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    Tony Takitani
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tony Takitani
    Von Nicole Kühn

    Perfektionismus ist die Sucht, das Leben unter Kontrolle zu halten. Den Gang der Dinge berechnen und Risiken ausschließen zu können. Tony Takitani (Ogata Issey) scheint perfekt im ursprünglichen Wortsinn zu sein: Mit seinen präzisen technischen Zeichnungen verdient er gut, sein Leben läuft in ruhigen Bahnen, seine sozialen Kontakte sind auf ein Minimum beschränkt. Die Wohnung ist kühl und fast penibel sauber. Da tut sich nicht viel, sein Leben scheint bereits vollendet (perfekt von lat. facere = machen, perfekt entspricht also „zu Ende gemacht, fertig gemacht“). Der einzige Hinweis auf ein Ausbrechen aus der Ordnung schwingt in seinem Namen mit: Tony! Nicht gerade typisch japanisch, zeugt er von der Weltoffenheit seines Vaters (der auf diesem Namen bestand), der als Jazzmusiker offensichtlich alle Turbulenzen eines wilden Musikerlebens mitgemacht hat. Der Kontakt zu seinem Vater besteht darin, sich in großen Abständen zu treffen, um sachdienliche Angelegenheiten zu klären. Mit diesem Teil seiner Person, mit dem emotionalen, vibrierenden Leben, kann Tony nichts anfangen, mehr noch: Er weiß gar nicht, dass er existiert. Gut versteckt wie die Plattensammlung seines Vaters lagert er aufgetürmt in einer Abstellkammer.

    Durch die Abwesenheit der früh verstorbenen Mutter und des umher reisenden Vaters kennt der erwachsene Mann nichts anderes als das Alleinsein. Aus der Not hat er eine Tugend gemacht und die Selbstgenügsamkeit zu seinem Lebensprogramm erklärt. Das funktioniert bis er Eiko (Rie Myazawa) kennen lernt. Behutsam nähert er sich an, stellt fast verstört fest, dass er sich bei einem anderen Menschen wohl fühlt. Nur zögerlich lässt er sich auf dieses neue Gefühl ein, denn die neue Lebenslust wird begleitet von der Angst, Eiko und damit auch die Lebensfreude wieder zu verlieren. Eiko wiederum stillt eine unnennbare Sehnsucht im ständigen Kaufrausch. Nur das Teuerste und Beste darf es sein, zwanghaft erweitert sie den begehbaren Kleiderschrank Stück um Stück im Bewusstsein, nichts davon wirklich zu brauchen. Verzweiflung macht sich bei beiden Partnern breit, als deutlich wird, dass in diesem Punkt keine für beide befriedigende Übereinkunft erreichbar ist. Als sie sich den Rausch ernsthaft untersagt, geschieht die Katastrophe...

    Der 56-jährige Regisseur Jun Ichikawa gehört der gleichen Generation an wie Haruki Murakami, dessen präzise Beschreibung der Gefühlslagen der Moderne er bewundert. Murakami zählt hierzulande zu den bekanntesten Autoren Japans und wird als der Vertreter japanischer Gegenwartsliteratur gehandelt. Obwohl Ichikawa vor seinem Drama „Tony Takitani“ schon mehrere Literaturvorlagen verfilmt hat, stellte ihn der klare und zugleich sanfte Stil der gleichnamigen Erzählung vor besondere Herausforderungen. Um den symbolischen Gehalt der Figuren zu verdeutlichen, ließ er beide Hauptdarsteller in zwei Rollen auftreten, so dass sie in dieser Form der Doppelung keine individuellen Charaktere, sondern Typen verkörpern. Seine eleganten, ruhigen Bilder taucht Ichikawa in die matten Grautöne verblasster Fotografien, die das Geschehen der Realität ein Stück weit entrücken. Die Einsamkeit, die der Einzelne ebenso wenig verschuldet wie er sich ihr entziehen kann, wird in den meist weiten und offenen Schauplätzen spürbar, in denen nur wenige Gegenstände oder Gebäude die Linien vorgeben. Urbane Wüste.

    Mit dieser formalen Strenge erzeugt der Film eine überraschend sanfte Grundstimmung, die weder Verurteilungen noch Mitleid für die Protagonisten zulässt. Dazu trägt auch das zurückhaltende Spiel der beiden Hauptdarsteller bei, die zwischen undurchdringlicher Unterkühltheit und vorsichtiger Emotionalität schweben. Vor allem Rie Myazawa trägt eine wunderschöne, glatte und fast entrückt wirkende Oberfläche zur Schau, deren innere Zweifel sich im wahllos wirkenden Massenkauf edler Stoffe ausdrücken.

    Der Ton der literarischen Vorlage wird in weiten Strecken direkt in den Film als Off-Sprecher (Hidetoshi Nishijima) integriert. Dieses Kunstmittel setzt Ichikawa so präzise sein, dass es nicht gekünstelt wirkt, wenn Off- und On-Sprecher sich einander die Monologe zuwerfen. Fast tritt dabei der Erzähler, der zugleich die Hauptfigur ist, mit sich selbst in einen Dialog. In dieser Anordnung schafft der Erzählstil eine ergreifende Distanz, weil das Gezeigte schon weit weg zu sein scheint wie Erinnerungen aus einem alten Tagebuch und doch durch die immer wieder in die Aktualität hineingezogenen Stimme eine intensive Unmittelbarkeit erzeugen. Diese suggestive Wirkung der Bilder wird durch die dezente Musik von Ryuichi Sakamoto unterstützt, die sich niemals in den Vordergrund spielt, sondern kaum explizit wahrnehmbar die Stimmung vertieft.

    Mit seinem neuen Werk ist Ichikawa eine Perle des Kinos gelungen, die dem Zuschauer eine Welt sichtbar macht, die eigentlich nicht zu sehen ist: die des Innenlebens des Menschen. Es gelingt ihm, Murakamis verbale Analyse des modernen Menschen in seiner hilflosen Vereinzelung in ein anderes, in sein Medium Film zu übersetzen. Dass er sein Handwerk beherrscht und es mit Respekt gegenüber seiner Vorlage einsetzt, zeigt sich in jeder Einstellung. Nichts an diesem Film ist Zufall, jedes Detail hat eine Bedeutung, und dennoch kommt er weder affektiert noch bedeutungsschwanger daher. Filmkunst at its best!

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