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    Die Klasse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Klasse
    Von Ulf Lepelmeier

    Lehrer: Traumberuf oder täglicher Albtraum? Die Zeiten, in denen dieser Berufsstand noch besondere Hochachtung genoss, sind längst vorüber. Trotzdem ist für viele der Beruf des Lehrers immer noch sehr attraktiv. Die Sicherheit des Beamtenstatus, die vielen Ferientage, die Freude an der Wissensvermittlung und die Chance, junge Menschen positiv zu prägen, sind nur einige der Gründe, sich für eine Laufbahn im Schulbetrieb zu entscheiden. Allerdings müssen sich Pädagogen heute mehr denn je auch als Sozialarbeiter einbringen, um mit respektlosen und lernunwilligen Schülern fertig zu werden. In dem dokumentarisch angehauchten Drama „Die Klasse“ taucht der Zuschauer in den Alltag einer französischen Schulklasse ein und begleitet einen Lehrer und seine Schüler ein Trimester lang. Dabei zeichnet Regisseur Laurent Cantet (In den Süden) ein realistisches Bild des Lehrerdaseins mit all seinen Höhen und Tiefen. Auch Themen wie Schulpolitik und deren Umsetzung werden aufgegriffen, womit der Film die Problemstellungen der Bildungssysteme wohl aller westlichen Industriestaaten widerspiegelt.

    François (François Bégaudeau) ist ein engagierter Lehrer an einer Pariser Schule in einem Problembezirk des 20. Arrondissements. Ihm geht es nicht nur darum, seinen Stoff in seiner 25-köpfigen Französischklasse irgendwie durchzuziehen. Er hat vielmehr den Anspruch, seinen Schülern auch ein gewisses Maß an Respekt und Toleranz zu vermitteln. Doch seine unmotivierten 13- bis 15-jährigen Schützlinge sind nicht nur in einem schwierigen Alter, sondern entstammen zudem den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Seine Bemühungen um Wissens- und Wertevermittlung bedeuten so ein tägliches nervenaufreibendes Ringen…

    Der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme der Filmfestspiele in Cannes ist meilenweit entfernt von Hollywood-Schulfilmen à la „Dangerous Minds“. In „Die Klasse“ gibt es keinen fürsorglichen und aufopferungsvollen Lehrer, der die Herzen der Schüler mit neuen Lehrmethoden und phantasievoller Unterrichtsgestaltung für sich gewinnt. Keinen Musiklehrer, der die gesamte Klasse zum fröhlichen gemeinsamen Musizieren animiert. Kein Motivationsgenie, das jeden seiner Problemschüler erreicht und zum Besseren bekehrt. Vielmehr schildert der Film auf authentische Weise den Unterricht als eine tagtägliche verbale Auseinandersetzung zwischen Lehrern und Schülern. Als einen nervenaufreibenden Kampf um Aufmerksamkeit, Autorität und Wertevermittlung. Dass der Lehrkörper der schwierigen Situation nicht immer gewachsen ist und an ihr auch mal verzweifelt, wird hier nicht ausgeblendet, sondern mit viel Einfühlungsvermögen und Verständnis für beide Seiten offen behandelt. Für Regisseur Cantet gibt es den Superlehrer ebenso wenig wie den Superschüler.

    François Bégaudeaut, der früher selbst als Pädagoge an einer Schule mit hoher Migrantenquote tätig war und das Buch „Entre Les Murs“ verfasste, auf dem das ebenfalls von ihm mit ausgearbeitete Drehbuch des Films basiert, spielt quasi sich selbst. Daher verwundert es kaum, dass seine Darstellung sehr natürlich wirkt. Auch die Schüler, die von Laiendarstellern verkörpert werden, die zuvor nur an einem vorbereitenden Schauspielworkshop teilnahmen, hinterlassen einen authentischen Eindruck.

    Die Kamera ist stets so nah am Geschehen, dass man die Freuden und Leiden des Lehrerdaseins hautnah miterlebt. Im engen Klassenzimmer-Setting sind stets drei Kameras zeitgleich im Einsatz, um die meist improvisierten und teils durchaus amüsanten Vorkommnisse einzufangen. Man hat als Zuschauer beinahe das Gefühl, man säße als stummer Referendar, der sich ein Bild von seinem späteren Berufsleben machen will, mit im brodelnden Klassenzimmer. Eine weitere Stärke des Films liegt darin begründet, dass er die Probleme und Standpunkte der zusammentreffenden Parteien (also Schüler, Lehrer, Eltern, Direktor) aus einem neutralen Blickwinkel und ohne eigene Wertung beleuchtet. Auch die strikte Begrenzung auf das, was sich innerhalb der kahlen Schulmauern abspielt, bestärkt den realistischen Ansatz des Dramas. So erfährt der Zuschauer nur das über die teils prekären Hintergründe der Schüler, was auch die Lehrer und Klassenkameraden wissen.

    „Die Klasse“ kommt ohne eine klare narrative Linie aus und ist vornehmlich auf den Diskurs zwischen dem Lehrer und seinen Schülern im Klassenraum fixiert. Dabei will der Film nichts anderes sein, als Abbild schulpolitischer Realität. Lehrer, Schüler und Eltern unterschiedlichsten Bildungsgrades und Kulturhorizonts müssen zusammenarbeiten, auch wenn sie sich gegenseitig zum Teil mit Respektlosigkeit, Ignoranz und sogar Verachtung begegnen. Bisweilen ist die Nüchternheit der Geschehnisse zwischen Klassen- und Lehrerzimmer, zwischen Elternsprechtag und Zeugniskonferenz aber trotz oft witzigen und interessanten Gesprächsthemen im Klassenverband etwas zu behäbig. Eine etwas kürzere Laufzeit hätte dem Film daher sicherlich gut getan.

    Alarmierend ist, wie wenig die Schüler mit der französischen Sprache, die zumeist auch ihre Muttersprache ist, anfangen können. Sie bringen kein Verständnis mehr für Sprache als ein wichtiges Kulturgut auf, obwohl sie mit ihren jugendsprachlichen Wortkreationen eigentlich genug Kreativität an den Tag legen. Sprachliche Barrieren und Missverständnisse prägen daher auch den Film, der sehr treffend herausarbeitet, wie Sprache sowohl Verbundenheit als auch Distanz zu erzeugen vermag. Ebenso wird die anhaltende Diskussion über Sinn und Unsinn von Sanktionen im Schulbetrieb aufgegriffen. Letztendlich zeigt sich ganz einfach, dass schulische Ausbildung nur funktionieren kann, wenn alle drei involvierten Parteien an einem Strang ziehen und nicht nur versuchen, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen.

    Fazit: „Die Klasse“ ist ein gelungener und wichtiger Beitrag zur französischen Bildungsmisere, der zur Diskussion einlädt und zugleich die Vorstellung einer einzigen gemeinschaftlichen kulturellen Identität hinterfragt.

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