Der Protagonist in dem paranormalen Thriller „White Noise“ hat eine Obsession entwickelt. Er starrt stunden- und tagelang auf das weiße Rauschen eines Fernsehbildschirms. Den in etwa gleichen Spannungswert wie diese Beschäftigung bietet auch Geoffrey Sax’ 08/15-Horror-Mummenschanz. Aus einer sehr interessanten Idee, die das angeblich real existierende Electronic Voice Phenomenon (EVP) als Basis nimmt, machte der frühere TV-Regisseur eine haarsträubend konfuse und völlig belanglose Geschichte, der er keinerlei Impulse und Führung geben kann.
Der erfolgreiche Architekt Jonathan Rivers (Michael Keaton) führt ein rundum glückliches Leben. Er liebt seine Frau Anna (Chandra West) - die gerade feststellt, dass sie schwanger ist - und seinen kleinen Sohn Mike (Nicholas Elia). Als Anna bei einem tragischen Verkehrsunfall getötet wird, kontaktiert ein mysteriöser Fremder (Ian McNeice) den Witwer. Er berichtet ihm, dass Rivers’ verstorbene Ehefrau Kontakt zu ihm aufgenommen hat, doch Jonathan will davon nichts hören. Erst ein halbes Jahr später, als Anna ihm Botschaften aus dem Jenseits über das Mobiltelefon sendet, stattet er dem Mann einen Besuch ab. Raymond Price, so sein Name, hat sich dem so genannten Electronic Voice Phenomenon, kurz EVP, verschrieben und versucht so, Kontakt in die Schattenwelt zu bekommen. Aus dem weißen Rauschen von TV-Bildschirmen und Störsignalen von Radiosendern filtert er Botschaften der Toten heraus. Jonathan ist bald von der Idee, mit seiner geliebten Frau zu kommunizieren, besessen und verliert dabei den Blick auf das reale Leben.
„White Noise“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Hollywood-Maschinerie im schlechtesten Fall arbeitet. Jemand hat eine gute Idee mit Potenzial, wie Drehbuchautor Niall Johnson zum Beispiel. Er recherchierte über das Electronic Voice Phenomenon, das erstmals 1939 entdeckt wurde und seitdem Tausende von Anhängern gefunden hat. Ob dies nun vollkommener Blödsinn ist oder einen Funken Wahrheit beinhaltet, spielt zunächst eine untergeordnete Rolle. Doch anstatt sich halbwegs ernsthaft mit der Materie auseinander zu setzen, wird sie nur als müde Krücke für einen lahmen paranormalen Plot benutzt, der die Basisfakten aus dramaturgischen Gründen so sehr überspitzt, dass an der Zurechnungsfähigkeit der Beteiligten gezweifelt werden darf. Im vergleichbaren Horror-Thriller „The Ring“ ist eindeutig klar, dass der Film keinen Realitätsbezug hat und die Szenen des weißen Rauschens rein fiktionell sind. Deshalb funktioniert die Prämisse auch prächtig. Bei „White Noise“ insistiert Regisseur Geoffrey Sax (und die versammelte Presseabteilung des Verleihs) darauf, dass dieses Phänomen tatsächlich existiert. Leider sind die paranormalen Elemente der Story derart überzogen und unglaubwürdig, dass die schöne Idee sich im Nichts auflöst und sämtliches Potenzial einfach verpufft.
Schlimmer noch als der Verrat an der Sache - die realen EVP-Anhänger müssen sich ziemlich veralbert vorkommen - ist das Drehbuch von Niall Johnson. Es gelingt dem überforderten Regisseur Sax in keiner Phase, aus dem Stoff Spannung zu beziehen oder gar einen emotionalen Kontakt zum Betrachter herzustellen. Die Figuren bleiben seltsam leblos und hohl. Daneben strotzt das Skript vor Plotholes und Ungereimtheiten.
Schauspielerisch bietet „White Noise“ wenig bis gar nichts. Ex-Batman Michael Keaton ist im richtigen Film (zum Beispiel „Jackie Brown“ und „Fremde Schatten“) ein akzeptabler Mann, aber die Zeiten sind scheinbar vorbei. Sechs Jahre nach dem „Jack Frost“-Desaster feierte er jetzt in der belanglosen Romantik-Komödie „First Daughter“ seine Rückkehr auf die große Leinwand, aber auch „White Noise“ wird ihn ebenso wenig nach vorn bringen. Seine Schauspielleistung beschränkt sich weitestgehend darin, sorgenvoll zu gucken. Der restliche Cast ist nicht einmal der Rede wert. Deborah Kara Unger (gut in Finchers „The Game“) bleibt als EVP-Gläubige völlig blass und darf sich fragen, welche Funktion sie in dem Film überhaupt hat. Ihre kanadische Landsfrau Chandra West ist als Keatons Filmehefrau nur zu Beginn (vollständig) zu sehen und kann in der Kürze der Zeit keine Akzente setzen.
Was sich als Genickbruch für die Qualität des Films erweist, ist die Tatsache, dass sich das unzweifelhaft interessante Thema nicht adäquat für einen Kinospielfilm nutzen lässt. Michael Keatons Charakter Jonathan starrt immer und immer wieder auf das weiße Rauschen der Bildschirme und lauscht den atmosphärischen Störungen der Radiosender. Das ist auf die Dauer derart unspannend und nervend, dass der Zuschauer jegliches Interesse an der Geschichte verliert. Und wenn die Geister in purer Effekthascherei später gar noch eine Schippe drauflegen und zum Angriff übergehen, bricht die totale Rat- und Fassungslosigkeit aus. Das Beste, was „White Noise“ zu bieten hat, ist der gruselige, Gänsehaut verursachende Gedanke, dass die Grundidee des EVP möglich sein könnte. Aber nachdem das anfänglich als Aufhänger und Angstmacher funktioniert, nimmt sich das Duo Sax/Johnson mit der Übertreibung der Geschichte hin zum Hanebüchenen selbst das vorhandene laue Lüftchen aus den Segeln... Die einzige reale Chance, sich nicht über den Film zu ärgern: Gehirn völlig entleeren; nicht nachdenken; versuchen, nicht zwischendurch einzuschlafen, um die Schockelemente nicht zu verpassen.