Terry Gilliam tischt seinen Zuschauern wieder einmal einen skurrilen, abgedrehten Film auf, der vor allem durch seine Bilderflut punkten kann, aber Schwächen in der Story aufweist. Tideland ist ein eher unbekannter Film, der in den amerikanischen Kinos gerade mal 66.000 Dollar Einspielergebnis hatte (bei Produktionskosten von 12 Mio. Dollar) und in Deutschland gar nicht erst in die Kinos kam.
Terry Gilliam gibt zu Beginn des Films eine Erläuterung ab, von der er sich wohl verspricht, dass die Zuschauer dadurch seinen Film besser verstehen werden. So sei der Film aus der Perspektive eines Kindes gefilmt und man solle versuchen, ihn auch aus den Augen eines Kindes zu sehen und die Ängste, Vorurteile und vorgefertigten Meinungen, die aus Erfahrungen des erwachsenwerdens entstehen, zu vergessen. Dies ist auch sehr wichtig, jedoch wäre man auch ohne diese Erklärung notgedrungen dazu gezwungen, den Film aus Sicht von Jeliza-Rose zu sehen, denn ihr sorgloser Blick auf ihre Umgebung steht im Mittelpunkt des Films.
Viele Aspekte früherer Filme Gilliam´s vereinen sich in diesem Film (Fantasygeschichte wie bei Gebrüder Grimm, eine Parallel-Welt wie aus einem anderen Universum, wie bei Brazil). Auch hier spielen Drogen eine Rolle (Fear and Loathing in Las Vegas), aber auf einer viel angsteinflößerenderen Ebene – so sterben beide Eltern an einer Überdosis und wirkten bis dahin wie Alt-Hippies, die mit der Aufgabe, ein Kind zu erziehen völlig überfordert sind. Als Ausgleich flüchtet Jeliza-Rose in eine Fantasiewelt, in der sie die fehlende emotionale Bindung durch ihre Freundschaft mit ihren Puppenköpfen kompensiert und Probleme nicht wahrnimmt. So freut sie sich beispielsweise als ihre Mutter stirbt, da sie nun alle ihre Schokoriegel aufessen kann.
Im Verlaufe des Films entsteht ein visuell beeindruckender Bilderrausch (was man jedoch auch von einem Film von Terry Gilliam erwartet) mit einer Kameraführung, die den Zuschauer inmitten ins Geschehen integrieren. Man muss die Bilder auf sich wirken lassen, ohne zu hinterfragen, worin nun genau der Zweck des eben Gesehenen liegt.
Die schauspielerische Leistung ist ordentlich, vor allem die Darstellung der jungen Jeliza-Roze wird souverän gespielt. Auch die Rolle Dickens wirkt nie lächerlich oder übertrieben. Auch die musikalische Untermalung ist überdurchschnittlich gut, wird jedoch nur beiläufig wahrgenommen. Hier hätte ein etwas einnehmenderer Score die Bilderflut besser unterstützen und dadurch noch mehr Akzente setzen können.
Leider fehlt der abgedrehten Story eine durchgängige Dramaturgie, da hauptsächlich in der zweiten Hälfte des Films die Logik den zunehmend schockierenden Bildern weichen muss. Ein etwas dickerer roter Faden hätte der Story sicher gut getan, denn so wird auch eine gewisse Distanz gegenüber den Protagonisten des Films geschaffen, die bis zum Ende nicht abgelegt wird.
Fazit:
Tideland ist ein optischer Leckerbissen, bei dem man jedoch den plausiblen Verstand ausschalten muss und sich der Bilderflut hingeben muss, dann wird man auch belohnt und von einer tollen Optik beeindruckt. Leider fehlt zu einer höheren Wertung eine besser durchdachte, durchgängige Dramaturgie.
7/10