„Eine neue Morgendämmerung,
ein neuer Tag, ein neues Leben für mich
Und es geht mir gut.“
(„Feeling Good” von Nina Simone)
„Lampedusa“, das letzte Werk des in Rom lebenden Regisseurs Emanuele Crialese war ein großer Erfolg bei Publikum und Kritik. In Cannes wurde der Film, in dem Crialese sich auf tragikomische Weise mit seinen italienischen Wurzeln auseinander setzte, sogar mit dem Großen Preis der Semaine de la Critique und dem Preis der jungen Filmkritik ausgezeichnet und dementsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen neuen Film, der ebenfalls eine Geschichte erzählt, die in Italien ihren Anfang nimmt. Leider kann das Auswanderer-Drama „Golden Door“, das für den europäischen Filmpreis in der Kategorie Regie nominiert war und in Venedig den Silbernen Löwen absahnen konnte, trotz einiger einprägsamer Kinomomente diese Erwartungen nicht ganz erfüllen, sondern bleibt hinter Crialeses Vorgängerfilm zurück.
Der dritte Film des italienischen Regisseurs spielt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Armut und Hunger plagen die italienische Landbevölkerung und immer mehr junge Männer wandern, unterstützt vom italienischen Staat und der Kirche, nach Amerika aus. So auch Salvatore (Vincenzo Amato), der gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden Söhnen ebenfalls ein besseres Leben in der Neuen Welt führen will. Auf der vierwöchigen Überfahrt lernt er die hübsche Engländerin Lucy (Charlotte Gainsbourg) kennen, zu der er sich sofort hingezogen fühlt. In Ellis Island angekommen, beginnt eine langwierige Einbürgerungsprozedur, die so ganz und gar nicht zu Salvatores Traum vom Schlaraffenland passt, sondern den verträumten Einwanderer auf den Boden der rationalen Tatsachen holt.
„Golden Door“ ist ein Film, der sich einer Erfüllung der Erwartungen und Sehgewohnheiten des Zuschauers konsequent verweigert. Während ein gewöhnlicher Film über Menschen, die ihr Glück in Amerika versuchen wollen, sich auf die Erfahrungen konzentriert, die diese im Land der unendlichen Möglichkeiten machen, beschreibt „Golden Door“ den Weg, den die Immigranten zurücklegen müssen, bis sie am Ziel ihrer Reise angekommen sind. Crialeses Film endet sozusagen dort, wo die meisten anderen Filme dieser Art beginnen, was nicht wenige Kinobesucher verwirren wird. Die Geschichte ist in drei gleichwertige Teile gegliedert: die Vorbereitungen zum Aufbruch, die lange Fahrt über den großen Ozean und schließlich das bürokratische Aufnahmeverfahren auf Ellis Island. Dabei nimmt der Film sich viel Zeit, die Handlungen der Protagonisten detailliert zu schildern. Das fällt besonders bei der historisch verbürgten Einbürgerung ins Gewicht, die das letzte Drittel des Films ausfüllt und in dieser Ausführlichkeit noch nie zu sehen war. Die Neuankömmlinge werden akribisch auf Krankheiten untersucht, die ihre Arbeitskraft einschränken könnten. Außerdem müssen sie Intelligenztests absolvieren, da die Überzeugung vorherrschte, dass mangelnde Intelligenz oder gar Schwachsinnigkeit genetisch übertragbar seien. Einwanderer, die diese Tests nicht zufrieden stellend absolvieren können, werden auf direktem Weg zurück in ihre alte Heimat geschickt. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass alleinstehenden Frauen die Einreise verweigert wurde. Daher gibt es auf Ellis Island eine Heiratsvermittlung, deren streng ritualisierte Form Crialese ebenfalls minutiös nachzeichnet.
All das erzählt „Golden Door“ ohne die altbekannten Klischees, wie etwa das Auftauchen der Freiheitsstatue am Horizont, sondern entwickelt eine eigene Bildsprache. Salvatores Wunschtraum von einem besseren Leben in der Neuen Welt wird durch surreale Bilder ausgedrückt: Immer wieder (tag)träumt er von riesigen Karotten, auf denen Menschen sitzend durch einen Fluss aus Milch treiben. Und der knisternden Spannung zwischen Salvatore und Lucy auf der Schifffahrt wird in einer wunderbaren, meisterlich montierten Szene Ausdruck verliehen, in der beide sich auf dem Deck zwischen den Schornsteinen „umtänzeln“. Da solche intensiven Kinomomente leider die Ausnahme bleiben, kann „Golden Door“ unterm Strich nicht vollends überzeugen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Verlauf der Geschichte ohne wirkliche Höhepunkte und dramaturgisch interessante Einfälle daherkommt.
„Golden Door“ ist ein einfallsreich gefilmter, mitreißend gespielter und dramaturgisch gewagter Film. Trotzdem drängt sich nach dem Abspann die Frage auf, was denn jetzt der Punkt in Crialeses Drama war. Gerne hätte man gesehen wie es Salvatore und seinem Anhang in den Vereinigten Staaten ergeht. So bleibt „Golden Door“ ein schwer einordbarer Film, der einerseits auf eine dokumentarisch angehauchte Weise die Beschwerden der Überfahrt und Aufnahme in Amerika nachzeichnet und andererseits, fast märchenhaft, von einem Mann erzählt, der auszieht, um sein Glück zu suchen. Jedenfalls bleiben dem Betrachter die metaphorischen Bilder von den riesigen, in Milch treibenden Karotten nachhaltig im Gedächtnis. Und das kann auch nicht jeder Film von sich behaupten.