Optisch geniale Comicverfilmung mit einigen misogynen Wurzeln...
Wo fange ich mit einem Film wie „Sin City“ an? Erst einmal ein paar Infos: Regisseur Robert Rodriguez verfilmte 2005 die berühmte Graphic Novel von Frank Miller, bzw. einige Bände, denn „Sin City“ umfasst viele Werke. Miller selbst führte sogar mit Regie. Es entstand ein sehr stilistischer Episodenfilm, der das filmische Comic-Genre revolutionierte, allein auf technischer Ebene. Finanziell war der Film ein voller Erfolg, besonders beeindruckend für einen brutalen, teilweise gewaltverherrlichenden Streifen, bei dem Grausamkeiten und Sex an erster Stelle kommen. Auch die Kritiker waren recht angetan von „Sin City“. Ich war damals noch nicht 18, aber war von dem Film natürlich fasziniert. Solche Werke haben in der Jugend noch mal einen ganz anderen Reiz, allein wegen den erwachsenen Inhalten. Doch auch außerhalb der jugendgefährdenden Inhalte war ich vom Stil und der Story begeistert. Alles war düster, brutal und gnadenlos. Miller brachte das Gefühl alter Noir-Werke in neuer Form auf die große Leinwand. Hinzu kamen tolle Darsteller, eine einzigartige Optik und coole Action. Doch die Zeiten ändern sich, mittlerweile sind fast 20 Jahre seit dem Release vergangen und schon damals hatte der Film einige problematische Inhalte. Wie sieht das Ganze nun aus heutiger Sicht aus?
Die Geschichte ist in drei Hauptteile untergliedert: Da wäre zum einen der gealterte Cop Hartigan, der einen Kindermörder fassen will. Doch selbst als er die kleine Nancy vor dem Monster rettet, ist die Gefahr noch lange nicht gebannt. Dann wäre da Marv, ein großer, unheimlicher Mann, der zum ersten mal in seinem Leben eine Nacht voller Glück empfindet mit einer Frau namens Goldie. Doch am nächsten Morgen liegt die Schönheit tot neben ihm im Bett. Marv schwört Rache. Zu guter Letzt haben wir Dwight, der sich um den unberechenbaren und gewalttätigen Ex-Freund seiner Geliebten kümmern muss…
Kommen wir erst einmal zum Offensichtlichen: „Sin City“ sieht großartig aus. Ja, die VFX-Effekte von damals wirkten schon damals etwas Cartoon-mäßig, aber genau das war ja auch der Sinn dahinter. Genau wie „Speed Racer“ Gebrauch vom überzogenen Stil machte, so nutzt auch „Sin City“ einen visuell beeindruckenden Look, der keinen Anspruch auf Realismus hebt. Alles ist Schwarz-Weiß und Grau. Nur bestimmte Dinge stechen farblich heraus, wie etwa Lippenstift, Augen oder natürlich Blut. Ich habe zwar die Comics nicht gelesen, kenne aber einige Panels und bin wirklich beeindruckt, wie perfekt diese auf die Leinwand gekommen sind. Selten wurde ein Comic so eins zu eins verfilmt wie hier. Und allein dafür lohnt sich der Film. Die Action ist schick gemacht, alles sieht einfach nur cool aus und spätestens hier nach war für mich klar, das rote Converse All Stars die besten Schuhe auf der Welt sind.
Hinzu kommt ein wundervoller Score von drei Komponisten: John Debney, Greame Revell und Rodriguez selbst. Jeder vertonte ein Segment der Geschichte. Und ich liebe diesen Soundtrack einfach, er ist dreckig und episch, wie der Film selbst!
Unterstützt werden die Optik und der Sound von einem tollen und großen Cast. Selbst die kleinsten Rollen wurden stark besetzt, wie etwa mit Rutger Hauer, Michael Madsen, Elijah Wood oder Josh Hartnett. Die Hauptrollen machen alle eine wirklich gute Figur. Bruce Willis war hier noch teilweise zumindest mit Leidenschaft dabei und Clive Owen ist eiskalt und lässig. Selbst eine Jessica Alba liefert eine gute Performance ab und besonders Benicio Del Toro ist ein Highlight als widerlicher Jackie Boy. Der Star ist aber ganz klar Mickey Rourke als brutaler Antiheld Marv. Ihm ist es wohl zu verdanken, dass der Film so gut wurde und sich so in die Erinnerung vieler Fans gebrannt hat. Er hat als Marv eine Präsenz, die beängstigend und beeindruckend zugleich ist. Neben seiner Titelrolle in „The Wrestler“ ist dies wohl seine bekannteste Rolle (und vielleicht auch eine seiner besten).
Kommen wir nun aber zur Story selbst: Diese bietet zunächst nur wenig Substanz, denn es geht eigentlich konstant darum, das jemand von irgendjemandem getötet werden soll. Dabei bleibt der Film zunächst sehr (Achtung Wortwitz) schwarz-weiß in seiner Figurendynamik. Das sind die Bösen, das die Guten und fertig. Und trotzdem finden sich zwischen all diesen simplen Figuren und Handlungssträngen doch immer wieder spannende und düstere Graustufen. Marv zum Beispiel: Er ist zwar der Held seiner Geschichte, bringt dafür aber sehr viele Menschen um, einige darunter, die sicherlich nicht nur bestialisch sind. Er selbst führt aber immer wieder innere Monologe, fragt sich selbst: „Bin ich ein Wahnsinniger?“ Und einfach ist die Antwort darauf nicht. Seinen Weg aber mit zu verfolgen, ist umso spannender und unterhaltsamer. Auch die Liebe zwischen dem alten Hartigan und der sehr jungen Nancy ist alles andere als simpel zu bewerten. Ja, andere Arthouse-Filme könnten mit diesen Themen sicherlich gefühlvoller umgehen, aber das hier ist eben „Sin City“ von Robert Rodriguez, eine düstere Comic-Actionverfilmung mit Blut und Sex.
Ich persönlich mag ja simple Geschichten, solange sie stark umgesetzt sind. Das ist hier auch größtenteils der Fall. Die inneren Monologe der Figuren sind abgeranzt, aber spannend. Quentin Tarantino schrieb sogar eine Szene im Film (die Autofahrt von Dwight und Jackie).
Und so sehr ich diesen Film wahrscheinlich für immer als eine Art „Guilty Pleasure“ aus meiner Jugend genießen werde, so sehr muss ich auch ganz klar die Probleme anerkennen. Die erste große Schwierigkeit, die ich habe, ist die fehlende Logik. Ja, es ist „Sin City“ und wie oben geschrieben, lebt der Film von einem Stil, der sich nicht viel um Realismus schert. Und dennoch haut es mich immer raus, wenn Figuren mehrmals angeschossen werden und danach einfach rumlaufen als wäre nichts gewesen. Dass dies sicherlich eine bewusste Entscheidung war, ist klar, dennoch frage ich mich, warum. In einer Welt, in der größtenteils die Gesetze der Physik herrschen, gibt es Momente, in denen Figuren (ungelogen) 20 mal angeschossen werden, aus dem vierten Stock eines Hauses springen, viele harte Schläge ins Gesicht bekommen und trotzdem weitermachen als ob die nur eine Mücke gestochen hätte. Diese Absurdität gipfelt in einer Szene, die ich schon damals nicht begreifen konnte: Marv wird von einem Auto mehrmals angefahren, sodass es ihn in die Luft katapultiert. Seine Beine und seine Knochen müssten Matsch sein, aber er fährt kurz danach gemütlich mit seiner Karre. Für mich verliert der Streifen dadurch erstaunlich viel Authentizität und wirkt wie eine Parodie…
Das zweite große Problem sind die weiblichen Figuren. Diese sind allesamt übersexualisiert und werden zu 95% nur als Objekt betrachtet. Und das liegt nicht nur am Film, auch die Vorlage zeigt es ganz klar mit seinen Zeichnungen. Einige der weiblichen Figuren sind selbstbewusst und stark, aber unter einem sehr patriarchalem Deckmantel. Man könnte argumentieren, dass es in der Welt von „Sin City“ für Frauen wenige Optionen gibt und die meisten am Ende ihren Körper verkaufen müssen, während die starken Männer sich alles nehmen, was sie wollen. Doch der Film selbst scheint diese Thematik nur spärlich anzugehen und legt mehr Wert darauf seine weiblichen Protagonistinnen sexy in Szene zu setzen. Da haben Werke wie „Game of Thrones“ das Ganze deutlich besser kritisiert. Und wir sprechen hier auch nicht über einen Film aus den 60ern, denn die Noir-Filme, denen Miller mit „Sin City“ Tribut zollt, hatten genau dieselben Probleme. Doch statt dies gezielt zu nutzen und der Geschichte einen etwas aufgeklärteren Pinselstrich zu verpassen, setzt sich Miller lieber auf das bestehende Klischee. So sehr man viele heutige Filme wegen ihrer sogenannten „Wokeness“ kritisieren kann (auch wenn ich den Begriff überhaupt nicht mag, weil er eher aus der rechten Ecke kommt und instrumentalisiert wird), so muss man auch Filme wie „Sin City“ kritisieren, bei denen das andere Extrem zu finden ist…
Fazit: „Sin City“ ist alles andere als ein progressiver Film für zwischendurch. Man muss ihn ganz klar i Kontext betrachten und für das kritisieren, was er leider auch ist. Dennoch kann ich auch viel Spaß mit dem Streifen haben. Tolle Darsteller, starke Musik und eine großartige Optik machen „Sin City“ auch heute noch zu einem besonderen Filmwerk!