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    The New World
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The New World
    Von Jürgen Armbruster

    Terrence Malick und Hollywood – so richtig glücklich wurden diese beiden noch nie miteinander. Nachdem die damalige Produktionsfirma Paramount Pictures zu viele Änderungen an seinem Farmer-Epos „In der Glut des Südens“ forderte, zog sich der hoch veranlagte Ausnahmeregisseur nach Fertigstellung des Films im Jahr 1978 in seine Wahlheimat Paris zurück und lebte in vollkommener Abgeschiedenheit. Bis Mitte der 90er Jahre existierte nicht einmal ein aktuelles Foto von ihm. 20 Jahre sollten bis zu seinem nächsten Film vergehen. Und mit diesem folgte prompt das nächste Zerwürfnis. Sein „Der schmale Grat“ war insgesamt sieben Mal für den Oscar nominiert und ging trotzdem leer aus. Zumeist zeigten ihm Steven Spielberg und Der Soldat James Ryan die lange Nase. Ob es nun am einen Gefühl mangelnder Wertschätzung lang, dass wieder acht Jahre bis zum nächsten Film von Terrence Malick vergehen mussten, ist nicht überliefert. Fest steht nur, dass mit „The New World“ einer der unorthodoxesten Filme des Jahres in den Startlöchern steht.

    „The New World“ erzählt die außergewöhnliche Liebesgeschichte zwischen dem britischen Forscher John Smith (Colin Farrell) und der Häuptlingstochter Pocahontas (Q'Orianka Kilcher). Jedenfalls ist klar, dass das Pocahontas sein muss, auch wenn ihr Name während des gesamten Films nicht einmal genannt wird. Einmal ist es fast soweit. Aber da lebt sie schon als Verstoßene unter den britischen Siedlern in deren Kolonie Jamestown und nennt sich selbst Rebecca. Aber der Reihe nach. Der Film beginnt mit einem kurzen Gebet von eben jener Pocahontas. Danach wird Geschwiegen. Wir sehen die Sumpflandschaften Virginias, die unberührten Wälder, den Fluss, drei kleine Segelschiffe und John Smith, wie er angekettet unter Deck die Landung der Siedler beobachtet. Es vergehen Minuten, bis die ersten Worte gewechselt werden. Nur Bilder und Wagner (Das Prelude zu der Oper „Das Rheingold“) stimmen den Zuschauer auf das ein, was da noch kommen mag.

    Eigentlich hätte Smith wegen meuterischer Reden hingerichtet werden sollen. Doch Captain Christopher Newport (Christopher Plummer, Insider) verschont ihn. Ihm ist von Beginn an klar, dass jede helfende Hand notwendig ist, um in dieser fremden neuen Welt zu überleben. Und Newport sollte Recht behalten. Die wenigen mitgebrachten Vorräte werden von Würmern befallen und der Winter steht bereits vor der Tür. Newport bricht mit einem der Schiffe zurück nach England auf, um neue Vorräte zu beschaffen. Smith soll unterdessen die Stellung halten und die Siedler über den Winter bringen. Um dies sicherzustellen, nimmt Smith Kontakt zu den Eingeborenen auf. Er hofft, Schwarzpulver gegen Lebensmittel eintauschen zu können. Doch der Plan geht schief. Er wird gefangen genommen und soll als Warnung an alle weißen Männer getötet werden. Doch dann schreitet Pocahontas ein und rettet ihm sein Leben…

    Auch wenn gewisse Aspekte aus dem Leben von Pocahontas und Adam Smith nie wissenschaftlich belegt werden konnten und wohl der Legendenbildung zuzuschreiben sind, basiert „The New World“ doch auf einer wahren Geschichte. Auch wenn das hierzulande vermutlich nicht jedem bekannt ist, weiß trotzdem jeder, was im Folgenden geschieht. Der Abenteurer und Idealist Smith fühlt sich stark zum Indianerstamm hingezogen. Ihr Leben ohne Neid, Missgunst und Lügen erscheint ihm wie ein war gewordener Traum. Während seiner Zeit beim Stamm kommt er auch Pocahontas immer näher, bis sich die beiden schließlich ineinander verlieben. Im krassen Gegensatz zum Leben der Indianer steht das Leben in Jamestown. Obwohl nicht einmal genug zum Essen für alle vorhanden ist, schürfen die Siedler in ihrer unermesslichen Gier immer noch weiter nach Gold. Captain Wingfield (David Thewlis, Harry Potter und der Gefangene von Askaban) verfällt zunehmend dem Wahn. Die angespannte Situation steht kurz davor, in Gewalt zu eskalieren. In seinen besten Szenen erinnert „The New World“ nicht nur wegen der ähnlich angesiedelten Thematik an Werner Herzogs Geniestreich Aguirre - Der Zorn Gottes.

    Handwerklich und formell ist „The New World“ radikal wie brillant zugleich. Auf Dialoge verzichtet Malick soweit es ihm nur irgendwie möglich ist. Wenn dann doch einmal einer der Charaktere etwas sagt, bleibt eine Antwort oft aus. Stattdessen dominieren Off-Kommentare und phantastische Bild- und Tonkompositionen. „The New World“ ist der erste Film seit Kenneth Branaghs „Hamlet“ (1996), der komplett auf 65mm-Film gedreht wurde. Für gewöhnlich wird dieses Material nur für Einstellungen verwendet, die später mit Spezialeffekten nachbearbeitet werden müssen. Alles andere wäre zu aufwändig und vor allem zu teuer. Insgesamt haben Malick und Kameramann Emmanuel Lubezki („Y tu mamá también“, „Sleepy Hollow“) über 300.000 Meter (!) Filmmaterial gedreht. Durch die Verwendung eines 65mm-Films konnte auch weitestgehend auf eine künstliche Beleuchtung verzichtet werden, was den gesamten Film gleich wesentlich authentischer und außergewöhnlicher wirken lässt.

    Auch beim Schnitt entschied sich Malick für eine äußerst unorthodoxe Methode. Er lies zunächst Komponist James Horner (Tatsächlich Liebe, Troja) anhand des fertigen Drehbuchs den kompletten Score fertig stellen, bevor dieser auch nur eine einzige Einstellung des späteren Films zu Gesicht bekam. Das ist nicht nur eine besondere Herausforderung für den Komponisten, sondern auch der Grund dafür, dass Malick so immens viel Filmmaterial drehen musste: Er wusste ganz einfach nicht, was später beim Schnitt auf ihn zukommen würde und musste in der Lage sein, möglichst flexibel zu reagieren. Doch die Rechnung geht voll auf. Nur äußerst selten hinterließen Bild und Ton einen harmonischeren Eindruck. Im Überschwang ist man fast geneigt zu sagen, dass „The New World“ Zelluloid gewordene Poesie ist. Der immense Aufwand hat sich also durchaus gelohnt.

    Die Schauspieler machen ihre Sache ebenfalls durch die Bank gut. Colin Farrell gelingt es, die derbe Alexander-Pleite auszumerzen. Die innere Zerrissenheit seines John Smith bringt er gut rüber. Wobei der Ire mit dem Hang zum Divenhaften nun auch einmal wieder einen richtigen Hit notwendig hat. Vielleicht klappt es ja mit Michael Manns Miami Vice. Batman Begins-Star Christian Bale, der im späteren Verlauf den Tabakbauer und Pocahontas’ Ehemann John Rolfe spielt, ist natürlich auch eine ganz sichere Nummer. Weitaus schwieriger war da natürlich die Besetzung der Pocahontas. Es musste eine Darstellerin gefunden werden, die im Verlauf der Filmhandlung von einem verspielten Mädchen zu einer verbitterten jungen Frau heranwachsen kann. Am Ende eines weltweiten Casting-Prozesses fiel die Entscheidung auf die damals gerade 14 Jahre alt Q'Orianka Kilcher. Diese war bislang nur in einer kleinen Nebenrolle in Ron Howards „Der Grinch“ zu sehen. Ganz ohne Risiko war diese Besetzung nicht. Schließlich steht und fällt mit ihrer Pocahontas der gesamte Film. Machen wir es kurz: Die im deutschen Schwarzwaldstädtchen Schweigmatt geborene Tochter eines Peruaners und einer Schweizerin macht ihre Sache gut und somit funktioniert auch der gesamte Film.

    Frei von Mängeln ist aber auch „The New World“ nicht. Der zur Schau getragenen Minimalismus dürfte vielen den Eintritt in Malicks Welt erschweren. Und noch dazu stellen sich am zunächst hoch faszinierenden Konzept während der doch recht üppigen 135 Minuten gewisse Verschleißerscheinungen ein. Dem Zuschauer sollte im Vorfeld also bewusst sein, auf was er sich hier einlässt. Im Grunde ist „The New World“ ein Arthaus-Film, der sich als Mainstream tarnt. Wer pompöse Schlachten erwartet, sollte auf Mel Gibsons Apocalypto warten. Reduziert man „The New World“ auf seine Hauptmotive, werden erstaunliche Parallelen zu Malicks Frühwerk Badlands offensichtlich. Malick glaubt an die wahre Liebe – und dass diese selbst in Extremsituationen das einzig Erstrebenswerte ist. Eine romantische Botschaft, die Malick selbst jedoch immer wieder selbst relativiert, denn in beiden Filmen ist das Glück nie von langer Dauer...

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