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    Before Sunset
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Before Sunset
    Von Carsten Baumgardt

    Fortsetzungen von Kultfilmen haben es gewöhnlich schwer und sind oft zum Scheitern verurteilt. Dass diese Grundregel nicht immer greifen muss, beweist Richard Linklater mit der hinreißenden Romanze „Before Sunset“, dem Sequel des Generation-X-Hits „Before Sunrise“. Zehn Jahre nach dem Überraschungserfolg gibt Linklater Antworten auf die Fragen, die das Original bewusst offen ließ. „Before Sunset“ ist kein Abklatsch, sondern eine konsequente Weiterentwicklung der Geschichte, die sich stilistisch der gleichen Mittel bedient, aber inhaltlich einen reiferen Ton anschlägt.

    Neun Jahre ist es her, als sich der junge Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die französische Studentin Céline (Julie Delpy) auf einer Zugfahrt kennerlernten. Sie waren sich sofort sympathisch und beschlossen, einen Tag und eine Nacht durch Wien zu bummeln, bevor Jesse seinen Heimflug in die USA und Céline ihre Rückreise nach Paris antrat. Ein halbes Jahr später wollten sie sich in der österreichischen Hauptstadt wiedersehen. Zu dumm, dass sie keine Adressen oder Telefonnummern ausgetauscht hatten. Denn zu dem Treffen in Wien ist es nie gekommen. Erst eine knappe Dekade später kreuzen sich die Wege der beiden Seelenverwandten wieder. Beide sind inzwischen Anfang 30, Jesse ist ein erfolgreicher Schriftsteller, der die Erlebnisse dieser außergewöhnlichen Nacht in einem Roman verarbeitet hat. Er befindet sich auf Promotion-Tour für sein Buch in Paris. Céline, die nach dem Studium in New York wieder in Paris lebt, hat in ihrem Lieblingsbuchladen eine Ankündigung gelesen, dass Jesse zu einer Lesung in die Stadt kommt und beschließt, ihn dort zu treffen. Als er sie am Ende der Veranstaltung unter den Besuchern entdeckt, ist er völlig begeistert, sie wiederzusehen. Doch bis zu seinem Rückflug bleibt ihm nicht mehr als eine Stunde freie Zeit. Sie unternehmen einen Spaziergang durch das romantische Paris und knüpfen da an, wo sie vor neun Jahren aufgehört haben. Denn sie haben sich viel zu erzählen...

    Mit „Before Sunrise“ gelang Independent-Regisseur Richard Linklater, der vor kurzem mit „School Of Rock“ seinen ersten US-Blockbuster landen konnte, der Durchbruch. Seine ersten Filme „Slacker“ und „Dazed And Confused“ kamen zwar bei der Kritik an, trotzdem fand sich in Deutschland kein Verleih. „Before Sunrise“ avancierte dagegen zum Independent-Kultfilm und gewann bei der Berlinale 1995 den Silbernen Bären. Die spontane Romanze hatte soviel Herzblut und Spontaneität, dass sie - fernab aller Hollywood-Klischees - mühelos die Herzen der Zuschauer eroberte. Da das Ende offen gehalten wurde, lag das Sequel schon seit Jahren in der Luft. Aber es dauerte rund zehn Jahre, bis sich Linklater und seine beiden phantastischen Hauptdarsteller Ethan Hawke („Training Day“) und Julie Delpy („Killing Zoe“) an die Umsetzung wagten.

    Im Kontrast zu Hollywoods Höher-Schneller-Weiter-Manie in Sachen Fortsetzungen schlägt Linklater einen anderen Weg ein. In nur 15 Tagen gedreht, liegt das Budget des Sequels sogar noch unter dem des Low-Budget-Originals. Das Drehbuch entwickelte der Filmemacher gemeinsam mit seinen beiden Hauptdarstellern, ließ ihnen aber dennoch Platz für spontane Einfälle während des Drehs. Die Handlung wird auf das Wesentlichste konzentriert – auf Jesse und Céline. Sämtliche Nebenfiguren wurden gestrichen. Linklater begleitet die beiden mit der Kamera während ihres Pariser Spaziergangs. Die 80 Minuten Film, die auf der Leinwand in Echtzeit ablaufen, bestehen ausschließlich aus der Unterhaltung der Protagonisten. Bis auf eine kurze Anfangssequenz verzichtet Linklater auf einen Score, seine volle Konzentration gilt den Dialogen.

    Der Ton des Films hat sich im Vergleich zum Vorgänger etwas gewandelt und genauso weiterentwickelt wie die Figuren. Die Unbekümmertheit ist immer noch zu spüren, doch haben beide in der Zwischenzeit Erfahrungen gesammelt, die sie unbedingt austauschen müssen. Rastlos und ohne Atem holen sprechen sie über die alte Zeit, Politik, Ideale, Familie, Sex, Buddhismus, Beziehungen, Gott und die Welt. Der wahre Clou des Ganzen ist die Tatsache, dass es dem Autoren-Trio gelingt, die Zuschauer mit einem knapp anderthalbstündigen Dauerdialog zu fesseln. Auch wenn die Charaktere gesetzter, reifer geworden sind, haben sie ihr Feuer, ihre Begeisterungsfähigkeit nicht verloren. Es macht einfach Spaß, den grandios spielenden Ethan Hawke und Julie Delpy zuzuhören, auch wenn der grenzenlose Charme des Wien-Ausflugs nicht ganz erreicht wird. Auf eine strikte Dramaturgie verzichtet Linklater wie schon bei „Before Sunrise“ bewusst, um die Spontaneität nicht zu ruinieren. Alles was er bietet, ist eine inhaltliche Orientierung innerhalb der Dialoge, die so lange ohne Schnitt auskommen, wie es nur möglich ist.

    Scheinen Jesse und Céline am Anfang immer noch haargenau die gleichen zu sein wie vor zehn Jahren, stellt sich dies nach und nach als schützende Fassade dar. Die Anziehung zueinander haben sie nicht verloren, aber jeder hat in dieser Zeit sein eigenes Leben geführt. Jesse ist inzwischen verheiratet und hat einen vierjährigen Sohn, Céline ist im Kern unglücklich, weil sie in der Liebe zu oft enttäuscht wurde. Obwohl es den Anschein hat, dass der erfolgreiche Jesse das perfekte Leben führt, ist dem nicht so. Seine Ehe findet nur noch zuliebe seines Sohnes statt, er fühlt sich gefangen. Diese Erkenntnisse schleichen sich erst langsam zu Tage. Wenn sich der Film gen Ende bewegt, stellt sich die bange Frage, wie sich Linklater aus der Situation herauszieht. Und hier leistet er Großartiges. Das Schluss kommt plötzlich, ist im Prinzip offen und überlässt es der Phantasie des Zuschauers, wie es weitergeht. Aber der letzte Halbsatz Ethan Hawkes spricht Bände...

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