Das Horror-Genre präsentiert sich in der Post-„Scream“-Ära genauso, wie es vor Wes Cravens genialer wie innovativer Hommage vor sich hin darb: ausgelutschte Plots, Klischees am laufenden Band und durchgedrehte Weirdos mit mordsmäßiger Lust am töten im Dutzend billiger. Weder die gelackte Neuauflage von „Texas Chainsaw Massacre“ noch der Culture Clash „Freddy Vs. Jason“ oder der Gore-Overkill „Haus der 1000 Leichen“ brachten das Genre voran. Also mussten erst zwei junge Australier daherkommen, um dem Horror-Sujet mit dem Low-Budget-Bastard „Saw“ wieder frisches Leben einzuhauchen. Regisseur/Drehbuchautor James Wan und Hauptdarsteller/Co-Autor Leigh Whannell drehten einen hundsgemeinen Hardcore-Schocker, der keine Kompromisse macht und so gnadenlos an den Nerven der Zuschauer zerrt, wie schon lange kein Film mehr, sodass kleinere Mängel gern verziehen werden.
Adam (Leigh Whannell) und Lawrence (Cary Elwes) erwachen in einem wahren Albtraum. Nach einem Blackout sind die beiden in einem versifften Keller-Verlies mit den Füßen an massive Heizungsrohre gekettet. In der Mitte des Raumes liegt eine blutüberströmte Leiche zwischen ihnen. Keiner scheint dem anderen vorher schon einmal begegnet zu sein. Der Arzt Dr. Lawrence Gordon und sein Gegenüber sind die Opfer eines sadistischen Psychopathen, der sein perverses Spiel mit ihnen treibt. Warum die beiden von dem Killer auserwählt worden sind, versuchen sie nach und nach herauszubekommen. Ihr Peiniger gibt ihnen kleine Hinweise und Hilfen, dem Rätsel auf die Spur zu kommen und spielt sie gleichzeitig brutal gegeneinander aus. Mit einer Säge, die zu stumpf ist, um die Fesseln durchzuschneiden, gibt er ihnen nur die Möglichkeit, sich einen Fuß abzutrennen, um frei zu kommen. Doch Adam und Lawrence bemühen sich ernsthaft um Alternativlösungen, schließlich ist ihnen ein Zeitlimit gegeben worden, dass sie aber besser nicht überziehen sollten.
Eines gleich vorweg: Wer sich nicht für das Horror-Genre begeistern kann, einen empfindlichen Magen hat oder psychisch labil ist, sollte „Saw“ so weit möglich umgehen. Dieser Film ist definitiv krank. Aber für das Aussie-Duo James Wan und Leigh Whannell, die diesen Psycho-Schocker für lächerliche 1,2 Millionen Dollar in Los Angeles drehten, ist dies sicherlich als Kompliment zu werten. Aus ihren begrenzten Mitteln holen sie das Maximale und einiges mehr heraus. Das Skript, das beide zusammen schrieben, bietet zwar einige Unglaubwürdigkeiten, diese müssen aber akzeptiert werden, weil die Geschichte nur so funktionieren kann wie sie schlussendlich funktioniert. Der Film verschachtelt sehr geschickt mehrere Handlungsebenen ineinander. Zunächst kämpfen Adam und Lawrence in der Gegenwart um ihr Leben. In Rückblenden werden einerseits ihre charakterlichen Hintergründe beleuchtet und zum anderen wird die Kriminalgeschichte erzählt, die den fanatischen Cop Tapp (Danny Glover) und seinen Partner Sing (Ken Leung) auf die Fährte des sogenannten Jigsaw-Killers führen. So bekommt der Film nach und nach Struktur, ohne dass sich die Handlungsstränge gegenseitig im Wege stehen oder Langeweile provozieren. Puzzlestück für Puzzlestück setzt sich zusammen.
Wan und Whannell sind offensichtlich keine Chorknaben. In Sachen Psycho-Terror zeigen sie, wo Bartel in Australien den Most holt. Ihr Verdienst: Die Ideen, die sie ihrem Mr. Jijsaw ans Herz legen, sind durch die Bank krank und hochgradig brutal, aber dennoch ist der Gore-Gehalt überschaubar. Zwar gibt es einige physische Gewalteruptionen, aber den wahren Horror zementieren die beiden genüsslich in die Hirne der Besucher. Selten war ein Film in letzter Zeit psychologisch anstrengender und fordernder. „Saw“ sägt einfach ohne Gnade an den Nerven und sorgt für permanentes Herzrasen. Der Perversion des Killers sind dabei kaum Grenzen gesetzt. So stattet er zum Beispiel eine junge Frau (Shawnee Smith) mit einem Zeitfenster aus, um ihr Leben zu retten. Sie muss ihren Kopf von einer mörderischen Maske befreien, benötigt dazu allerdings einen Schlüssel. Dummerweise steckt der im Magen eines bemitleidenswerten Opfers, welches durch Medikamente betäubt wurde, aber bei vollem Bewusstsein ist und vor ihr auf dem Boden liegt. Lässt sie sich zuviel Zeit, stirbt sie. Der Stil der Perversion als auch die düstere, farbfilterfreudige Optik sowie die Motivation des Killers erinnern an David Finchers Meisterwerk „Sieben“, bei dem sich Wan und Whannell ausgiebig bedienen.
Die Spannung, die „Saw“ durch seine psychologischen Schraubzwingen erzeugt, ist großartig, sodenn sich der Betrachter darauf einlässt. Schauspielerisch überzeugt an erster Front Cary Elwes („Twister“, „Der Dummschwätzer“), der aus der zweiten Reihe Hollywoods aufrücken darf. Bravourös macht er den Terror greifbar, dem sein Dr. Gordon ausgesetzt ist. Co-Star und Drehbuchautor Leigh Whannell fällt dagegen ein wenig ab, schafft es aber immer noch, seinem Adam die nötige Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die größeren Namen des Films sind hier nur in Nebenrollen zu sehen. Während Monica Potter („Im Netz der Spinne“, „Con Air“) und Dina Meyer („Starship Troopers“, „Star Trek: Nemesis“) nicht viel mehr tun können, als sich quälen zu lassen, hinterlässt Danny Glover („Lethal Weapon“-Reihe) mit seinem zurückhaltenden Spiel einen tadellosen Eindruck als getriebener Cop, der es zu seiner persönlichen Obsession macht, den Psychopathen zur Strecke zu bringen.
Neben den kleinen Schwächen im Skript, die allerdings erst bei genauerem Nachdenken deutlicher werden, ist Wans Maßnahme, die Hauptcharaktere mit allerlei Unsympathie zu belegen, zumindest gewagt. So tut sich nämlich die Frage auf, ob sich der Zuschauer genug darum schert, was mit den Figuren passiert. Verneint der Betrachter dies, so funktioniert der ganze Film nicht, wenn er keinen Anteil daran nimmt, ob der Protagonist nun filetiert wird oder nicht. Keiner der Charaktere ist frei von Schuld. Die Grundausrichtung mit vielen Storytwists ist ein Garant dafür, dass „Saw“ über 100 Minuten lang unterhält, doch am Ende übertreiben es Wan und Whannell und hätten sich vielleicht einen Haken besser verkniffen. Doch bei allem, was die beiden an Spannung und Innovation (oder zumindest geschickter Variation) bieten, fallen diese Unzulänglichkeiten wenig ins Gewicht. Für Hardcore-Horrorfans ist „Saw“ ein echtes Fest – ein sehr erfolgreiches noch dazu. Der Schocker wird in den USA am Ende rund 56 Millionen Dollar einspielen. Bei dem geringen Budget eine echte Sensation. Deswegen verwundert es auch kaum, dass für 2005 bereits die Produktion von „Saw 2“ angesetzt ist...