Schon mit seinem Anfang 1999 in den südkoreanischen Kinos gelaufenen Actionfilm Shiri hat Regisseur Je-gyu Kang bewiesen, dass erstklassige Actionszenen nicht unbedingt ein Budget im zwei- wenn nicht sogar dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich und ein Hollywood-Studio im Rücken brauchen. Seine fulminanten Actionszenen können es mit fast jedem Genrevertreter aus der amerikanischen Filmschmiede aufnehmen. Leider trifft dies auch auf Story und Dramaturgie zu, so dass das Endresultat leider ebenso mittelmäßig war, wie ein Großteil des amerikanischen Actionkinos. Durch den großen Erfolg von „Shiri“ in den südkoreanischen Kinos feierte dort der einheimische Film eine Art Wiedergeburt. Obwohl schon vorher sehr von staatlicher Seite gefördert und immer wieder mit erfolgreichen heimischen Produktionen in den Kinos, war erst dieser Erfolg die Initialzündung, die das südkoreanische Kino nicht nur zu Hause, sondern auch international wieder erfolgreich machte. Filme wie Chan-Wook Parks Joint Security Area und die danach folgende Rachetrilogie (Sympathy For Mr. Vengeance, Oldboy, Sympathy For Lady Vengeance) oder Exportschlager wie The Legend Of The Evil Lake, „My Wife Is A Gangster“ oder „Musa“ hätten ohne den Erfolg von „Shiri“ zum Teil vielleicht gar nicht die gleiche Beachtung bekommen, die ihnen nun widerfahren ist. Man könnte nun meinen, dass gerade jener Regisseur, der für diesen Boom verantwortlich ist, schnell einen neuen Film nachschieben würde, um mit seiner erlangten Popularität die Erfolgswelle auszunutzen. Doch was macht Je-gyu Kang? Er nimmt sich nach „Shiri“ erst einmal sehr viel Zeit für die Verwirklichung eines Herzensprojekts. Ganze fünf Jahre arbeitet er an „Brotherhood“, einem Kriegsfilm, der nach Aussage des Regisseurs die zwei Seiten des Krieges zeigen soll, die Gewalt und die emotionale, menschliche Seite. Mit viel Verspätung (in einem Großteil des internationalen Marktes gibt es den Film – teilweise allerdings ohne vorherige Kinoauswertung – schon auf DVD zu kaufen), kommt der Film nun auch in die deutschen Kinos.
Im Mittelpunkt von „Brotherhood“ steht ein Brüderpaar: Jin-tae (Dong-Kun Jang) und Jin-seok (Bin Wan). Schon früh starb der Vater der beiden, seitdem kümmert sich der ältere Jin-tae um seinen Bruder und um die Mutter (Yeong-ran Lee). Er hat die Schule geschmissen und verdient als Schuhputzer das nötige Geld. Später will er mal einen Schuhmacherladen eröffnen, vorher möchte er aber seinem Bruder Jin-seok die beste Ausbildung ermöglichen. Jin-seok, gerade 18 Jahre alt, ist Bester seiner Klasse und soll bald auf eine Eliteuniversität gehen. Jin-tae selbst steht noch kurz vor der Hochzeit mit seiner Verlobten Young-shin (Eun-ju Lee). Doch im Korea des Jahres 1950 überschlagen sich plötzlich die Ereignisse, welche das Leben und die Pläne der Brüder durcheinander wirbeln: Der Koreakrieg bricht aus, Jin-tae und Jin-seok werden zwangsrekrutiert. Die beiden Brüder halten nichts vom Krieg, wollten ihm so gut es geht entkommen, doch sie haben keine Chance. Nun setzt sich Jin-tae nur noch ein Ziel: Er will das sein jüngerer Bruder den Krieg überlebt, möglichst schnell die Truppen verlassen kann und bei der Mutter sowie Young-shin das Ende des Krieges abwarten kann.
Doch alle Bittstellen in diese Hinsicht laufen fehl. Die Vorgesetzten lassen den jüngeren Bruder nicht gehen. Dann bietet sich für Jin-tae eine Möglichkeit: Wenn er selbst die Tapferkeitsmedaille verliehen bekommen würde, dann kann sein Bruder nach Hause gehen. Von da an, riskiert Jin-tae immer wieder sein Leben. Er meldet sich zu jeder heiklen Mission freiwillig, geht ohne Rücksicht auf Kameraden und Verluste bei diesen gegen den Feind vor. Dabei steigert er sich immer mehr in einen Rausch herein, wird so besessen von der Jagd nach dem Feind, dass er vor nichts mehr halt macht. Das führt zur Entfremdung der beiden Brüder und damit nehmen die Schicksalsschläge erst ihren Anfang.
Nachdem Regisseur und Drehbuchautor Je-gyu Kang bei seiner zweiten Regiearbeit „Shiri“ eine recht schwache Story auffuhr und viele sich aufdrängende Elemente und Storylinien einfach liegen ließ, scheint er aus diesen Fehler gelernt zu haben. Während bei „Shiri“ die Story schlussendlich nur das Vehikel, der Mantel für eine Aneinanderreihung von (zugegeben erstklassigen) Actionszenen, können bei „Brotherhood“ beide Punkten größtenteils überzeugen und Je-gyu Kang zeigt nach den vielen überzeugenden Ansätzen in seinem Regiedebüt „The Gingko Bed“ (der hier in Deutschland unnötigerweise als „The Legend Of Gingko 2 - The Gingko Bed“ vermarktet wird) über weite Strecken, dass in ihm nicht nur ein guter Regisseur, sondern auch ein guter Autor steckt.
Die Geschichte ist weit entfernt von der Eindimensionalität unter der viele Kriegsfilme zu leiden haben. Im Verlauf der Geschichte gibt es einige Storywendungen, die überraschend sind und glaubwürdig in die Geschichte eingearbeitet werden. „Brotherhood“ ist dabei über weite Strecken ein starkes Drama, das sich mit der Wandelung des Charakters seines einen Protagonisten Jin-tae und die Auswirkungen auf das Verhältnis zu seinem Bruder beschäftigt. Dem Regisseur gelingt es dabei, diesen langsamen Charakterwandel glaubhaft darzustellen.
Neben diesem Dramaaspekt ist „Broterhood“ natürlich ein Kriegsfilm mit allem was dazu gehört. Mit einem Budget von nicht einmal 15 Millionen Dollar werden Schlachtszenen aufgefahren, die sich vor keinem Hollywoodfilm verstecken müssen. Wo man in Hollywood mit dieser Summe vielleicht ein bis zwei solcher Szenen inszenieren könnte (wenn überhaupt), hat der Film eine ganze Fülle davon. Hier geht Regisseur Je-gyu Kang schonungslos zu Werke, zeigt die ganze Brutalität des Krieges und beweist dass er ein begnadeter Actionregisseur ist. Heftige und sehr blutige Szenen, wie der Selbstmord eines Soldaten, bei dem ihm der halbe Schädel „wegplatzt“ sind keine Ausnahme, so dass der Film nichts für zartbesaitete Gemüter ist. Trotz dieser Szenen ist der Film ab 16 Jahren freigegeben, was wohl nur der Botschaft des Werks zu verdanken ist.
Die Brutalität der Szenen ist nicht nur reine Effekthascherei, sondern verdeutlicht wie zum Beispiel auch ähnliche Szenen in Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan (mit dem „Broterhood“ in internationalen Kritiken auffallend oft verglichen wird) die Abscheulichkeit von Krieg. Je-gyu Kang gelingt dazu eine überraschend differenzierte Sichtweise der beiden Parteien. Obwohl der Film aus südkoreanischer Sicht erzählt wird, gibt es keine typische „Südkorea gleich gut und Nordkorea gleich böse“-Verteilung, wie sie die meisten den Koreakriegs thematisierenden Filme aus Südkorea aufweisen. Ganz im Gegenteil platziert der Regisseur immer wieder Szenen, die mal mehr, mal weniger deutlich die südkoreanische Seite in ein schlechtes Licht rücken. Die ganzen Szenen kurz nach Kriegsbeginn sind ein klarer Seitenhieb gegen die Propagandapolitik Südkoreas (genau das, was man immer Nordkorea vorwirft). Zuhauf Berichterstattungen, die der aufmerksame Zuschauer schnell als Übertreibungen oder völlig falsch enttarnen kann, Soldaten, die sich unterhalten und denen die Sätze dabei von der Regierung in den Mund gelegt zu sein scheinen, und, und, und. Vorläufiger Höhepunkt ist eine Pressekonferenz mit Jin-tae, in welcher er spricht, als hätte die südkoreanische Seite ihm das Gehirn gewaschen. Später wird der Film noch deutlicher. Südkoreanische Milizen verhaften mehr oder weniger wahllos südkoreanische Bürger zwecks einer Untersuchung wegen Kommunismusverdachts. Die Untersuchung besteht aus zwei Dingen: An die Wand stellen und abknallen. Je-gyu Kang stellt hier die Handlanger der (eigenen) südkoreanischen Regierung in Parallelität zu nationalsozialistischen Schergen aus Filmen, die den Zweiten Weltkrieg thematisieren, dar.
Ganz hat Regisseur Je-gyu Kang aber noch nicht aus den Fehlern von „Shiri“ gelernt. Auch wenn die Story hier weitestgehend überzeugen kann, so ist die Gewichtung zwischen Action und Story nicht immer gelungen. Teilweise wird sich viel zu lange an den opulenten und bombastischen Kriegsszenen berauscht. Da muss die Story immer wieder pausieren und Platz machen für Kriegsaction nonstop. Aufgrund der erstklassigen Inszenierung dieser Szenen ist dies zwar über weite Strecken verschmerzbar und es wird sicher viele Zuschauer geben, die dies dem Film überhaupt nicht negativ anrechnen werden, aber es ist einer der wenigen Gründe dafür, dass „Broterhood“ es nicht ganz in eine Liga mit den besten Filmen seines Genres schafft.
Ein weiterer Grund ist die letzte halbe Stunde. Hier mutet Je-gyu Kang seiner Story zu viel zu. Das Ganze bleibt nicht überzeugend und wird zu überzogen sowie viel zu pathetisch. Wenn sich die Brüder dann auf dem Schlachtfeld anschreien (mehr sei aus Spoilergründen zum Ende nicht verraten), denkt man ein ums andere Mal „Nun ist aber gut, Jungs“. Darunter haben auch etwas die bis dahin tadellosen Leistungen der beiden Hauptdarsteller zu leiden. Vor allem Dong-Kun Jang, in Deutschland wohl am ehesten durch das Fantasy-Märchen „Wu Ji - Die Reiter der Winde“ und den direkt auf DVD veröffentlichten Actionfilm mit leichtem politischen Unterton „2009: Lost Memories“ bekannt, liefert eine hervorragende Vorstellung. An seiner Seite überzeugt Jungstar Bin Won (am ehesten bisher in dem leichten Actionfilm „Guns & Talks“ aufgefallen). Im Finale überdramatisieren die beiden Darsteller, so wie es das Drehbuch leider vorgibt, dann aber doch sehr stark.
Nichtsdestotrotz ist „Brotherhood“ bombastisches Actionkino par excellence, kann dabei im Gegensatz zu vielen anderen Action- und Kriegsfilmen, welche die deutschen Kinos in jüngerer Vergangenheit erreicht haben, über weite Strecken auch auf Storyebene beeindrucken. Ein lohnender Kinobesuch und Je-gyu Kang ist ein Regisseur, den es weiter zu beobachten gilt.