Wenn ein Actionfilm allein in der Kinoauswertung schon das Fünffache seiner Produktionskosten einspielt, ist eine Fortsetzung vorprogrammiert. So dürfte es auch niemand wirklich überraschen, dass Columbia TriStar das Sequel zum Erfolg Underworld mit dem klangvollen Titel „Underworld: Evolution“ startet.
Die schöne Vampirsoldatin Selene (Kate Beckinsale) hat das Oberhaupt ihrer eigenen Spezies Viktor (Bill Nighy) getötet und befindet sich auf der Flucht - nicht nur vor ihren rachsüchtigen Freunden, sondern auch vor den alten Feinden ihrer Rasse, den Werwölfen (in diesem Universum auch Lykaner genannt). Ihr einziger Verbündeter ist der grungig-attraktive Neuhybrid Michael (Scott Speedman), der im ersten Teil durch je einen Biss der beiden Spezies zum Überwesen mutierte. Leider kommt Michael mit seinen neuen Kräften besser zu recht als mit dem ihm bisher fremden Blutdurst, so dass Selene ihm die Regeln erstmal beibringen muss. Die einzige Chance, ihre Ehre wiederherzustellen, sieht sie in der Anrufung des neuen Vampirchefs Markus (Tony Curran), dem sie die Gründe für ihre Taten darlegen will. Was Selene nicht weiß: Auch Markus ist durch eine Unachtsamkeit in der Aufweckungszeremonie zum Hybriden geworden, der eigene Machtpläne in die Tat umsetzen will und die Ermordung ehemaliger Verbündeter als Bauernopfer bereitwillig eingeht.
Und so macht Selene mit ihrer Idee ein ganz übles Fass auf. Markus weiß, dass sie Viktor aus gutem Grund tötete, aber es ist ihm egal. Skrupellos setzt er alles daran, einen Anhänger in die Finger zu bekommen, den Michael vom Lykaner Lucien geschenkt bekam. Selene und Michael heften sich an die Fersen des Über-Vampirs, um seine Machenschaften aufzudecken. Dabei müssen sie sich mit dem verstoßenen Historiker Tanis (Steve Meckintosh) und dem mysteriösen Alexander Corvinus (Derek Jacobi) auseinandersetzen. Aber letztendlich verlässt sich das außergewöhnliche Duo doch lieber auf seine Nah- und Fernkampfexpertise, um den finsteren Markus zur Strecke zu bringen.
Die Regeln für eine Actionfilm-Fortsetzung sind ziemlich simpel: altbekannte Charaktere mit neuen Emotionen, eine weiterführende Story (die auf Teil 1 basiert), spannende Twists und vor allem mehr Action. Regisseur Len Wisemen, der auch „Underworld 1“ umsetzte, tut sein Bestes, um bei diesem auf ökonomischen Erfolg setzendem Strickmuster den Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz kommen zu lassen. Dieser Faktor macht sich zunächst an der - inzwischen mit ihm selbst verheirateten - Kate Beckinsale als Selene fest. Die Action-Amazone im Lack-und-Leder-Outfit geht noch härter ran als im ersten Teil. Ein paar zusätzliche Schlägereien und der Gebrauch von automatischen Schnellfeuerwaffen schrecken die britische Schauspielerin (Pearl Harbor, Van Helsing, Weil es Dich gibt, Aviator) offensichtlich nicht ab. Cool, diszipliniert und abgezockt fightet sich die Powerfrau durch jedes noch so verzwickt wirkende Szenario. Darüber hinaus eröffnet Selene dem Zuschauer eine völlig neue Seite an sich. Aufgrund ihrer wachsenden Beziehung zu Michael wird die Soldatin emotional verwundbar und muss auch mit der Angst umgehen, ihn vielleicht zu verlieren. Diese wenigen, aber gut platzierten Charaktermomente setzen die Vampirkriegerin und ihre Darstellerin ansehnlich in Szene. Als Erweiterung zum ersten Teil wird Selene auch endlich mal mit der großen Schwäche der Vampire konfrontiert: der Hilflosigkeit bei Tageslicht. Neben ihr wirkt Scott Speedman (xXx2: State of the Union, Dark Blue, „Duets - Traumpaare”) relativ blass. Das liegt aber auch an der Ausgestaltung seiner Rolle. Speedman bekommt vom Drehbuch einfach keine Chance, sein Können unter Beweis zu stellen - dass er im Grunge-Look akzeptabel aussieht und physisch auf der Höhe ist, konnte er ja bereits im ersten „Underworld“ Film zeigen.
Mehr Action und neue Emotionen, okay. Aber leider offenbart sich das große Defizit von „Underworld: Evolution“ schon nach wenigen Minuten in Form der absolut konstruierten Handlung. Auch wenn man den Vorgängerfilm gesehen hat, findet sich im Dickicht von Intrigen und bereits im ersten Teil verstorbenen Charakteren, die für einen Kurzauftritt herbeizitiert werden, erstmal nicht zurecht. Ziemlich ziel- und motivationslos begeben sich Selene und Michael auf die Schnitzeljagd nach Hinweisen, um den finsteren Plan von Markus aufzudecken. Übertroffen wird diese Lücke im Drehbuch allerdings noch durch den gänzlich sinnfreien Auftritt von Derek Jacobi als Alexander Corvinus, den man lieber zugunsten von Actionanteilen hätte streichen sollen. Die Figur hält die Handlung nur auf und bringt außer Verwirrung und kritischem Stirnrunzeln absolut nichts. Dafür bekommt sie leider zuviel Leinwandpräsenz. Dass neue Figuren durchaus inkorporiert werden können, zeigt der Vampirhistoriker Tanis, der aber sein Potential als undurchschaubarer Nebenfigur nicht ausreizen kann, da sein Auftritt zu kurz ausfällt.
Auch die Bilderwelt von „Underworld“ hat sich im Sequel verändert. Der urbane, in Budapest aufgezeichnete Style weicht nun offenen Berglandschaften; die kalten, vom Blaufilter dominierten Einstellungen werden von einigen warmen Sonnenlichtsequenzen verdrängt. Die Gewalteinstellungen werden ebenfalls expliziter. Wiseman lässt sein Publikum an der Abtrennung von diversen Gliedmaßen direkt teilhaben und zeigt kompromisslos die Duelle seiner Figuren. Wer King Kong gesehen hat, wird mehrfach von Speedmans Aktionen an das Kampfverhalten des Riesenaffen erinnert - auch wenn die Filme zeitgleich produziert wurden und es sich hier um kein Zitat handelt. Ansonsten finden sich aber in jedem Bereich einige Genre-Anspielungen und Zitate von „Lost Boys“ bis zu Blade 2, dessen Komponist Marco Beltrami auch für diesen Soundtrack verantwortlich war.
Es empfiehlt sich auf jeden Fall, „Underworld“ vor dem Konsum des Sequels zu sehen. Für eine Fortsetzung ist dieser Film in Ordnung, als eigenständiges Werk macht er allerdings keinen Sinn. Wer sich im Genre wohl fühlt oder bei Teil eins ein paar unterhaltende Stunden verlebte, wird auch den Kinobesuch von „Underworld: Evolution“ nicht bereuen.