2004 sorgte Shane Carruths Filmdebüt „Primer“ in Amerika für aufsehen. Kritiker vergaben in Massen Höchstwertungen, waren aber unfähig, den Inhalt des Films wiederzugeben. Beim Sundance Filmfestival 2004 konnte „Primer“ gar den Großen Preis der Jury einheimsen. Zeitgleich fanden sich im Internet etliche Diskussionsforen, in denen gemeinsam nach möglichen Deutungsansätzen gesucht wurde. Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Einen Sinn wird sich dem Zuschauer bei „Primer“ nicht erschließen, da der Film im Grunde vollkommen sinnfrei ist.
Die beiden befreundeten Mathematiker Aaron (Shane Carruth) und Abe (David Sullivan) bauen aus allerlei billigem Plunder eine Maschine. Irgendwann stehen sie voller Stolz vor einer großen, quadratischen Box. Dumm ist nur, dass sie selbst nicht wissen, was diese Maschine eigentlich genau macht. Irgendwas passiert jedenfalls mit den Gegenständen, die sie in diesen Kasten legen. Nur was? Zunächst hat keiner der beiden auch nur die geringste Ahnung, was sie da eigentlich erfunden haben. Fest steht für sie nur, dass es etwas Großes sein muss.
Also werden zunächst gute zwei Drittel des Films damit verbracht, das Geheimnis der Box zu lüften. Dabei schmeißen sich unsere Protagonisten allerlei Fachbegriffe an den Kopf, befragen Spezialisten (ohne ihnen zu sagen, um was es eigentlich genau geht) und entwickeln eine zunehmende Paranoia. Aaron und Abe reden und reden und reden. Ein Dialog reiht sich an den anderen. Wer den beiden dabei folgen möchte, sollte schon einen Professoren-Titel in Mathematik oder angewandter Physik mitbringen. In kaum einem anderen Film ist das Verhältnis Fachbegriffe pro gesprochenes Wort auch nur annähernd so hoch, wie in „Primer“.
Nach das Mysterium um die Maschine toddiskutiert wurde kommt der große Twist. Irgendwann ist Aaron und Abe klar, was sie da eigentlich gebaut haben. Wer dem Gesehenen bis hierher folgen konnte, wird erneut auf eine harte Probe gestellt. Auf einmal entwickelt sich ein ziemlich wirrer Zeitreise-Plot. Ein tragisches Ereignis, das es zu verhindern gilt, steht fortan im Mittelpunkt. Das heißt allerdings nicht, dass Aaron und Abe der Diskussionsstoff ausgeht. Schließlich stellen sich nun vollkommen andere, fast schon philosophische Fragen. Können Personen in derselben Zeit zwei Mal existieren? Verliere ich dadurch meine Identität? Ein wilder Stilbruch. Aus Physik wird Metaphysik, aus Science-Fiction schlagartig Mystery…
„Primer“ ist ein echtes No-Budget-Werk. Für den gesamten Film wurden gerade einmal läppische 7.000 Dollar benötigt. Das Catering einer mittleren Produktion verschlingt mehr. Ein Großteil des Geldes wurde in die Unmenge 16mm-Film investiert, die für den Film benötigt wurden. Um Kosten zu sparen, waren an „Primer“ gerade einmal fünf Personen beteiligt. Shane Carruth war nicht nur Autor und Regisseur, sondern übernahm auch eine der Hauptrollen, war Kameramann, Produzent und hauptverantwortlich für Schnitt und Musik. Gedreht wurde in der Nähe von Dallas. Für die Labor-Sequenzen stellte die University of Texas kostenlos ihre Räumlichkeiten zur Verfügung.
Eines lässt sich dem Film zunächst nicht absprechen: Charme. „Primer“ verbreitet von Beginn an die typische Stimmung eines kleinen Independent-Streifens. Das im Film steckende Herzblut aller Beteiligten ist förmlich greifbar. Allerdings reicht dies eben nicht aus, um über die großen Schwachpunkte hinweg zu täuschen: die quasi nicht existente Story sowie eine äußerst bescheidene Dramaturgie. Zwei Freunde erfinden eine Maschine und reden darüber. Die Grundidee hört sich zugegebenermaßen zunächst erfrischend anders an. Dass der Film nichts mit dem schnöden Kinoeinerlei zu tun haben wird, ist von der ersten Minute an klar. Aber dieses Gedankenkonstrukt reicht einfach nicht für einen abendfüllenden Kinofilm. „Primer“ hätte das Potenzial zu einem herausragenden Kurzfilm. Auf 77 Minuten aufgebläht, geht allerdings relativ schnell die Luft aus. Vor allem der Zeitreise-Plot wirkt wie ein einziger großer Fremdkörper. Während des gesamten Films legt Carruth großen Wert auf Authentizität. Allerdings fällt er sich damit selbst in den Rücken. Wie wahrscheinlich ist es, dass zwei frisch von der Uni kommende Mathematiker durch Zufall eine Zeitmaschine erfinden?
Nichts desto trotz braucht das Filmgeschäft junge, unverbrauchte Gesichter wie Shane Carruth, die einfach einmal etwas anderes ausprobieren und sich einen Dreck um gängige Konventionen scheren. Vor diesem Hintergrund seien ihm und seinem Team auch alle Preise dieser Welt sowie auch der Hype um seinen Erstling gegönnt. Unterm Strich wird „Primer“ vor allem als eines in Erinnerung bleiben: Ein zwar mutiges und lobenswertes, aber letztlich gescheitertes filmisches Experiment.