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    Schande
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schande
    Von Ulf Lepelmeier

    Auch Jahre nach der Abschaffung der Apartheid ist Südafrika noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Jahrzehnte der Ausbeutung, Unterdrückung und Abgrenzung haben eine gespaltene Gesellschaft entstehen lassen, die von Hass und allgegenwärtiger Gewalt geprägt ist. Während die frühere weiße Elite sich hinter hohen Zäunen versteckt und den Wegfall ihrer Privilegien betrauert, finden sich die vormals unterdrückten Schwarzen in einer täuschenden Aufbruchstimmung wieder, die ihnen die Möglichkeit eines Lebens jenseits der Armut suggeriert. Aber auch Neid und Abscheu gegenüber den ehemaligen Machthabern sind permanent gegenwärtig und führen zu einer erschreckend hohen Kriminalitätsrate und besonders grausamen Verbrechen. Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee entwickelte in seinem vielfach ausgezeichneten Roman „Schande“ in kühler und messerscharfer Prosa ein bitteres Kammerspiel vor der Kulisse dieser Post-Apartheids-Tristesse. Der aus Australien stammende Regisseur Steve Jacobs („La Spagnola“) hat sich nun mit feinem Gespür für die Stimmung der Vorlage an die Verfilmung des Meisterwerks gewagt und es ist ihm ein beeindruckendes, geradezu niederschmetterndes Drama gelungen, nicht zuletzt dank eines perfekt in der Rolle des Misanthropen David Lurie aufgehenden John Malkovich.

    David Lurie (John Malkovich) ist Professor für Kommunikationswissenschaften und doziert an einer Universität in Kapstadt über die Dichter der Romantik. Der bereits zwei Mal geschiedene Egozentriker und Feingeist nutzt seine Machtposition ohne Skrupel aus und verführt eine seiner Studentinnen. Doch schon bald kommt die Affäre mit der schüchternen, dunkelhäutigen Melanie (Antoinette Engel) ans Tageslicht und Lurie wird nahe gelegt, Reue zu zeigen und sich publikumswirksam für den mittlerweile in den Medien kursierenden Fall zu entschuldigen. Doch der mit seinem Alter hadernde 52-jährige Professor ist zu stolz, um hierauf einzugehen und verliert seine Anstellung. Er verlässt Kapstadt und fährt zu seiner alleinstehenden Tochter Lucy (Jessica Haines), die eine abgeschiedene Farm mit Hundepension auf dem Land bewirtschaftet. Als drei Schwarze die beiden überfallen und Lucy vergewaltigen, verwandelt sich das vermeintliche Idyll in einen albtraumhaften Ort…

    Im Jahre 1999 konnte der aus Südafrika stammende Schriftsteller J.M. Coetzee („Leben und Zeit des Michael K.“, „Im Herzen des Landes“, „Eiserne Zeit“) für seinen Roman „Schande“ zum zweiten Mal den renommierten Booker-Preis entgegennehmen. Der Autor verschafft seinen Lesern einen schonungslos-ergreifenden Einblick in die persönlichen Abgründe seines komplex gezeichneten Protagonisten sowie in den Wandlungsprozess einer in sich zerrissenen Gesellschaft. Um der äußerst präzisen Sprache des Romans und seiner realistischen Anmutung gerecht zu werden, wählt Regisseur Jakobs eine Erzählstruktur, die dem Zuschauer Raum für eigene Gedanken lässt. Er übersetzt Geist und Stimmung der Vorlage geschickt in vielschichtige Bilder, vor allem, indem er den inneren Kämpfen der Figuren Aufnahmen gegenüberstellt, die die Weite der südafrikanischen Landschaft einfangen.

    John Malkovich (Gefährliche Liebschaften, In The Line Of Fire, Burn After Reading) ist die Idealbesetzung für den facettenreichen Protagonisten David Lurie, der für das naturverbundene Leben seiner Tochter kein Verständnis aufbringen kann und sich trotz seiner Fähigkeit zur Selbstreflexion nicht mehr in der Lage sieht, seine Denk- und Verhaltensweisen der neuen Realität anzupassen. In Malkovichs Augen ist die Verachtung gegenüber den Menschen förmlich ablesbar und sein monoton-verächtlicher Tonfall spiegelt seine Arroganz und sein Desinteresse gegenüber den Belangen seiner Mitmenschen hervorragend wieder. Der Veteran verkörpert den hedonistischen Zyniker ebenso herausragend wie den von Schuldgefühlen geplagten Vater.

    „Es ist bewundernswert, was du tust, was sie tun, aber für mich sind Tierschützer ein wenig wie gewisse Christen. Alle sind so voll guten Mutes und bester Absichten, dass es einen nach einer Weile juckt, loszuziehen, um ein bisschen zu vergewaltigen und zu plündern. Oder einer Katze einen Tritt zu verpassen.“ (David Lurie in J.M. Coetzees Roman „Schande“)

    David Luries Tochter Lucy entwickelt sich im Verlauf des Films von einer lebensbejahenden jungen Frau in eine gebrochene Person, die ihr Bedürfnis nach respektvoller und menschenwürdiger Behandlung ablegt. Sie scheint nach ihrer Vergewaltigung nicht mehr für sich selbst zu existieren, sondern nur noch für die Sühne der Apartheid-Verbrechen der Weißen zu leben. Jessica Haines meistert diese schwierige Wandlung äußerst beachtlich und besteht damit sogar neben dem großartigen John Malkovich. Während Davids Umgang mit dem Verbrechen, sein Drängen nach Aufklärung und Gerechtigkeit sowie seine Überlegungen, Südafrika zu verlassen, stets nachvollziehbar sind, bleibt Lucys Position der Reue und Selbstaufgabe ein Rätsel. Ihr demütiges Verhalten und ihr Umgang mit der sich ergebenden skandalösen Situation haben etwas Quälendes: Wieso sollte die bodenständige junge Frau sich von Demut und Schuld so zerfressen lassen? Kann sie wirklich an eine Zukunft auf ihrer Farm glauben, die ihr nicht mehr Freiheiten lässt als den Hunden in ihren Zwingern, die durch ihr Geheul die Ruhe der südafrikanischen Landschaft zerschneiden? Das düstere und pessimistische Ende fängt die Lebenswirklichkeit Südafrikas treffender ein als einem lieb sein kann.

    „Schande“ ist eine gelungene Literaturverfilmung mit einem überragenden Hauptdarsteller, die dem Geist des gefeierten Romans von J.M. Coetzee gerecht wird. Das bittere Drama um Selbstaufgabe, Unterdrückung und Schuld erschüttert mit seiner Darstellung einer von Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit geprägten Realität.

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