Tagtäglich geschehen in mehr oder weniger entlegenen Winkeln der Welt Gräueltaten, von denen die meisten Menschen nie etwas mitbekommen. Vermutlich ist es unter anderem ihre schiere Unzahl, der die Täter zu verdanken haben, dass daran selbst die globale, aber eben doch selektiv funktionierende, massenmediale Kommunikation nichts geändert hat. Hin und wieder kommt es vor, dass engagierte Produzenten und Filmemacher eine dieser Schieflagen der Gerechtigkeit zum Thema und damit zum Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit machen. Zweifelsohne war das auch das ehrenhafte und erklärte Ziel von Regisseur Gregory Nava (Co-Autor von Frida) und seiner Hauptdarstellerin Jennifer Lopez. Ihrem neuen politischen Thriller „Bordertown“ lieh sie nicht nur ihre Präsenz als Star, sondern auch ihr Kleingeld in ihrer Rolle als Produzentin. Thema sind eine Reihe von Morden an jungen Mädchen, die sich in der Nähe der mexikanischen Grenze zu den USA abspielen und denen kaum Bedeutung beigemessen wird. Bevor sie den Vergewaltigern und Mördern zum Opfer fallen, verdienen sie sich als austauschbare Einheiten mit einem Tageslohn von umgerechnet fünf Dollar ihren Lebensunterhalt in den Fabriken („maquiladoras“), die unter skandalösen Arbeitsbedingungen billige Konsumgüter für den US-amerikanischen Markt herstellen. Mit einer buchstäblich benachbarten Thematik hat sich im letzten Jahr bereits Before Sunrise-Regisseur Richard Linklater auseinandergesetzt. In Fast Food Nation dokumentierte/verfilmte er mit Starbesetzung die Zustände der auf amerikanischer Seite befindlichen Produktionsstätten für Fast-Food-Fleisch. Trotz einiger Schwächen des Films lieferte Linklater damit aber noch ein im Schnitt vertretbares und kritisches Werk zum Thema ab. Was beide Filme miteinander teilen, ist ihre offensichtliche Manipulation des Zuschauers. Während dies bei „Fast Food Nation“ größtenteils noch zwischen den Zeilen geschieht, langte Regisseur Gregory Navas mit „Bordertown“ aber in die Vollen und prompt voll daneben: Fast alles an dieser amerikanisch-britischen Produktion schmeckt so überwürzt, dass das Mitleid des Zuschauers am Ende nicht mehr den Opfern, sondern dem Film selbst gilt.
Lauren Adrian (Jennifer Lopez, The Cell, Manhattan Love Story) ist eine engagierte Journalistin, deren größtes Ziel darin besteht, von ihrem Chef als Auslandskorrespondentin eingesetzt zu werden. Bevor es in die große weite Welt geht, schickt ihr Chef George Morgan (Martin Sheen, Apocalypse Now, Wall Street, Bobby) sie aber erst in die mexikanische Grenzstadt Juraez, um einen Bericht über die Morde an den jungen Arbeiterinnen zu verfassen. Widerwillig lässt sie sich auf den Job ein, um im Gegenzug den begehrten Status als Korrespondentin zu erlangen. Kaum eingetroffen, bekommt sie Wind von der Geschichte der vergewaltigten Eva (Maya Zapata, The Three Burials Of Melquiades Estrada), die gegen Willen und Wissen ihrer Peiniger mit dem Leben davonkam. In dem jungen Mädchen sieht Lauren ihre Chance zu der perfekten Story, die ihrer Karriere den nötigen Schub verleihen kann. Zusammen mit der Hilfe ihres Ex-Lovers Diaz (Antonio Banderas, Die Legende des Zorro, „Desperado“), der die Tageszeitung „El Sol De Juarez“ leitet, will die ehrgeizige Journalistin Eva vor ihren Peinigern bewahren und diese zur Strecke bringen. Diaz verbreitet derweil über sein Publikationsorgan eine Reihe unbequemer Nachrichten, was ihn zur Zielscheibe der Reichen und Mächtigen im Ort werden lässt. Im Laufe der Geschichte wird auch Lauren immer tiefer in die Machenschaften dieser Oberschicht verwickelt. Nach und nach sieht sie in Eva nicht mehr nur ein Sprungbrett für ihre Karriere, sondern findet einen Teil von sich selbst in ihr wieder. Schließlich setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel, als sie sich im Selbstversuch als Arbeiterin in Evas maquiladora ausgibt, um die Mörder und ihre Helfer aufspüren zu können.
Das alles hätte durchaus ein politisch wichtiger und spannender Thriller werden können. Hätte. Denn schon nach einigen beeindruckenden Minuten Bilderflut durch mexikanische Armut nimmt das filmische Elend seinen Lauf. So offenbart das Drehbuch eine seiner größten Schwächen in der merkwürdigen Konstruiertheit, die es Lauren immer wieder erlaubt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wäre sie nicht zufällig zur Stelle, als Eva auf der Suche nach Hilfe bei der „El Sol De Juarez“ beinahe abgewiesen würde, gäbe es nicht einmal den Grund für den gesamten Plot. Unnatürlich und hölzern wirken auch eine ganze Reihe von Dialogen, die sich zwischen Lauren und Eva abspielen. Sie führen dazu, dass die gepeinigte junge Frau auf den Status eines naiven Mädchens reduziert wird, was durch einige Bilder („Mädchen riecht an duftender Blume“ etc.) noch weiter verstärkt wird. Der fragwürdige Höhepunkt dieses ungleichen Verhältnisses wird erreicht, als Eva von Lauren darüber aufgeklärt wird, was es mit dem Begriff der „Karriere“ auf sich hat. So zutreffend man die Beschreibung auch finden mag – sinngemäß: „Eine Karriere ist ein Job, für den Du alles tust. Und wenn Du ihn hast, willst Du ihn nicht mehr.“ – die Notwendigkeit und die Form der Belehrung rücken Eva automatisch in das klischeehafte Licht einer Hinterwäldlerin. Diese üble Manipulation des Zuschauers zur Erregung von Mitleid wird auf allen Ebenen fortgesetzt, nicht zuletzt auf akustischer Ebene: Wenn nicht gerade mit leidenden Bratschenklängen über Gebühr dramatisiert wird, nervt eine überzogen in den Vordergrund gedrängte Lärmkulisse, die offensichtlich den erdrückenden Klangteppich von Juarez darstellen soll. Hübsch garniert wird das Ganze von ein wenig Effekthascherei. Die äußert sich mal in Form von billigen Schockeffekten, die einem ebenso wertvollen Horrorfilm entliehen sein könnten, mal in dämlichen Verfolgungsjagden. Natürlich wurde auch an Sex nicht gespart und einer ach gar unglücklichen Liebesgeschichte. Tough luck for Jenny from the Block.
Letztere ist mit ihrer misslungenen Darstellung eines schon inkonsequent angelegten Charakters ein weiterer Unfall. So behauptet Lauren einerseits, kein Spanisch zu sprechen, versteht aber scheinbar jedes Wort und kann meistens auch ziemlich flüssig antworten (gern auch auf Englisch und Spanisch nacheinander – wie wär’s mit Untertiteln gewesen?). Sollte dieser Widerspruch beabsichtigt sein, mag das mit dem Verleugnen ihrer Herkunft ihrer Kindheit wegen zu tun haben, die in pein-lichen Rückblenden gezeigt werden. Ihre Versuche, tough aufzutreten, wirken wahlweise krampfhaft oder hysterisch und ob sie ihr selten schlecht geplanter Feldeinsatz als smarte und mutige oder doch eher nur dumme und naive Reporterin auszeichnet, mag jeder für sich entscheiden. Zum Glück gibt es ja wenigstens dann doch noch den obligatorischen Auftritt im Abendkleid und auch nach mehrfachem Fast-Umgekommensein erstrahlt die sexy Sängerin maximal mit schüchternen Blessuren auf dem Gesicht. Schön anzusehen, keine Frage... Überzeugenderes liefern in den Nebenrollen vor allem Antonio Banderas als selbstloser Zeitungsmacher, der sich einfach mal nicht von der schönen Ex rumkriegen lässt, aber auch Maya Zapata als Eva und Martin Sheen in einer ihm auf den Leib geschriebenen Rolle als Redaktionsleiter. Retten konnte das aber leider auch nichts mehr.
So gespannt man Jennifer Lopez ihren ambitionierten Sprung in seriöse filmische Gefilde also auch gegönnt haben mochte (oder auch nicht), mit „Bordertown“ ist sie auf ganzer Linie gescheitert, und das ist nur sehr bedingt ihr alleiniges Verschulden. Neben ihrer Leistung als Darstellerin sind es die hölzernen Dialoge und ein ganzer Haufen deplazierter und überzogener Elemente, die den gesamten pathetischen Tonfall des Films einfach zu oft in unfreiwillige Komik umkippen lassen. Das ist nicht nur schade, sondern ziemlich bitter, weil die unzweifelhafte Ernsthaftigkeit des Sujets dabei übel in Mitleidenschaft gezogen wird. Und das bei einem Film, der aufgrund der politischen Situation überhaupt erst unter schwierigsten Bedingungen entstehen konnte. Die NAFTA (North American Free Trade Agreement), die den freien Handel zwischen Mexiko und USA gewährleistet, hat entlang der Grenze zu unhaltbaren Zuständen geführt, die dringend eine größere Aufmerksamkeit verlangen. Die jungen Arbeiterinnen und Arbeiter sind Opfer der Globalisierung, deren Schreie oft unerhört bleiben, weil der ökonomische Wert ihres Menschenlebens gleich Null ist. Austauschbarkeit ist das Stichwort. Insofern bleibt schließlich nur zu hoffen, dass die Namen Lopez und Banderas dennoch genug Anziehungskraft ausüben können, um den Opfern die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie verdient haben.