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    Die Rotkäppchen-Verschwörung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Rotkäppchen-Verschwörung
    Von Nicole Kühn

    Auf die Idee muss man erst mal kommen: eines der bekanntesten Märchen als haarsträubende Crime-Story mit lauter unüblichen Verdächtigen zu erzählen! Die in vielen künstlerischen Bereichen tätigen Brüder Cory und Todd Edwards sowie Tony Leech haben die Geschichte von Rotkäppchen bis in die Details beim Wort genommen und sich gefragt, wie es zu dem im Märchen beschriebenen Verbrechen kommen konnte. Herausgekommen ist „Die Rotkäppchen-Verschwörung“, eine pfiffige Story um die Beteiligten und ihre jeweiligen Gründe der Anwesenheit an Zeit und Ort des Geschehens.

    In jedem Märchen steckt ein Kern von Wahrheit. Wie aber den finden? Genau besehen lassen Märchen meist viele Fragen offen. Genau dort setzt der überdrehte Animations-Märchenkrimi an und füllt die Lücken mit irrwitzigen Erklärungen. Wie allgemein bekannt besucht Rotkäppchen mit einem gut gefüllten Korb seine kranke Großmutter im Wald. Statt der guten alten Dame wartet dort jedoch der böse Wolf auf das ahnungslose Mädchen. Bevor jedoch Schlimmeres passieren kann, schnallt sich das gar nicht auf den Mund gefallene Rotkäppchen den schwarzen Gürtel um und hält den Bösewicht in Schach, bis ein wild schreiender Holzfäller der Szene ein jähes Ende bereitet. Als die Polizei eintrifft, ist auch die zusammengeschnürte Großmutter wieder aufgetaucht. Während Polizei-Chef Grizzly möglichst schnell zu Verhaftungen schreiten will, wirft der smarte Ermittler Flippers einen Blick hinter die oberflächlichen Motive der Anwesenden. Jeder hat etwas zu verbergen, doch allen gemeinsam ist, dass ihre Aktivitäten mit dem berüchtigten Goodie-Banditen in Zusammenhang stehen, der seit einiger Zeit im Wald sein Unwesen treibt und alle Keks- und Kuchenrezepte klaut. Ein komplizierter Fall, den man so hinter der überlieferten Geschichte von Rotkäppchen sicher nicht vermutet hätte!

    Durch die ungewöhnliche Perspektive auf Altbekanntes wartet der Film immer wieder mit Überraschungen auf. Die Charaktere aus dem Märchen werden tüchtig gegen den Strich gekämmt und räumen so mit den konventionellen Rollenbildern auf. Herzerfrischend, wie das sanftmütige Rotkäppchen intelligent und schlagfertig ihre Gegner in Schach hält oder die Oma sich zu einem Doppelleben zwischen Schaukelstuhl und Skipiste bekennen muss. Um der Story den nötigen Drive für einen abendfüllenden Film zu geben, sind noch einige Figuren hinzugekommen, die aus anderen Märchen entsprungen zu sein scheinen. An ihnen wie an den Übrigen werden die genregängigen Stereotype des Gangsterfilms süffisant durchexerziert. Gerade weil keine der Figuren von ihrem Naturell her dem skizzierten Rollenklischée entspricht, zeigt sich die Funktionsweise der „Üblichen Verdächtigen“ umso deutlicher. Gestik, Dialoge und Tonfall imitieren äußerst treffend die Genre-Vorlagen und überzeichnen sie fein. Selten driftet die Charakterzeichnung dabei ins Plumpe.

    Dramaturgisch greift das Autoren- und Regieteam ebenfalls auf berühmte Vorlagen zurück. Die Technik der mehrmaligen Erzählung des Tathergangs aus unterschiedlichen Perspektiven hat Akira Kurosawa in seinem Klassiker Rashomon exemplarisch vorgeführt. Hier wie auch im neueren Klassiker Die üblichen Verdächtigen von Bryan Singer wird die Geschichte von hinten aufgezogen. Während der Verhöre kommen immer wieder neue Ungereimtheiten hinzu, denen eine verblüffende Erklärung Legitimation verschafft. So ist jede Geschichte in sich am Ende schlüssig, wirklich Sinn ergibt jedoch keine von ihnen. Folgerichtig führt der Film die Handlung von diesem Punkt an weiter. Indem das Verhör nicht zur endgültigen Lösung des Verbrechens führt, sondern zu der Erkenntnis, dass dessen Vollendung noch verhindert werden kann, wird Raum geschaffen für ein bisschen Mission: Impossible. Weil das Ganze so überdreht ist, verzeiht man auch den einen oder anderen Hammerschlag, mit dem einzelne Elemente unsanft in den Handlungsverlauf integriert werden.

    Einen musicalhaften Touch, der leider an die unkritischen Weltverbesserungswerke aus der Disney-Fabrik erinnert, verleihen dem Film die Song-Einlagen. Sie heben die Intentionen der Figuren auf einer weiteren Erzählebene hervor und differenzieren dabei deren Charakterzüge. So sehen wir Rotkäppchen nicht nur als liebes Mädchen, das ein rundum zufriedenes Leben im Wald führt, sondern auch als einen Teenager, der hinaus möchte in die Welt, um dort etwas zu erleben. Glücklicherweise ergötzt sich das Regietrio nicht allzu sehr daran und fügt die Musik nur an einigen Stellen ein. Dabei lässt es Songwriter Todd Edwards auch mal ganz gut krachen, um einen vielfältigen Soundtrack zu erhalten, der den Film kommentiert und emotionalisiert.

    Bei der Animation haben sich die Macher der „Rotkäppchen-Verschwörung“ aus ebenso vielen Vorlagen bedient wie bei der Story selbst. Die hochgeschätzten japanischen Animes hinterlassen hier genau so ihre Spuren wie klassische Zeichentricktechniken und die glatten Oberflächen von Computerspielefiguren. Durch überlegte Zuordnungen verweist der Look der einzelnen Personen bzw. Tiere direkt auf ihre Charakteristika. Das aus großen japanischen Manga-Augen schauende Rotkäppchen erweist sich als liebenswürdig-unangepasster Kampfgeist, der aalglatte und in eher runde Formen gegossene Holzfäller als einfaches Gemüt und der quadratschädelige, breitschultrige Kraftprotz als einfältiger Bösewicht.

    Mit diesem detailgenau zusammengestellten Mix aus verschiedenen Genres und Stilen kreieren die Brüder Todd und Cory Ewards sowie Tony Leech ein höchst amüsantes und unterhaltsames Märchen im hochmodernen Gewand und gleichzeitig einen der wenigen gelungenen Animationsfilme für Erwachsene. Die vielen Anspielungen als Bonbons für Kinofreunde setzen dem Ganzen das Sahnehäufchen auf. Hingehen und Spaß haben!

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