Regisseur Cédric Kahn hat mit „L’Avion - Das Zauberflugzeug“ zum ersten Mal einen Kinderfilm inszeniert. Zuvor hatte er schon mit thematisch sehr unterschiedlichen Werken wie „Schlusslichter“ (nominiert für den Goldenen Bären bei der Berlinale 2004) oder „Roberto Succo“ (nominiert für die Goldene Palme in Cannes 2001) auf sich aufmerksam gemacht. Mit seinem neuen Film unterstreicht er einmal mehr, dass er zu den Regisseuren und Autoren gehört, die sich ungern auf ein Genre festlegen lassen. Das Ergebnis seines neuesten Genre-Wechsels hat einen lobenswerten Ansatz und starke Momente, aber zu einem Klassiker des Kinderfilms wird es nicht werden.
Der achtjährige Charly (Roméo Botzaris) ist enttäuscht. Zu Weihnachten hatte er sich von seinem Vater Pierre (Vincent Lindon), einem Flugzeugingenieur, der für die französische Regierung arbeitet, ein Fahrrad gewünscht. Aber dieser schenkt ihm ein von ihm selbst gebasteltes, weißes Modellflugzeug. Dass sein Vater dieses mit viel Liebe und Mühe hergestellt hat, kann der kleine Charly erst einmal nicht würdigen. Sein Vater vertröstet Charly auf dessen bald anstehenden Geburtstag, aber Charly kann es kaum erwarten, endlich das von ihm gewünschte Fahrrad zu bekommen. Deswegen kommt es mit seinem Vater zu einem Streit, was leider die letzte Begegnung zwischen den beiden wird, denn bei einem Unfall kommt sein Vater ums Leben, ohne dass die beiden noch einmal hätten miteinander sprechen können. Charly ist geschockt, seine Mutter Catherine (Isabelle Carré) kann ihm wenig helfen, da sie selbst erst noch den Tod ihres Mannes verarbeiten muss. So kriegt das letzte Geschenk des Vaters für den Jungen eine vollkommen neue Bedeutung, Charly will das Flugzeug jetzt gar nicht mehr aus dem Arm nehmen, er nimmt es mit ins Bett und auch zur Schule. Und er findet etwas unglaubliches heraus: Sein Flugzeug kann wirklich fliegen! Nur will ihm das erst mal keiner glauben. Sowohl seine beste Freundin Mercedes (Alicia Djémal) als auch seine Mutter reagieren erst einmal mit Unglauben auf diese Enthüllung. Vielmehr wird seiner Mutter Charlys intensive Beziehung zu dem Spielzeug seines Vaters unheimlich.
Regisseur Kahn wagt sich mit seinem Film größtenteils sehr behutsam an ein schwieriges Thema für einen Kinderfilm. Es geht um den Verlust eines geliebten Menschen und wie ein Kind lernen muss, mit dem Tod umzugehen und ihn zu akzeptieren. Geburt und Tod, Charly wird mit beiden Extremen des menschlichen Daseins konfrontiert. Am Anfang erlebt Charly die Geburt eines kleinen Kalbes, später muss er sich mit dem Tod seines eigenen Vaters auseinandersetzen. Im weiteren Verlauf des Films, der Züge eines Road Movies annimmt, macht Charly einen Reifeprozess durch, der ihn zu der wichtigen Erfahrung bringen wird, einen Verlust akzeptieren zu können, vielmehr akzeptieren zu müssen.
Kahn erzählt diese Geschichte in ruhigen, zum Teil wunderschönen Bildern und unterlegt von einer einfühlsamen Musik, die vom Komponisten Gabriel Yared stammt, der schon für seine
Filmmusik zu Der englische Patient einen Oscar erhielt. Besonders die eindrucksvollen Landschaftsaufnahmen der Pyrenäen, illustriert mit Yareds eingängigem Hauptthema, bleiben dem Zuschauer in Erinnerung. Kahn führt sein Schauspielensemble souverän durch den Film, Isabelle Carré (Catherine) nimmt man die mit dem Tod ihres Mannes und Charlys Verhalten überforderte Mutter absolut ab und Roméo Botzaris (Charly) bestätigt mal wieder die gängige Erkenntnis, dass Kinder oft die besten Schauspieler sind können, da sie gar nicht schauspielern müssen.
Was dem Film Probleme bereitet, ist seine unnötige Anlehnung an das amerikanische Unterhaltungskino. Wenn Charly in der Nacht mit seinem Flugzeug über der Stadt fliegt und seine Silhouette sich vor dem Mond abzeichnet, dann muss der eingefleischte Kinofan natürlich direkt an Steven Spielbergs E.T. - Der Außerirdische denken. Nur dass Spielberg einen kulleräugigen, niedlichen Außerirdischen verwendete und Kahn ein schlichtes, weißes Modellflugzeug. Dieses wirkt bei den Ausflügen in das amerikanische Action- bzw. Thriller-Kino dann leider nur noch bedrohlich, obwohl es ein Sinnbild für die Liebe seines Vaters sein soll. Wenn das Flugzeug sich seinen Weg zu Charly zurückbahnt und dabei in bester Scream-Manier plötzlich durch das Küchenfenster kracht oder dessen Arbeitskollegen angreift und niederschlägt, dann ist die zauberhafte, aufgebaute Stimmung ruiniert. Viel stärker wirkt der Film, wenn Kahn sich wieder auf seine ruhige Erzählweise besinnt wie in der wunderbaren Sequenz, in der das Flugzeug vor dem Auto von Charlys Mutter herfliegt, um diese zu ihm zu führen. In diesen Momenten kann der Zuschauer wesentlich besser eine persönliche Beziehung zu dem unpersönlichen Gegenstand aufbauen und sich mit ihm identifizieren.
„L’Avion - Das Zauberflugzeug“ ist ein überwiegend stimmiges Kindermärchen, dessen Stärke eindeutig in der sensiblen Herangehensweise an ein in der heutigen Gesellschaft nicht nur für Kinder schwieriges Thema Tod liegt. Dabei wirkt sein Film immer am eindrucksvollsten, wenn er sich auf die große Tradition des französischen Erzählkinos besinnt und die Geschichte mit ruhiger und poetischer Bildsprache erzählt.