Zwecke veruntreut haben und wie exquisit ihr daraus finanzierter Lebensstil aussieht. Die großen Verbindungen zur politischen Elite und deren Protektionismus für diese Art von Geschäften bleibt die meiste Zeit völlig im Dunkeln. In dieser Hinsicht darf sich der Zuschauer von Cabrols neuem Film leider nicht allzu viel erwarten. In die große Politik wird sich doch eben nur zurückhaltend eingemischt. Stattdessen konzentriert sich der Film auf die Person von Jeanne Charmant-Killman und ihre persönliche Geschichte, die aber hervorragend ausgearbeitet ist. Tatsächlich haben Untersuchungsrichter in Frankreich ausgesprochen viele Befugnisse, wenn es um die Aufdeckung und Recherche in Verbrechensfragen geht. Diese Macht kann Isabelle Huppert gut in sich bündeln, letzten Endes unterwerfen sich ihr fast alle Widersacher, während die Beziehung zu ihrem ruhigen, nachdenklichen Ehemann unter den Entwicklungen und ihrem beruflichen Erfolg leidet.
Trotz seiner Hänger in Sachen Skandalaufdeckung findet „Geheime Staatsaffären“ sein Publikum gerade über den Humor. Das beweisen allein die Namen der in der Story verbundenen Charaktere. Mit viel Witz nähert sich Chabrol dem eigentlich überhaupt nicht so lustigen Wirtschaftsskandal und eröffnet durchweg interessante Nebenkriegsschauplätze zwischen den einzelnen Figuren, auf denen verbal gnadenlos und ohne Rücksicht auf Verluste gekämpft wird. Im Gegensatz zu einem einfachen Wirtschaftsfilm porträtiert „Geheime Staatsaffären“ den persönlichen Werdegang einer karriere- und gerechtigkeitsbesessenen Justizbeamtin. Darin liegt eindeutig seine Stärke, die dadurch etwas gemindert wird, dass der Titel einfach falsche Erwartungen weckt. Wenn man sich auf eine satirisch inszenierte Charakterstudie freut, ist man mit diesem Film sehr gut und vor allem unterhaltend beraten.