Noch nie wurden die Folgen einer atomaren Katastrophe eindrucksvoller dargestellt als in dem US-amerikanischen Fernsehfilm „The Day After“. Regisseur Nicholas Meyer, der ein Jahr zuvor 1982 noch das unverfängliche Sci-Fi-Abenteuer Star Trek - Der Zorn des Khan gedreht hatte und Autor Edward Hume zeichnen in ihrer Fiktion eines Atomkrieges das deprimierende Bild des infrastrukturellen, gesellschaftlichen und individuellen Verfalls. „The Day After“ hatte in den USA eine Einschaltquote von 100 Millionen Zuschauern und gilt bis dato als der erfolgreichste Fernsehfilm überhaupt. In Deutschland kam der Schocker sogar in die Kinos und erreichte dort 3,6 Millionen Besucher.
Das Säbelrasseln der Staaten kennt jeder aus Zeitung und Fernsehen, doch für die Figuren in Nicholas Meyers Film entwickelt sich in Zeiten des Kalten Krieges aus Drohgebärden eine reale Katastrophe. Eine Krise in Deutschland – die Sowjets marschieren nach einer Blockade Berlins und eines Angriffs der NATO-Truppen in die Bundesrepublik ein – ist der Auslöser eines nuklearen Krieges, dessen Folgen der Zuschauer am Beispiel einiger Überlebender mitverfolgen kann. Der Hauptschauplatz des Films ist ein Krankenhaus in Lawrence, Texas, in dem Dr. Russell Oakes (Jason Robards), die Krankenschwester Nancy Bauer (JoBeth Williams) und weitere Ärzte versuchen, das Leben der Verwundeten zu retten. In einer Nebenhandlung leidet der Zuschauer mit dem jungen Stephen Klein (Steve Guttenberg), der sich mit einer Gruppe Überlebender zum Krankenhaus durchzuschlagen versucht. Szenen eines völlig verwüsteten Landes, das mehr und mehr im Chaos versinkt, dominieren den Film.
The Day After“ ist viel mehr als ein einfacher Katastrophenfilm, wenngleich er ein Desaster größtmöglichen Ausmaßes zum Inhalt hat. Hier wurden erstmalig massenwirksam die Folgen eines Atomschlags gezeigt. Er bündelt die in der Zeit des Kalten Krieges vorherrschenden diffusen Ängste und gibt dem Schrecken ein Gesicht. Auch wer eine Vorstellung eines nuklearen Krieges zu haben glaubt, wird durch die schonungslose Konsequenz des Films noch einmal überrascht. Dabei konzentrieren sich Regisseur und Autor nur auf die kurzfristigen Auswirkungen, ohne sich mit mittel- und langfristigen Folgen der radioaktiven Strahlung, mit gesellschaftlicher Verwahrlosung oder dem nuklearen Winter zu befassen. Doch auch so ist das Gezeigte schlimm genug.
Der Fernsehfilm folgt keiner herkömmlichen Dramaturgie. Er lässt sich in die drei Phasen Einleitung, Hauptteil und Schluss gliedern: die politische Entwicklung bis zum Atomschlag, der atomare Konflikt als Klimax und schließlich die kurzfristigen Folgen der Katastrophe. Doch der Schwerpunkt der Erzählung liegt eindeutig auf der Zeit nach der Detonation. Es geht um den mühseligen Kampf der Überlebenden und den Verfall der wenigen, den Atomschlag überdauernden Strukturen. Am Beispiel des im Krankenhaus arbeitenden Dr. Oakes wird die sich stetig verschlechternde Situation verdeutlicht. Früh wird klar, dass es keine Hoffnung gibt. Die Ärzte im Krankenhaus arbeiten bis zur völligen Erschöpfung oder bis sie selbst schließlich der Strahlenkrankheit erliegen. Was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen und die Überlebenden haben für die Kosten der atomaren Katastrophe aufzukommen. Dr. Oakes Arbeit ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der Opferflut sind weder die Ressourcen des Krankenhauses noch das Engagement der Ärzte und Freiwilligen gewachsen. Wer glaubt, wenigstens aus dem unermüdlichen Eifer, mit denen sich einige Figuren gegen ihr Schicksal auflehnen, einen Funken Hoffnung ziehen zu können, wird an anderer Stelle erneut enttäuscht: Die Hilfsbereitschaft mancher Überlebender versinkt in einem Meer der Verrohung.
Manche Kritiker schrieben, dass die Verdienste von „The Day After“ weniger künstlerischer Natur als vielmehr von thematischer Relevanz seien. Vielleicht ist es richtig, dass Nicholas Meyers Film vor allem aufgrund seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung zum Klassiker avanciert ist. Doch auch die handwerkliche Seite dieses äußerst präzisen Albtraums sollte nicht übersehen werden. Seine Fernsehherkunft macht sich in dem Film nicht negativ bemerkbar, die eingesetzten Mittel sind zu jeder Zeit adäquat und zweckdienlich. Das Chaos im Krankenhaus oder auf den Straßen, das über ein verstrahltes Feld irrende Mädchen, der langsame körperliche Verfall der Protagonisten – all diese Szenen verfehlen ihre Wirkung nicht. Es geht nicht darum, dem Zuschauer Mut zu machen. „The Day After“ zeigt auf, wozu es auf keinen Fall kommen darf! Der Film zettelte damals nach Hiroshima und Nagasaki die Diskussion über Krieg im Allgemeinen und den Einsatz von Atombomben im Besonderen an. Doch auch heute, zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges, hat Meyers Film immer noch höchste Aktualität. Das Vernichtungspotenzial der zur Verfügung stehenden Waffen hat sich im Vergleich zu den 1980er Jahren um ein Vielfaches vergrößert. Die Angst vor der totalen atomaren Vernichtung ist wohl abgelöst worden durch die diffuse Furcht vor Bioterrorismus oder ähnlichen Bedrohungen. Die Aussage von bleibt aber die gleiche. Dazu darf es niemals wieder kommen!
Fazit: „The Day After“ ist ein zutiefst bedrückendes Drama über einen Atomkrieg, bei dem Einzelschicksale geschickt in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Absolut sehenswert!