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    Unter Kontrolle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Unter Kontrolle
    Von Jan Hamm

    David Lynch steht wie kaum ein anderer für Tauchgänge ins Unbewusste. Filme wie Lost Highway oder Mulholland Drive haben eine Marke etabliert, der man mit Neugierde und entsprechender Erwartungshaltung begegnet. Das weiß auch PR-Abteilung von Warner und postierte den großen Namen gut sichtbar auf dem Filmplakat zum Independent-Thriller „Unter Kontrolle“, obgleich er hier lediglich als ausführender Produzent auftritt. Für Drehbuch und Regie zeichnet seine Tochter Jennifer verantwortlich, und hat damit wahrlich große Fußstapfen auszufüllen. Die Voraussetzungen sind vielversprechend: „Unter Kontrolle“ erzählt von einem Verbrechen, welches retrospektiv aus sich widersprechenden Blickwinkeln aufgehellt wird. Das klingt ein wenig nach Akira Kurosawas Meisterwerk Rashomon, und tatsächlich bemüht Warner auch diesen großen Namen. Jennifer Lynch drehte zuvor lediglich einen Spielfilm („Boxing Helena“), für den sie 1993 eine Goldene Himbeere mit nach Hause nehmen musste. 15 Jahre nach dem ersten Versuch vegreift sich die Tochter des Meisters aber leider einmal mehr im Ton. „Unter Kontrolle“ scheitert am eigenen Anspruch und erweist sich schlussendlich als brutaler Thriller ohne Tiefgang.

    Die FBI-Agenten Elizabeth Anderson (Julia Ormond) und Sam Hallaway (Bill Pullman) begeben sich in die kanadische Einöde, um drei Überlebende einer bestialischen Mordserie zu befragen. Bereits bei der Ankunft ergeben sich Spannungen mit der örtlichen Polizei und den drei sehr unterschiedlichen Zeugen: einem Polizisten (Kent Harper, der auch am Drehbuch mitschrieb), einer Drogenabhängigen (Pell James) und einem kleinen Mädchen (Ryan Simpkins). Unter der Mithilfe von Chief Billings (Michael Ironside) beginnt in drei seperaten Räumen ein kompliziertes Verhör, in dessen Verlauf Anderson und Hallaway klar wird, dass die Zeugen offensichtlich mehr wissen, als sie zugeben wollen...

    Dass der Film trotz des namhaften Produzenten und den beiden Lynch-erprobten Darstellern Bill Pullman (Lost Highway) und Julia Ormond (Inland Empire) nicht funktioniert, liegt vor allem am schwachen Drehbuch aus Jennifer Lynchs Feder. Die Ansätze stimmen, werden aber entweder nicht ausgereizt, oder aber ganz fallengelassen. Ging es Kurosawa bei Rashomon noch darum, die Subjektivität der Erinnerung und damit die Unfassbarkeit von Wahrheit auszudrücken, so dient der Aufbau, die Geschichte aus drei verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, hier lediglich als beliebiger Aufhänger. Was wirklich geschah, wird dann doch eindeutig aufgelöst und in einer einzigen, großen Rückblende vermittelt. Schon nach einigen wenigen Szenen dominiert das „Whosdunnit“-Motiv, die Subjektivitätsthematik wird ausgeblendet. Auch die präzisen Charakterisierungen der Figuren in der ersten Filmhälfte verlieren mit fortlaufender Spieldauer ihre Relevanz. Dabei hätte „Unter Kontrolle“ gerade hiermit punkten können.

    Die Involvierten kommen alle aus ihrem eigenen Problemkosmos. So langweilt sich der Polizist mit seinem Partner bei den Patrouillen derart, dass er als Zielscheiben fungierende Blechdosen mit den Namen großer Serienkiller wie Dahmer und Manson ausstattet. Die Frustration, im kanadischen Outback rein gar nichts Großes vollbringen zu können, kompensiert sich in Sadismus. Die Beiden schießen vorbeifahrenden Autos die Reifen kaputt, schüchtern die Gestrandeten ein und ergötzen sich an ihrer Machtposition. Das ist stellenweise richtig unheimlich und ermöglicht Einblicke in eine depotenzierte männliche Identität. Doch auch für diese Themen verliert Lynch mit Beginn der großen Rückblende das Interesse.

    Die brutale Mordszene verdrängt schließlich jeden präzisen Blick auf die Charaktere und ist mit nahezu voyeuristischem Eifer inszeniert. Lynch macht hier den Fehler, die zuvor etablierte Atmosphäre der Bedrohung durch allzu konkrete Gewalt zu ersetzen. Zudem verfällt sie verlockenden Klischees, so zum Beispiel der aufgesetzt gruseligen Maskierung des Mörders, die freilich nur dazu dient, seine Identität bis zum Schluss geheim zu halten. Negativ wirkt sich auch aus, dass sich Lynch nicht für einen Hauptcharakter entscheiden kann, weshalb die Identifikation mit den Opfern unnötig schwerfällt. Am ehesten taugt dazu noch das kleine Mädchen als unschuldigste Figur. Durch ihr gelassenes Verhalten nach der Enttarnung des Täters büßt sie allerdings massiv an Glaubwürdigkeit ein, und sorgt so eher für Kopfschütteln statt Identifikationspotential. Das Finale kann dann zwar milde überraschen, ist aber aufgrund der Bezugslosigkeit zu den Charakteren höchstens noch von nachgeordnetem Interesse.

    Jennifer Lynch hat sichtbar versucht, einen eigenen Stil zu entwickeln und sich vom übermächtigen Vater abzugrenzen, scheitert dabei aber am eigenen Anspruch. Papa Lynch hat das Problem übrigens erkannt und seiner Tochter die Überarbeitung des Drehbuches nahegelegt – zu Recht, aber ohne Erfolg. Mit mehr Feinschliff hätte aus „Unter Kontrolle“ ein passabler Thriller werden können. Denn der Rest der Inszenierung ist stimmig. Die Bilder des kanadischen Outbacks sind staubig und unwirtlich. Die seltsamen Verhaltensweisen aller Involvierten kommen von Beginn an zur Geltung. Und die Darsteller geben sich sichtbar Mühe, gegen ihre eindimensionalen Rollen anzuspielen. Das Gefühl, dass der Film deutlich mehr verspricht, als er hält, bleibt aber bestehen. Eine weitere Goldene Himbeere hat Jennifer Lynch für ihre zweite Regie-Arbeit sicher nicht verdient, nennenswerte Anerkennung wird sie mit „Unter Kontrolle“ aber wohl auch nicht ernten.

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