Wer kennt „Dinner For One“? Der hebe jetzt die Hand. Ihr kennt diesen Kurzfilm nicht? „Dinner For One“ gehört zu Silvester, wie … ja, wie was? „Dinner For One“ gehört zu Silvester wie „Ist das Leben nicht schön?“ zu Weihnachten. „Ist das Leben nicht schön?“ ist euch bekannt? Dann geht ihr mit dieser These sicherlich konform. Kennt wer „Ist das Leben nicht schön?“ noch nicht? Der beherzige nun den Wahrheitsgehalt vorheriger Behauptung und sehe sich beim nächsten Weihnachtsfest „Ist das Leben nicht schön?“ an. Sollte nun aber jemand nicht warten und keinen großartigen Film verpassen wollen, der darf sich Frank Capras Meisterwerk auch früher anschauen. Denn die Tragikomödie hat eine zeitlose Daseinsberechtigung und berührt auch außerhalb der besinnlichen Weihnachtszeit, das beweist schon das ständige Auftauchen des Films in diversen amerikanischen Top 100 Listen, u.a. aktuell auf Platz 30 bei imdb.com.
George Bailey (James Stewart) hatte große Ziele im Leben. Erreicht hat er davon kein einziges. Er wollte die Welt sehen, doch der Schlaganfall seines Vaters drängte ihn in die Geschäftsführerposition in der väterlichen Firma, die er so gerne hinter sich gelassen hätte. Als er nach einigen Jahren verheiratet und mit vier Kindern noch immer kein einziges seiner sich selbst gesetzten Ziele erreicht hat und ausgerechnet an Weihnachten 8.000 Dollar aus der Firmenkasse verloren gehen, möchte er seinem Leben ein Ende setzen. Bailey sieht keinen Ausweg mehr, wegen Veruntreuung droht nun Gefängnis. Der einflussreichste Mann in der Stadt, Mr. Potter (Lionel Barrymore), will ihm nicht helfen, sondern George vielmehr ans Messer liefern. Seine Familie und Freunde haben ihn aber nicht vergessen. Auf ihre Gebete hin, wird der Engel Clarence (Henry Travers), der sich seine Flügel erst noch verdienen muss, hinab gesandt, um Georges Freitod zu verhindern…
„Ist das Leben nicht schön?“ beginnt mit den Gebeten für George Bailey. Der Betrachter kennt diesen Mann noch nicht. Die Kamera schweift über ein malerisches Städtchen. Es ist Nacht, weiße Schneepracht in den Straßen und auf Dächern strahlt das Publikum an. Aus dem Off tönen die verschiedenen, simplen Gebete, während die Kamera durch das Städtchen Bedford Falls schweift. Im Himmel beratschlagen Gott und die Engel über die Gebete aus Bedford Falls. Es wird beschlossen, einen Engel zu senden. Diesem Engel namens Clarence wird erst einmal erklärt, was für eine Person George Bailey ist. Clarence und Publikum schauen nun auf das Leben des George Bailey und dessen Verlauf bis zur schicksalhaften Nacht, jenem 24. Dezember, in der er beschließt, sich das Leben zu nehmen.
„Ist das Leben nicht schön?“ ist ein Märchen, naiv und sentimental. Das gezeichnete Weltbild gibt sich denkbar einfach, die Bildsprache und Erzählweise erscheint etwas plakativ. Und gerade diese Punkte machen Frank Capras beispiellose Dramödie so effektiv und berührend. „Ist das Leben nicht schön?“ verwehrt sich jeglichem Zynismus und bleibt konsequent naiv. Dem Film deswegen Dummheit vorzuwerfen, wäre aber eine unangebrachte Unverfrorenheit. Intelligente Dialoge, fundierte Charakterzeichnungen und ein Näschen für lebensnahe Situationen und Gesten beweisen, dass die Klugheit sowohl von Regisseur Capra, als auch der Drehbuchautoren Frances Goodrich, Albert Hackett, Capra selbst, des Autors der Vorlage Philip Van Doren Stern und des Films an sich nicht unterschätzt werden sollte. Gerade auf Grund seiner Schlichtheit hält „Ist das Leben nicht schön?“ mehr Wahrheiten parat als so manche moderne, spöttische Abrechnung mit gängigen Lebens- und Idealvorstellungen.
Idealistisch ist die Geschichte. George Bailey entpuppt sich als herzensguter Mensch - jedoch nicht frei von Egoismus. Da beweist sich die stimmige Charakterisierung der Protagonisten. Nicht nur George, auch andere Gut- oder Bösmenschen in „Ist das Leben ist schön?“ mögen auf den ersten Blick sich als triviale Karikaturen oder - im Falle von Mr. Potter (Lionel Barrymore) - Angstbilder aufdrängen, bei näherer Ansicht zeigt sich aber, dass gerade diese üblichen, von kleinen Details aufgebrochenen Personenbeschreibungen sehr nahe am Leben und weit von Klischees entfernt sich bewegen.
„Ist das Leben nicht schön?“ leidet darunter, dass mangels einer korrekten Inhaltsangabe viele Zuschauer vor Ansicht etwas anderes erwarten. Die Einleitung wird als zu lang empfunden, der Engel soll endlich erscheinen. Dabei ist die vermeintliche Einleitung nicht zu lang, sondern ein elementarer Bestandteil und Hauptteil des Films, Georges Entscheidung, sich das Leben zu nehmen und die Ankunft des Engels gehören klar dem Schlussakt der Geschichte. Davor erzählt der Film davon, wie das Schicksal fleißig Striche durch die Rechnung und ambitionierte Pläne macht. Es läuft nach dem Motto: Erstens kommt alles anders und zweitens als man denkt. So auch bei George. Viele mehr oder wenig leidgeprüfte Zuschauer können sich in ihm wieder finden. Oder in Mary (Donna Reed), seiner Filmfrau. Auch so ein Gutmensch, aber ebenfalls zu menschlich gezeichnet, um als Klischee oder Abziehbild verschrien werden zu können. Böse Zungen behaupten, dieses erste sehr lange Drittel des Films sei gelegentlich ein wenig langweilig (weil eben der Film vermeintlich nicht zur Sache komme). Papperlapapp. Eine unsinnige Einschätzung und wer immer sie trifft, hat den Film und seine Tiefe nicht so richtig verstanden, bzw. erfasst. „Ist das Leben nicht schön?“ ist eben etwas mehr als nur ein fantasievolles, naives Weihnachtsmärchen.
Am Ende zeigt der Engel George wie das Leben ohne ihn ausgesehen hätte. George sieht verstörende Bilder. Ihm werden die Augen geöffnet. Die Kernaussage ist denkbar einfach und lebensbejahend: „Kein Mensch ist ein Versager“, das Leben eines jeden Menschen beeinflusst das seines Nächsten und wenn er fehlt, so entsteht ein „abscheuliches Loch“; so in etwa umschrieb Capra etwas wortreicher seinen Film. Darüber hinaus handelt „Ist das Leben nicht schön?“ von der Unplanbarkeit eben dieses schönen, überraschenden Lebens. Zuletzt sah George nur, was ihm fehlte und er ignorierte, was er dafür an anderem hatte. Auch das zeigt ihm der Engel. Capra beschert dem Betrachter das ultimative Happy End; er und mit ihm das Publikum dürfen durch eine hoffnungslos rosarote Brille gucken. Ja, in der Konsequenz und am Ende mag „Ist das Leben nicht schön?“ realitätsfern und schönfärberisch sein, aber genau das liegt auch im Sinne des Werks: die schöne Seite und den Sinn des Lebens zu betonen. „Ist das Leben nicht schön?“ kritisiert und giftet nicht weiter rum, beeindruckt nicht mit ätzendem Zynismus oder analytischer Schärfe, sondern bejaht schlicht und ergreifend „Gottes höchstes Geschenk“, das Leben. Jawohl, „Ist das Leben nicht schön?“ ist eine Kitschbombe, aber eine sehr schöne, eine edle und eine zutiefst humane. Am Ende braucht sich keiner seiner Tränen zu schämen, vielmehr solle sich doch der in eine Ecke verkriechen, den Capras wohlmöglich bekanntestes und beliebtestes Werk kalt gelassen hat.
„Ist das Leben nicht schön?“ lebt aber nicht nur von den wahrhaften Emotionen allein. Humor und feine Ironie, nie bösartig, aber immer liebevoll werden in diesem Film groß geschrieben. Der Zuschauer kann genauso herzhaft lachen, wie er mit den Protagonisten leidet und fühlt. Capra macht aus „Ist das Leben nicht schön?“ eine leichtfüßige Hommage an eben das Leben selbst, gar in den bittersten Stunden. Ein amüsantes Highlight ist da sicherlich am Ende der kauzige Engel Clarence, wunderbar und hinreißend komisch gespielt von Henry Travers. Neben der angenehmen Situationskomik, die nie in Slapstick ausartet, besticht der Film auch durch präzisen Wortwitz, welcher darlegt und unterstreicht, dass keineswegs simple Kitschkanoniere für das Endprodukt zuständig waren.
Frank Capras Regie ist tadellos. Mühelos hält er die Balance zwischen Tragik und Komik und schafft es, dass der Film nie zu schwer auf von Weihnachtsgänse oder Pasteten überfüllte Mägen schlägt: weder in den gefühlsbetonten, überaus lustigen oder bitteren Momenten. Die exzellenten Schauspieler machen das Bild perfekt. James Stewart trägt als George Bailey den Film mühelos. Seine lebensnahe und vielschichtige Performance sichert die Identifikation des Zuschauers. Gleiches gilt für Donna Reed. Der „Bad Guy“ des Films ist Lionel Barrymore und auch seine Figur hat wesentlich mehr Substanz, als bei oberflächlicher Erwägung gemeint werden könnte. Denn trotz allem schafft er es - als das pure Gegenteil von George, seinen Idealen und die des Films bzw. Capra - am Ende eher als traurige Figur bedauert, denn gehasst zu werden.
Dieser wunderschöne, zu Tränen bewegende Film darf zum Pflichtprogramm eines jeden Cineasten zählen. Er verfehlt seine Wirkung nicht, auch nicht außerhalb der Weihnachtszeit und sollte von jedem Berufs- und Fachzyniker zur allgemeinen Läuterung mindestens einmal im Jahr gesehen werden…