It's the sense of touch.
Any real city,
you walk.
You know?
You brush by people,
they bump into you.
In L.A. nobody touches you.
We’re always behind this metal and glass.
It's the sense of touch.
I think we miss that touch so much
that we crash into each other
just so we can feel something.
Schon der Eröffnungsmonolog von Paul Haggis’ „L.A. Crash“ hat es in sich. Detective Graham Waters (Don Cheadle) blickt aus dem Fenster eines verbeulten Autos. Er sitzt auf dem Beifahrersitz. Gerade hatten er und seine Kollegin Ria (Jennifer Esposito) einen Unfall. Lethargisch stammelt er diese Zeilen vor sich hin. Ria schaut ihn ungläubig an. Sie erklärt ihm, was gerade geschehen ist. Fragt ihn, ob er sich den Kopf gestoßen und seinen Realitätssinn verloren habe. Beide steigen aus dem Auto aus. Sie lässt sich sofort auf ein wüstes Wortgefecht mit der Unfallgegnerin ein. Er läuft einfach davon. Mit dieser Szene beginnt und endet „L.A. Crash“ zugleich. Im Folgenden erzählt Paul Haggis die vergangenen 24 Stunden im Leben vollkommen unterschiedlicher Menschen, die doch viel mehr gemeinsam haben, als es zunächst den Anschein hat.
Anthony (Ludacris) und Peter (Larenz Tate) verlassen ein Café in einem der luxuriösen Vororte von Los Angeles. Sie philosophieren darüber, dass hier eigentlich sie als Schwarze Angst vor der weißen Bevölkerung haben müssten – und nicht umgekehrt. Doch dann kippt die Szenerie. Sie ziehen ihre Waffen und stehlen das Auto von Staatsanwalt Richard Cabot (Brendan Fraser) und dessen Frau Jean (Sandra Bullock). Für Richard in mehrfacher Hinsicht ein Problem. Einerseits stehen demnächst Neuwahlen an und er möchte die schwarze Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen, andererseits ist seine ohnehin schon verängstigte Frau fortan vollkommen verstört. Daniel (Michael Pena) schiebt bei einem Schlüsseldienst eine Nachtschicht nach der anderen, damit seine kleine Tochter in einer der ruhigeren, aber eben auch teureren Gegenden aufwachsen kann. Der kleine Laden des Iraners Farhad (Shaun Toub) wurde nun schon mehrfach überfallen. Um sich und seine Frau schützen zu können, schafft er sich, gegen den Willen seiner Tochter Dorri (Bahar Soomekh), eine Schusswaffe an. Der Streifenpolizist Ryan (Matt Dillon) findet nachts wegen seines schwerkranken Vaters (Bruce Kirby) keinen Schlaf mehr. Im Dienst überschreitet er regelmäßig die Grenzen. Vor den Augen des schwarzen TV-Regisseurs Cameron (Terrence Dashon Howard) betatscht er dessen hübsche Freundin Christine (Thandie Newton). Sein junger, ehrgeiziger Partner (Ryan Phillippe) zeigt ihn daraufhin bei ihrem Vorgesetzten (Keith David) an. Und dann wären da noch Graham und Ria, die neben ihren persönlichen Problemen in einem Fall ermitteln, der sich schnell als überaus politisch entpuppt…
Paul Haggis. Bis vor kurzem war der gebürtige Kanadier hierzulande den allerwenigsten ein Begriff. In Amerika hat er sich seit Mitte der 70er Jahre als Autor, Regisseur und Produzent auf dem TV-Markt (u.a. „Family Law“, „Thirtysomething“, „Due South“) einen Namen gemacht. Ambitionen für eine Karriere im Kinomarkt hegte er in all der Zeit nie. Bis zum vergangenen Jahr. Binnen kürzester Zeit schüttelte er zwei Drehbücher aus dem Ärmel, die es in sich hatten. Das zweite nannte sich „Million Dollar Baby“ und wurde von einem gewissen Clint Eastwood verfilmt. Der Rest der Geschichte dürfte bekannt sein. Doch schon vor „Million Dollar Baby“ schrieb Haggis ein Script mit dem schlichten Titel „L.A. Crash“. Die Idee zum Film kam Haggis, nachdem er selbst von vermummten Räubern aus dem Auto gezerrt wurde und verdattert da stand. Wenige Monate später hatte er ein Drehbuch in der Hand, um das sich die Stars geradezu rissen. Viele spielten für einen Bruchteil ihrer üblichen Gagen, damit das an sich lächerliche Budget von gerade einmal 6,5 Millionen Dollar eingehalten werden konnte. Sandra Bullock war sogar so scharf darauf in dem Film mitzuwirken, dass sie den Flug zum Drehort aus eigener Tasche zahlte.
Aber was ist nun das Besondere an „L.A. Crash“? „L.A. Crash“ ist ganz einfach der vermutlich beste Episoden-Film seit Paul Thomas Andersons „Magnolia“. Haggis greift eine Fülle verschiedener Einzelschicksale auf, wie sie oberflächlich betrachtet nicht unterschiedlicher sein könnten. Das Episoden-übergreifende Hauptmotiv ist bei „L.A. Crash“ Rassismus und die damit verbundenen Vorurteile. Hier wird jeder mit jedem konfrontiert. Weiße mit Schwarzen. Schwarze mit Latinos. Latinos mit Moslems… Auf den großen Vorschlaghammer verzichtet Haggis dabei glücklicherweise. Sein Vorgehen ist dezenter und daher ungleich wirkungsvoller. In einer Szene sind Graham (Afroamerikaner) und Ria (Latina) im Liebesspiel zugange. Das Telefon klingelt. Pflichtbewusst nimmt Graham den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung ist nicht die Dienststelle, sondern seine Mutter. Er wimmelt sie ab. Sagt ihr, dass er gerade Sex mit einer Weißen hätte. Ria wird wütend. Möchte von ihm wissen, warum er seiner Mutter nicht die Wahrheit gesagt hat. Graham fragt, wo denn der Unterschied liege. Ob er nun Mexikanerin oder Weiße sagt, sei kein wesentlicher Unterschied. Ria geht. Sie stammt aus Puerto Rico... Alles klar?
Stück für Stück fügt Haggis die zunächst voneinander unabhängig wirkenden Episoden zusammen. Jeder wird in den gezeigten 24 Stunden in eine Situation manövriert, in der man entweder zu sich selbst findet und gestärkt hervor geht, oder eben endgültig zerbricht. Dabei ist „L.A. Crash“ zeitweise unheimlich bitter und emotional. Als Farhads Laden zum wiederholten Male aufgebrochen wird und die Versicherung sich weigert, für den Schaden aufzukommen, sieht er nur noch eine Möglichkeit: derjenige, der ihn um seine Existenz gebracht hat, muss sterben. Es kommt zum Crash mit einem der anderen Hauptcharaktere. Und so bitter diese Situation zunächst scheinen mag, am Ende gibt es doch wieder ein Fünkchen Hoffnung. Für Farhad und für alle anderen…
Einer der großen Pluspunkte von „L.A. Crash“ ist die phantastische Besetzung. Dass ein Don Cheadle („Hotel Ruanda“, „Traffic“, „Boogie Nights“) eigentlich alles spielen kann, ist keine all zu neue Erkenntnis. Andere Dinge sind hingegen schon überraschend. Sandra Bullock („Miss Undercover 2“, „Speed“) beispielsweise. Wie nie zuvor in ihrer Karriere beweist sie, dass sich auch eine exzellente Charaktermimin sein kann, wenn sie denn nur möchte. Oder Ludacris („2 Fast 2 Furios“). Wer hätte vermutet, dass der US-Rap-Star tatsächlich einen vielschichtigen Charakter (!), der im Lauf des Films eine enorme Wandlung (!!) durchmacht, glaubwürdig verkörpern kann? Brendan Fraser („Die Mumie“, „Der stille Amerikaner“) darf auch mal wieder mehr als nur rumblödeln und Jennifer Esposito („New York Taxi“, „Sag´ kein Wort“) gibt ebenfalls eine ergreifende (und freizügige) Vorstellung ab. Ryan Phillippe, Terrence Dashon Howard, Michael Pena, Larenz Tate… nein, am Casting von „L.A. Crash“ lässt sich absolut nichts aussetzen.
Um aus einem guten Film einen herausragenden Film zu machen, benötigt es zumindest eine Szene, an die jeder denkt, wenn der Film zur Sprache kommt. Bei „Magnolia“ war dies die Einstellung, in der jeder aus dem Ensemble zu Aimee Manns „Wise up“ anstimmte und eine ungemein surreale und doch packende Stimmung aufkam. Und auch „L.A. Crash“ hat eine solche Szene, die sich wie keine andere in das Gehirn des Zuschauers brennt: Christine verlässt im Streit ihren Mann am Filmset, baut auf dem Weg nach Hause einen schweren Unfall. Ihr Auto überschlägt sich, kommt auf dem Kopf zum liegen. Benzin läuft aus. Ein anderes Fahrzeug hat Feuer gefangen. Sie muss schleunigst befreit werden. Der erste am Unfallort ist ausgerechnet Ryan. Der Polizist, der sie wenige Stunden zuvor noch begrabscht hat und damit die Situation erst verursacht hat. Nun ist der Mann, den Christine so abgrundtief hasst, der einzige, der ihr Leben retten kann. Diese unheimlich intensive, von Haggis brillant inszenierte und von Matt Dillon („Wild Things“, „Herbie: Fully Loaded“) und Thandie Newton („Mission: Impossible 2“, „Riddick“) grandios gespielte Szene, ist allein das Eintrittgeld wert.
Bemängeln lässt sich an „L.A. Crash“ eigentlich wenig. Im Gegenteil. Viele Episoden-Filme wollen dem Zuschauer einfach einen Tick zu viel bieten. „Magnolia“ ist mit seinen 193 Minuten schon arg happig und hätte (trotz seiner großen Klasse) insbesondere am Anfang ein wenig gestrafft werden können. „Amores Perros“ verliert vielleicht zur Mitte hin etwas an Fahrt. Bei „L.A. Crash“ ist das anders. Mit seinen 113 Minuten ist die Spieldauer für einen Vertreter des Episoden-Films vergleichsweise bescheiden. Doch gerade deshalb verliert der Film nie an Fahrt. Haggis hält von Beginn an den Spannungsbogen hoch und fällt nie mit dem angeschlagenen Erzähltempo ab. „L.A. Crash“ ist ein absoluter Geheimtipp und darf schon jetzt zu den besten Filmen des Jahres gezählt werden. Komme was wolle…