Wir befinden uns in Dänemark, jenem kleinen nordeuropäischen Land am Øresund zwischen Nord- und Ostsee zu Beginn der neunziger Jahre. Die drei jungen, aber äußerst talentierten Regisseure Lars von Trier, Søren Kragh-Jacobsen und Thomas Vinterberg sind angewidert von der sich ständig wiederholenden, austauschbaren Hochglanz-Ästhetik des vorrangig amerikanischen Mainstreamkinos. Die Drei ziehen die für sich einzig tragbare Konsequenz und formulieren ein aus zehn Punkten bestehendes Regelwerk, an das sie sich fortan bei allen ihren Werken halten würden. Dies ist die Geburtsstunde dessen, was als „Dogma 95“ in die Filmgeschichte eingehen sollte. Zu den selbst auferlegen Bedingungen gehören unter anderem, dass nur an Originalschauplätzen gedreht werden soll, die ausschließliche Verwendung von Originalton, Verzicht auf Filmmusik, Verwendung von Handkameras und der vollständige Verzicht auf oberflächliche Action. Die ersten, diesen Leitsätzen folgenden Filme waren Vinterbergs „Das Fest“, von Triers „Idioten“ (beide 1998) und Kragh-Jacobsens „Mifune“ (1999). Es folgten Ole Christians Madsens „Kira“ (2000) und Susanne Biers „Open Hearts“ (2002). Der neuste Film in dieser Reihe ist nun Natasha Arthys „Alt, neu, geliehen und blau“.
Katrine (Sidse Babett Knudsen) wird in wenigen Tagen heiraten. Eigentlich der glücklichste Tag im Leben einer jungen Frau, doch Katrine hat ein Problem, mit dem sie schwer zu kämpfen hat. Es ist nicht ihr zukünftiger Ehemann Jonas (Søren Byder). Er liebt sie über alles, sie liebt ihn. Insofern ist alles in Butter. Es ist auch nicht, dass sie mit der Hochzeitvorbereitung überfordert wäre. Ihre zukünftige, arbeitswütige Schweigermutter nimmt ihr eigentlich alles ab. Einzig die Tischkarten muss sie selbst beschriften. Das Problem ist ihre Schwester Mette (Lotte Andersen). Diese lebt seitdem sie vor knapp zwei Jahren von ihrem Freund Thomsen (Björn Kjellman) verlassen wurde in einer geschlossenen, psychiatrischen Anstalt. Katrine weiß einfach nicht, wie sie ihrer Schwester, einer an einer gescheiterten Liebe zerbrochenen Person, mitteilen soll, dass sie sich in Kürze für ewig an die Liebe ihres Lebens bindet.
Katrine entschließt sich für den Weg des geringsten Widerstandes: Sie verschweigt Mette ihre Hochzeit komplett. An der Zeremonie wird diese ohnehin nicht teilnehmen können. Daher halten sich Katrines Gewissensbisse auch in Grenzen. Die volle Konzentration kann also fortan der anstehenden Vermählung gewidmet werden. Allerdings ist dieser Zustand nur von kurzer Dauer. Drei Tage vor Katrines großem Tag steht Thomsen vor ihrer Haustür. Er berichtet ihr, dass er soeben von einem zweijährigen Afrikatrip zurückkomme. Warum er damals Hals über Kopf aufgebrochen sei, wisse er selbst nicht so genau. Doch nun sei er ja wieder in Kopenhagen. Da Thomsen noch keine neue Unterkunft in der alten Heimat gefunden hat, nimmt Katrine ihn der alten Zeiten Willen bei sich auf. Doch damit nicht genug. Sie erfährt, dass Thomsen während seiner Zeit in Afrika an Aids erkrankt ist und er selbst noch nichts davon weiß. Katrine muss also nun am Tag vor ihrer Hochzeit einen Weg finden, Thomsen möglichst schonend sein tragisches Schicksal zu offenbaren und obendrein etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues auftreiben. Dass Katrine und Thomsen eine nicht rein platonische Vergangenheit verbindet und Mette zufällig von dessen Ankunft in Dänemark erfährt, vereinfacht dieses Unterfangen nicht gerade…
Als Dogma Ende der 90er populär wurde, war es eine erfrischende, neue Idee, die durchaus etwas hatte und zu faszinieren wusste. Mittlerweile spielt das Thema allerdings kaum noch eine Rolle. Vom damals veranstalteten Hype ist nur noch wenig übrig geblieben. Daran wird auch Natasha Arthy mit „Alt, neu, geliehen und blau“ nichts ändern. Was sie abliefert, kann ohnehin nicht als Dogma-Film im ursprünglichsten Sinne kategorisiert werden. So verstößt Arthy beispielsweise gegen die Dogma-Richtlinien, indem sie gelegentlich ein Kamerastativ verwendet oder die ursprüngliche Original-Tonspur nachbearbeitet. Das Verbot von Filmmusik umschifft sie, indem sie der psychisch kranken Mette ein ganzes Ensemble an imaginären Freunden („A Beautiful Mind“ lässt grüßen) zur Seite stellt, die ihr munter das ein oder andere Liedchen trällern (hört sich schwachsinnig an, ist aber sympathisch). Was unterm Strich dabei herauskommt, wahrt allerdings den ursprünglichen Gedanken der Dogma-Gründer. „Alt, neu, geliehen und blau“ bietet ein im Vergleich zum Mainstream angenehm anderes, real wirkendes Kinoerlebnis. „Dogma light“ oder „New Dogma“ sozusagen.
Nicht geändert haben sich dadurch allerdings die Anforderungen. Wie in den traditionellen Dogma-Film stehen durch das konsequente Außenvorlassen von Spezial-Effekten und großräumigen Kameraschwenks einzig und allein die Darsteller im Mittelpunkt. Arthy arbeitet (zwangsläufig) mit nicht enden wollenden Nachaufnahmen ihrer Schauspieler und lässt ihnen dabei viel Freiraum zur Improvisation. Dies hätte leicht zu einer kapitalen Bauchlandung führen können, doch insbesondere die beiden Hauptdarsteller Sidse Babett Knudsen (in ihrer dänischen Heimat eine äußerst gefragte Schauspielerin) und der Schwede Björn Kjellman wissen in ihren Rollen voll und ganz zu überzeugen. „Alt, neu, geliehen und blau“ erzählt eine mitunter verrückt anmutende Geschichte, die mit den kleinen und großen Absurditäten des Alltags spielt. Natasha Arthy ist ein ungewöhnlicher, jedoch auch kurzweiliger und charmanter Film gelungen, der aufgrund seiner Umsetzung allerdings einen schweren Stand beim Publikum haben wird. Den Geschmack der Masse trifft der Film definitiv nicht. Der 08/15-Kinogänger wird mitunter vom Gesehenen angeödet sein. Wer jedoch einfach einmal einen anderen Film sehen möchte und genau wie die Herren von Trier, Kragh-Jacobsen und Vinterberg genug vom Mainstrem-Kino hat, darf ruhigen Gewissens einen Blick riskieren.