Erste und letzte Werke von Regisseuren, gerade von denen, die sich einen großen Namen gemacht haben, besitzen etwas Auratisches. Sie werden oft als etwas Symbolisches angesehen. In ihnen scheint demnach etwas zu stecken, das paradigmatisch für das gesamte Schaffen steht, dieses abschließt, vollendet oder überragt. Vieldiskutiert und strittig ist dies anhand Kubricks Eyes Wide Shut, unstrittig bei Pasolinis Salo - Die 120 Tage von Sodom zu sehen. Ingmar Bergman, der des Öfteren behauptet hatte, seinen endgültig letzten Film zu drehen, tat dies dann wirklich, als er im Jahr 2003 das Drama „Sarabande“ vorlegte. Von einem krönenden Abschluss seines Oeuvres zu sprechen, dürfte etwas übertrieben sein. Dennoch bekommt der Zuschauer Bergman pur. Um nur vier Figuren, die insgesamt drei Generationen einer Familie repräsentieren, entspinnt sich ein psychologisches Drama um Liebe, Hass und Eifersucht. Mit viel Gespür für Feinheiten gelingt es Bergman, in das Alltagsidyll verstörende und zutiefst emotionale Bruchstellen einzubauen.
Marianne (Liv Ullmann) beschließt, einer inneren Stimme folgend, nach gut 30 Jahren zu ihrem Ex-Mann wieder Kontakt aufzunehmen. Johan (Erland Josephson) wohnt in einem kleinen Haus mitten im Wald. Sein Sohn Henrik (Börje Ahlstedt) ist vor kurzem mit seiner Tochter Karin (Julia Dufvenius) ganz in die Nähe gezogen. Zwischen Vater und Sohn herrscht eisige Kälte. Henrik konzentriert sich voll auf den Unterricht seiner Tochter, da er für sie eine Karriere als Solo-Cellistin im Sinn hat. Immer wieder kommt es jedoch auch zwischen diesen beiden zu Spannungen und kleineren Reibereien. Was ihre Situation zudem permanent beschwert, ist die gemeinsame Trauer um die verstorbene Frau bzw. Mutter Anna. Als nun Marianne nach langer Zeit der Abwesenheit im Leben von Johan, Henrik und Karin auftaucht, beginnen Konflikte aufzubrechen, die seit langem im Stillen verborgen lagen. Ihre Anwesenheit bedeutet gerade für Karin eine weibliche Bezugsperson, mit der sie sich über intime Dinge austauschen kann. Eines Tages findet sie einen Brief ihrer verstorbenen Mutter, der Wahrheiten enthält, die ihr bis dahin nicht bewusst waren. Nach der Lektüre des Briefs ist ihre Welt nicht mehr dieselbe wie zuvor…
Die Geschichte, die in „Sarabande“ erzählt wird, ist, je nach Zählung, in zwölf bzw. zehn Teile untergliedert. Sie setzt sich aus zehn einzelnen Kapiteln, die Überschriften tragen, einem Prolog und einem Epilog zusammen. Die Rahmenhandlung ist zeitlich von der eigentlichen Haupthandlung abgegrenzt. Der Prolog zeigt eigentlich die Erzählerin der Geschehnisse – Marianne. Sie spricht direkt mit dem Zuschauer und scheint sich auch ihrer „Rolle“ als Erzählerin bewusst zu sein. Erst als sie auf Johan trifft, ignoriert sie die Anwesenheit der Kamera. Im Epilog reflektiert sie dann die Bedeutung der Ereignisse, die diese für sie ganz persönlich darstellt. Diesen Rahmen nutzt Bergman, wie zum Beispiel auch in „Das Schweigen“ und „Persona“, um die Künstlichkeit dessen ins Bewusstsein zu rufen, was dazwischen gezeigt wird. Die Geschichte bekommt damit etwas Parabel-artiges, das auf eine bestimmte Art gelesen werden kann. Wie genau, muss jeder für sich selbst entscheiden. Gleichzeitig referiert die strenge Form, in der das Geschehen wiedergegeben wird, an eine musikalische Komposition.
Der Titel von „Sarabande“ weist in diesem Sinne sogar selbst darauf hin, in welcher Weise Bergman den Film komponiert hat. Die Sarabanden waren langsame Tänze innerhalb eines größeren Zusammenhangs, der als Suite bezeichnet wird. Tatsächlich können auch die Bewegungen der vier Figuren als Tanz begriffen werden. Interessanterweise treffen während des ganzen Films immer nur zwei Personen aufeinander und vollführen quasi einen Zweiertanz. Ein ganz ähnliches Bild zeigt sich beim Blick auf andere Gestaltungsmittel. Die Länge der einzelnen Einstellungen, Schnitt, Kamerabewegung, usw. folgen alle einem gemäßigten aber beschwingten Rhythmus. Von dieser Perspektive aus verwundert es umso mehr, dass Bergman selbst sich dagegen wehrte, „Sarabande“ in Kinos zu zeigen. Nach Bergmans Gusto sind alle Filme nach „Fanny und Alexander“ nicht mehr für die große Leinwand konzipiert gewesen, sondern für das Fernsehen. Neben den erwähnten kunstvollen Elementen lassen sich so auch durchaus Aspekte benennen, die „Sarabande“ mehr zum Fernsehfilm machen, als zum Kinofilm. Ein Großteil der Handlung vollzieht sich nämlich über Dialoge bzw. Monologe. Das Drehbuch aus der Feder von Bergman ist sehr stark in seiner Theaterarbeit verwurzelt, die einen ebenso wichtigen Bestandteil seines Schaffens ausmacht, wie die Arbeit am Film.
Ein immer wiederholtes Qualitätsmerkmal des bergmanschen Kinos ist sein Umgang mit Schauspielern. Aus ihnen holte er mit viel Empathie exakt das heraus, was für das perfekte Funktionieren der Szenen von Nöten war. Dies wiegt in „Sarabande“, wie auch in anderen kammerspielartigen Bergmanstreifen wie „Der Ritus“, umso schwerer, da über das Schauspiel die Geschichte erst richtig zum Leben erweckt wird. Man sollte es sich daher nach Möglichkeit nicht nehmen lassen, „Sarabande“ im Original mit Untertiteln anzuschauen, da in der Synchronfassung viele Nuancen, bisweilen die Glaubwürdigkeit der Charaktere, in Extremfällen sogar die Nachvollziehbarkeit der Handlungen, verloren gehen.
Zwei der Charaktere – Marianne und Johan – stammen direkt aus einem älteren Film von Ingmar Bergman. Der Riesenerfolg, den „Szenen einer Ehe“ hatte, mag für Bergman durchaus Ausschlag gebend gewesen sein, die Protagonisten aus diesem Film zu nehmen, und ihre Geschichte 30 Jahre später, in seinem letzten Werk, nochmals aufzugreifen. Doch auch wenn man viel über das Leben von Marianne und Johan „nach“ „Szenen einer Ehe“ erfährt und auf die damaligen Umstände angespielt wird, beweist „Sarabande“ ein hohes Maß an Eigenständigkeit. Denn der Hauptakzent liegt auf den Konflikten zwischen Henrik und seiner Tochter Karin, die eine latent inzestuöse, symbiotische Beziehung führen. So hat Karin nach dem Tod von Anna deren Position im Ehebett eingenommen. Nimmt man noch einmal „Szenen einer Ehe“ als Folie, in der sich eine Frau nach und nach aus den Fesseln der Ehe löst, um ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen, geht es nun um die Emanzipation von Karin aus einer Situation der emotionalen Erpressung heraus.
Fazit: „Sarabande“ schließt sicherlich für diejenigen, die mit wichtigen Stationen in Bergmans Schaffen wie „Szenen einer Ehe“ vertraut sind, einen Teil des eng geknüpften Netzes von Bezügen zwischen einzelnen Filmen ab. Doch würde man weder dem Film noch dem Regisseur gerecht, wenn man „Sarabande“ darauf reduzieren würde. Marianne und Johan wirken sehr ruhig und abgeklärt, wenn es um ihre eigene Vergangenheit geht, während die drängenden Konflikte in der jüngeren Generation ausgetragen werden. Im Abschluss kann also durchaus eine Öffnung nach vorne enthalten sein.