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    Palindrome
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Palindrome
    Von Carsten Baumgardt

    Mit dem Sundance-Gewinner „Willkommen im Tollhaus” schaffte Todd Solondz 1996 den Durchbruch und etablierte sich fortan als präziser Filmemacher für unbequeme Geschichten abseits des Heile-Welt-Amerikas der Mainstream-Produktionen. Mit seinem spröden Drama „Palindrome“ geht der Regisseur und Drehbuchautor aus Newark, New Jersey, noch einen Schritt weiter, überschreitet dabei leider die Grenzen des Konsumierbaren und setzt seinem Publikum einen äußerst schwer verdaubaren Filmhappen vor, an dem sich die meisten verschlucken werden.

    Die zwölfjährige Aviva (Rachel Corr, Will Denton, Hannah Freiman, Jennifer Jason Leigh, Shayna Levine, Valerie Shusterov, Sharon Wilkins, Emani Sledge) wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind. Nachdem sie mit ihrem Cousin Judah (John Gemberling) schläft, wird sie tatsächlich schwanger. Ihre Eltern (Ellen Barkin, Richard Masur) sind entsetzt und wollen, dass Aviva das Kind abtreibt. Sie weigert sich zwar standhaft, hat aber am Ende keine Wahl. Allerdings geht etwas schief und sie kann anschließend keine Kinder mehr bekommen. Frustriert lässt sie ihr Elternhaus hinter sich und reißt aus. Unterwegs hat sie Sex mit einen pädophilen Trucker (Stephen Adly-Guirgis) in einem Motelzimmer. Das Mädchen will mit ihm zusammen sein, aber am nächsten Morgen ist er längst über alle Berge. Bei der streng christlichen Familie Sunshine strandet Aviva und wird zunächst liebevoll aufgenommen. Mama Sunshine (Debra Monk) hat ein Herz für gescheiterte Existenzen und nimmt diese in ihre Familie auf...

    Todd Solondz („Happiness“, „Storytelling“) war noch nie ein Mann, der seinen Anhängern glattgebügelte Charaktere vorgesetzt hat, aber trotz aller Verschrobenheit seiner Außenseiter blieb immer etwas Liebenswertes, Greifbares, an dem sich der Betrachter orientieren konnte. Bei „Palindrome“ fehlt dieser Ansatz völlig. Keine der Figuren schafft es, so etwas wie Sympathie zu erzeugen. Aviva ist viel zu naiv und sonderlich, als dass sie diesen ihr zugedachten Part meistern könnte. Das Bitterste ist jedoch, dass Solondz’ Experiment, Aviva von acht verschiedenen Personen spielen zu lassen, mit Hochdruck in die Hose geht. Mal ist Avivia weiß und dünn, dann dick und schwarz oder umgekehrt. Für ein paar Minuten wird sie sogar von einem Jungen dargestellt und am Ende darf die 43-jährige Jennifer Jason Leigh so tun, als sei sie ein 12 Jahre altes Mädchen. Das ist nicht nur absurd, sondern einfach albern. Schlimmer: Die Identifikation mit Avivia wird durch das ständige Wechselspiel schlicht unmöglich gemacht. Zudem besitzen viele der Figuren ein derart hohes Nervpotenzial, dass es oft schmerzt, wenn Ellen Barkin zum Beispiel theatralisch bis ins Mark aufspielt.

    Was will uns der Künstler eigentlich sagen? „Ich hatte die Hoffnung, auf diese Weise die Wirkung vervielfältigen zu können und noch eindringlicher die Gefühle anzusprechen, als es mir mit nur einem Darsteller möglich gewesen wäre. Es ging demnach mehr um Magie als um einen billigen Taschenspielertrick“, erklärt Solodz. Leider liegen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Drehbuch und Leinwand, Welten. Die Figur der Aviva findet durch die permanente Wechselei nie Rhythmus oder gar die erhoffte Magie ihrer imaginären Vorbildfigur der Dorothy aus „Der Zauberer von Oz“. Das heißt nicht im Umkehrschluss, dass sämtliche Leistungen der Aviva-Darsteller schlecht sind, teilweise sogar recht überzeugend, aber Fluss findet der Film nie, bewegt sich stattdessen in Episoden fort und überzeugt höchstens als Stückwerk. Ein weiterer Gedankenansatz zu Solondz’ Achtfach-Besetzung geht aus dem Titel hervor. Ein Palindrom, ein Wort, das sich von vorn wie hinten gleich liest, ist der Name Aviva. Das Äußerliche sei völlig egal, allein auf den Charakter komme es an, will Solondz ausdrücken.

    Rein formal dominiert bei „Palindrome“ das Drama. Aber das Genre hält Solondz nicht durch und schweift zwischendurch in eine ätzende Satire auf die amerikanische Familie sowie religiösen Fanatismus ab. Mama Sunshine und ihre kuriose Schar der Ausgestoßenen sind Hardcore-Christen und Jesus-Junkies der etwas anderen Art. Die Patriarchin ist an der Oberfläche gutherzig, eine Mutter Theresa der amerikanischen Hinterlands, aber darunter radikal und verroht. Den unmoralischen Abtreibungsarzt lässt sie von einem Jünger hinrichten und Verständnis für andere ist auch Fehlanzeige. Für einen eigenen Film mag das funktionieren, aber als Teil eines Dramas über ein Mädchen auf der Suche nach sich selbst, wirkt dieser Handlungsstrang deplatziert und ärgerlich.

    Mit „Palindrome“ hat Todd Solondz nicht nur seinen unbequemsten, sondern auch seinen mit Abstand schlechtesten Film am Start. Zwar knüpft er inhaltlich zu Beginn an „Willkommen im Tollhaus“ an, indem er mit der Beerdigung der Dollhouse-Hauptfigur Dawn Wiener eröffnet, aber stilistisch ist dem Filmemacher das Werk aus dem Ruder gelaufen. Seine Absichten und Ansätze kommen beim Betrachter gar nicht bzw. verzehrt und entstellt an. Dabei ist nicht einmal die Thematisierung von Pädophilie oder vorpubertärem Sex der Stolperstein, da Solondz diese Problematik unverkrampft und sorgfältig angeht, aber als Ganzes überzeugt „Palindrome“ einfach nicht. Der Zuschauer bekommt keine Möglichkeit, an dem Schicksal der Aviva teilhaben zu wollen.

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