Auch das war Hitchcock: Mangels eines besseren Stoffes verfilmte Hitchcock unter chaotischeren Umständen als üblich einen eher inhaltlich verzettelten denn stringent durchgearbeiteten Roman von Leon Uris. Szenen wurden gedreht und wieder verworfen. 1999 tauchte auch in hiesigen Landen ein Director’s Cut auf, der etwa 20 Minuten länger war als die bisherige Kinofassung. Eine Handlung gibt es eigentlich gar nicht, es gibt mehrere, die angeschnitten, verfolgt, aber nie so richtig zu Ende dramatisiert werden.
„Topas“ ist der einzig mir bekannte Film des Meisters, in dem er die Einheit des Dramatischen, die Einheit von Ort, Zeit und Handlung mehrfach bricht. Hitchcock selbst sprach über „Topaz“ später von einer „unglücklichen Angelegenheit“. „Topas“ tendiert eher in Richtung Spionage-Thriller à la James Bond, als dass er die Tradition des spezifischen Suspense à la Hitchcock kontinuierlich weiterverfolgt. Der Film ist zudem der einzige, in dem er eine eindeutige politische Stellungnahme abgibt: gegen das Kuba Fidel Castros.
Ausgangssituation der Geschichte ist das Jahr 1962, als die Amerikaner fieberhaft daran arbeiten, Informationen über die Politik der Sowjetunion in Kuba zu gewinnen – also die Kuba-Krise, im Verlauf derer die UdSSR Mittelstreckenraketen auf Kuba stationierte und die Systemkonfrontation drastisch eskalierte.
Zudem soll es in der NATO einen Spion geben, der der Sowjetunion Geheimnisse des westlichen Bündnisses verrät. Der französische Agent André Deveraux (Frederick Stafford) erhält den Auftrag, den Spion zu enttarnen. Deveraux arbeitet zugleich für den US-Geheimdienst.
Zur gleichen Zeit verhilft der CIA-Agent Michael Nordstrom (John Forsythe) dem russischen Überläufer Boris Kusenov (Per-Axel Arosenius) und seiner Familie zur Flucht aus der russischen Botschaft in Dänemark in die USA. Dort angelangt, informiert Kusenov die CIA über die Absichten der Sowjets in Kuba. Nordstrom setzt sich mit Deveraux in Verbindung, der inzwischen den als Floristen getarnten Agenten Philippe Dubois (Roscoe Lee Browne) um Unterstützung bittet. Dubois erfährt einiges bei einem Treffen von Anhängern Castros in dem New Yorker Hotel „Theresa“ und informiert Deveraux, der sich darauf hin nach Kuba aufmacht. In Havanna trifft Deveraux seine Ex-Freundin Juanita de Cordoba (Karin Dor) wieder, die inzwischen Geliebte von Castros engem Mitarbeiter Rico Parra (John Vernon) her ist. Juanita treibt ein doppeltes Spiel: Sie ist nämlich Mitglied einer Untergrundbewegung, die auf Castros Sturz hinarbeitet. Als Deveraux ihr von seinen Absichten erzählt, beauftragt sie ihre Bediensteten, Informationen über die Raketenstationierung einzuholen. Denen gelingt ihnen, zwei Fotos von den Raketen zu schießen und den Film an Juanita zu übermitteln. Aber beide müssen mit ihrem Leben dafür bezahlen.
Und Rico Parra kommt nicht nur Deveraux, sondern auch Juanita auf die Schliche. Während Deveraux Kuba noch verlassen kann, erschießt Parra Juanita. Der Spion aber, der für die Sowjetunion arbeitet, ist noch nicht enttarnt ...
Zweifellos: Im Vergleich zu manch anderen Spionage-Thriller ist „Topas“ ein Meisterwerk an Spannung – allerdings, und das ist für mich der Unterschied zu anderen Werken des Masters of Suspense, auf Kosten der Entwicklung von Charakteren und der Einheit des Dramatischen. Szenen wie die im New Yorker Hotel, in dem Dubois – der sich als Journalist ausgibt – die dort sich aufhaltenden Kubaner ausspioniert, oder auch die Szenen, in denen der russische Spion enttarnt wird, gehören zu den spannendsten der Filmgeschichte. Doch Hitchcock gewinnt in „Topas“ die Spannung nicht so sehr aus der Entwicklung eines roten Fadens, der sich durch den Film zieht und an dem er das Dramatische und vor allem das individuelle Schicksal eines Helden konsequent entwickelt, sondern aus der (stellenweise hervorragend) inszenierten Hitze des Kalten Krieges. Die Schauplätze wechseln, und letztlich werden zwei zwar inhaltlich irgendwie zusammenhängende, aber dramaturgisch getrennte Geschichten erzählt: Die Kuba-Krise als „Dreiecksgeschichte“ zwischen Frederick Stafford, Karin Dor und John Vernon und die Geschichte um die Enttarnung des für die UdSSR arbeitenden Spions in Frankreich.
Dazwischen leuchten tragische Situationen auf, etwa die zwischen Parra und Juanita, die er, als er sie enttarnt hat, erschießt. Diese Szene ist opernreif. Parra ist derjenige, der gescheitert ist, in doppelter Hinsicht: Deveraux ist entkommen und Juanitas Liebe konnte er nicht gewinnen. Er umarmt sie und fast flüsternd schildert er Juanita die Qualen der Folter, bevor er sie erschießt. Sie sinkt in ihr weites Kleid auf den Boden. Ihr Tod ist „nur“ noch die Rache Parras, des Unfähigen, des Impotenten. Hier treffen sich typische Hitchcock-Tragik und politische, bissige Stellungnahme. Denn Parra ist dem Revolutionär Che Guevara bis in einzelne Äußerlichkeiten nachempfunden. Hitchcock, der Liberale (und wie er selbst sagte: Republikaner, wenn es um sein Geld geht), vernichtet Castro und Guevara in dieser Sequenz.
Die Tragik Parras dient ausschließlich der politischen Verurteilung eines Systems, das auch im Film durch Brutalität, Folter, Mord charakterisiert wird. Die ganze Anlage des Films macht diese Szene nicht zu einer Schlüsselszene im Drama, sondern nur in der politischen Verurteilung. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu den Helden anderer Hitchcock-Filme.
Demgegenüber sind die anderen Figuren, insbesondere auch Deveraux, so oberflächlich skizziert wie selten bei Hitchcock. Die Spione und anderen Beteiligten degradiert er zu Charaktermasken der Systemauseinandersetzung. Das skizziert die Bond-Qualität von „Topas“. Gerade Frederick Stafford steht im Vergleich zu Hauptfiguren seiner anderen Streifen für den „Verlust des Individuellen“. Deveraux ist eine Mischung aus Bond-ähnlichem Einzelkämpfer und Bond-ähnlichem in die Geheimdienst-Bürokratie eingewobenen Technokraten: exekutierender Funktionär. Hinzu kommt allerdings, dass er im Unterschied zu manch anderen Figuren in „Topas“ weit weniger in das Riskante seines Berufs eingebunden ist. Risiken gehen eigentlich nur die anderen ein. So könnte man – wie Stefan Reinecke dies getan hat (1) – „Topas“ auch als einen Abschied Hitchcocks vom Individuum, als Ich-Verlust des Helden deuten, analog zur Bürokratisierung der Macht.
Im Gegensatz zu anderen Hauptdarstellern in seinen Filmen, vor allem Cary Grant und James Stewart, ist Stafford nur noch Sinnbild eines fast schon anonym, im Hintergrund bleibenden und von dort die Fäden ziehenden Machtapparates, der seine eingeschliffene Logik auf immer die gleiche Weise entfaltet.
In dieser Hinsicht ist „Topas“ dann eben Ausdruck einer auf der bekannten Logik des Kalten Krieges aufbauenden Praxis. Während Grant und Stewart gegen den Verlust ihrer Identität kämpften, ist Stafford lediglich Exekutor anderer (und zudem kein sehr überzeugender Schauspieler).
Bei Publikum wie Kritik war „Topaz“ der ungeliebteste Hitchcock aller Zeiten. Vor allem das Gerangel um die Schlussszene, in der Michel Piccoli sich „irgendwie“ umbringen muss oder getötet werden muss, deutet die Probleme an, die sich Hitchcock mit der Vorlage selbst einhandelte. Wie soll er das ganze Kuddelmuddel jetzt noch auflösen? Zunächst sollte Piccoli von Stafford in einem Duell erschossen werden, dann Selbstmord begehen. Dann wurde Philippe Noiret in die Szene eingebaut. Diese letzte Szene steht zudem in kaum einem Zusammenhang zu den wesentlich spannenderen Momenten, die in Kuba bzw. New York spielen.
(1) Beier/Seeßlen (Hrsg.): Alfred Hitchcock, Berlin 1999, S. 425 ff.. Vgl. auch: François Truffaut (in Zusammenarbeit mit Helen G. Scott): Truffaut / Hitchcock, München / Zürich 1999 (Diana-Verlag) (Originalausgabe: 1983), S. 281 ff.