Nationalsozialismus. Thema zahlreicher Spielfilme und Dokumentationen, unzähliger Bücher, Unterrichtsstunden, Ausstellungen und Denkmäler. Auch das „schrecklichste Kapitel der deutschen Geschichte“ genannt. Eine hochsensible Angelegenheit – doch die Masse der Informationen führt zu einer Übersättigung, durch die viele schlicht das notwendige Interesse verlieren. „Sophie Scholl - Die letzten Tage“ erscheint nun mitten in einer Welle von Filmen wie „Der Untergang“ und „Napola“, die sich immer auf einer Gradwanderung zwischen korrekter Darstellung der historischen Ereignisse, pädagogischem Anspruch, Glaubwürdigkeit und Unterhaltung bewegen müssen. Regisseur Marc Rothemund erhielt für sein beeindruckendes Drama den Silbernen Bären bei der Berlinale, ebenso Hauptdarstellerin Julia Jentsch.
Die Geschwister Sophie (Julia Jentsch) und Hans Scholl (Fabian Hinrichs) versuchen, das ihnen Mögliche gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten zu unternehmen. Sie bringen Flugblätter in Umlauf und schreiben antifaschistische Parolen an Häuserwände. Am 18. Februar 1943 legen sie in der Universität von München Flugblätter über die Schlacht von Stalingrad aus, werden dabei beobachtet und anschließend verhaftet. An diesem Tag setzt der Film an und erzählt die folgenden Tage in Haft aus Sicht von Sophie Scholl.
Hierbei wird besonderes Augenmerk auf die Verhöre unter Leitung von Robert Mohr (Gerald Alexander Held) gelegt. Wie es Hans Scholl ergeht, wird bis auf den späteren Schauprozess nicht weiter beleuchtet. Vorteil dieser Methode ist, dass durch die Beschränkung auf eine Persönlichkeit die Identifikation leichter und dadurch ungleich stärker ist. Mohr wird als klassischer Mitläufer mit der Hitler-Bewegung gezeichnet. Für ihn ist das gültige Gesetz das höchste Gebot, auch wenn es vielleicht mit seinem eigenen Gewissen in Konflikt steht. Für Sophie entwickelt er offensichtliche Sympathie, auch wenn seine politischen Einstellungen gänzlich konträr sind. Immer wieder zeigt er ihr auf, wie sie sich selbst noch retten könnte. Sophies einleuchtend klingenden Argumente können ihn in seiner Festgefahrenheit erschüttern. Mit seinen Wutausbrüchen bestätigt er ständig, wie falsch er doch in Wahrheit liegt.
Alexander Held spielt diesen Charakter stets glaubhaft. Seiner Mimik ist zu entnehmen, wie er selbst zumindest Zweifel an seinen Ansichten hegt. Ist auch das, was er sagt argumentativ ab und an lächerlich, so leidet Helds Spiel nie darunter. Als Gegenpart von Julia Jentsch fällt ihm die zweitwichtigste Rolle zu, die er jedoch mühelos meistert. Nach zahlreichen Auftritten in TV-Produktionen ist dies seine erste bedeutende Rolle in einem Kinofilm. Julia Jentsch ist aktuell der Shootingstar des deutschen Films. Musste sie sich das Rampenlicht für ihren Auftritt in „Die fetten Jahre sind vorbei“ noch mit Daniel Brühl und Stipe Erceg teilen, so hat sie jetzt die Möglichkeit, den gesamten Film zu beherrschen. Dass die Presse sie zur ganz großen Neuentdeckung macht, ist berechtigt.
Julia Jentsch spielt ihre Sophie ausgesprochen facettenreich und niemals zu theatralisch. Zu Beginn lügt sie Mohr unverblümt an und kann den erfahrenen Verhandlungsführer täuschen. Als sie später mit der Wahrheit herausrücken muss, wird ihr Spiel immer offensiver. Auch in den Gebetsszenen, die leicht übermäßig dramatisch und unfreiwillig komisch sein könnten, fällt sie nicht ab. In den ausgefeilten Rededuellen mit Mohr weiß sie mit ihrer ruhigen Art die Szenen zu dominieren. Gefühlsregungen zeigt sie zwar deutlich sichtbar, aber dennoch sehr subtil. Wenn sie auf der Toilette die Tränen unterdrücken will, bleibt der Zuschauer nicht unberührt. Sie schafft es in jedem Moment, diese enormen Emotionen glaubhaft zum Publikum zu transportieren. Allein ihre Leistung ist das Eintrittsgeld wert. Einige ihrer Aussagen gehen einfach unter die Haut und hinterlassen bleibenden Eindruck.
Die geschliffenen Dialoge bedienen sich den Verhandlungsprotokollen der Gestapo, die lange Zeit in den DDR-Archiven vor sich hin staubten. Der Grund hierfür lag übrigens im Willen der Regierung, wohl über den sozialistischen, nicht aber über den konfessionell begründeten Widerstand im Dritten Reich zu berichten. Da „Sophie Scholl“ seine Faszination fast ausschließlich durch Figuren und Dialoge zu erwecken vermag, liegt im Gesprochenen der Knackpunkt. Die Argumente von Sophie und Mohr werden nicht nur beeindruckend dargestellt, sondern verdienen es einfach, gehört zu werden. Ähnlich wie in „American History X“ sind die Dialoge ideal, um sich selbst die Augen zu öffnen. Es ist nicht schwer zu erkennen, wer sich hier zu Unrecht an Pflichten und Gesetze klammert. Wenn Sophie sich auf ihr eigenes Gewissen beruft und Mohr dem faktisch nichts entgegenzusetzen hat, ist eigentlich alles eindeutig.
Regisseur Marc Rothemund hatte mit der peinlichen Tennie-Klamotte „Harte Jungs“ und der Durchschnittskomödie „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ bereits zwei Hits, dennoch verwundert es etwas, dass er sich im ihm fremden Genre behaupten kann. Seine Inszenierung im Stil eines Kammerspiels, das sich konsequent auf wenige Schauplätze und einfache Mittel beschränkt, funktioniert hervorragend. Das über die vollen zwei Stunden spannende Drehbuch schafft ihm genug Raum, um sich voll auf die Gesichter seiner Figuren zu konzentrieren. Die hektischen Abführszenen, in denen Sophie von Ort zu Ort gebracht wird, stehen im Kontrast zu den eher ruhigen Gegenüberstellungen im Verhörraum.
Besonders erwähnt werden muss André Hennicke, der den Scharfrichter Roland Freisler spielt. Mit dieser Figur wird dem Zuschauer ein absolut unmenschlicher Nazi präsentiert, der jegliches Gewissen zugunsten seiner Pflichten aufgegeben hat. In der Schauprozessszene schreit er zwar die meiste Zeit nur herum, aber genau das spielt Hennicke hervorragend. Ihm ist egal, um was es den Menschen geht, ihn interessiert nur, was sie getan haben und was für eine Strafe darauf steht. Von den Tugenden, welche die Scholl-Geschwister auszeichnen, ist ihm offenbar keine bekannt. Genau darin liegt die Aussagekraft von „Sophie Scholl - Die letzten Tage“: Ihre Zivilcourage und ihren Mut hätten viele Zuschauer vielleicht gerne selbst und der Film ist eine einzige Aufforderung, sich diese Eigenschaften zu eigen zu machen. Das eigene Aufopfern für die Idee – wer würde das bis in den Tod durchziehen? Wer kann von sich selbst behaupten, er hätte genauso gehandelt? Durch solche Fragen gelingt es dem Film, sehr stark zu bewegen und zum Nachdenken anzuregen. Im Abspann wird der Zuschauer vom Schock des Schlusses mit sanfter Unterhaltungsmusik besänftigt – in diesem Fall vielleicht dringend erforderlich.
„Sophie Scholl - Die letzten Tage“ ist natürlich pädagogisch wertvoll, doch zieht er längst nicht allein dadurch seine Kraft, sondern auch durch außergewöhnliche darstellerische Leistungen, Spannung trotz einer prinzipiell bekannten Geschichte, ein sehr gut strukturiertes Drehbuch und ansehnliche Regiearbeit. Julia Jentsch sei ihr Preis in jedem Fall gegönnt, von ihr ist noch viel zu erwarten. Wer sie in „Die fetten Jahre sind vorbei“ oder „Schneeland“ verpasst hat, dem sei ein Nachholen dringend ans Herz gelegt.