Mit seinen ersten beiden Filmen „Bube, Dame, König, grAS“ und Snatch feierte Madonna-Ehemann Guy Ritchie große Erfolge und schuf sich schnell eine Fangemeinde. Doch mit dem dritten Werk fiel er selbst bei dieser in Ungnade. Stürmische Liebe wurde fast unisono von der Kritik verrissen, fand kaum Zuschauer und gilt als verzweifelter Versuch seine als Sängerin und Entertainerin zweifellos begabte Frau doch noch als Schauspielerin zu etablieren (schon frühere Versuche schlugen - mit Ausnahmen - fehl). Nun geht der Mann, der schon als britische Antwort auf Tarantino galt, mit „Revolver“ scheinbar back to the roots. Angepriesen als neuer Gangsterfilm, sollen die Fans zurückerobert werden. Madonna musste diesmal außen vor bleiben (wenn auch wohl eine Szene mit ihr gedreht wurde, die dann aber in der Postproduktion rausflog), stattdessen waren wieder harte Kerle gefragt. Natürlich mischt da wieder Jason Statham in der Hauptrolle mit. Statham, Ex-Profi-Schwimmer und Ex-Model, wurde durch die ersten beiden Ritchie-Werke bekannt. Danach schaffte er den Sprung in Großproduktionen wie The Transporter, dessen Sequel Transporter - The Mission sowie The Italian Job. Nun musste er also dem Mann helfen, der einst ihm geholfen hat. Dabei überrascht „Revolver“, zeigt sich der Regisseur einerseits erholt von seinem Totalflop, andererseits auch entfernt von dem Stil, der ihn bekannt gemacht hat.
Im Gegensatz zu seinen beiden Charakteren in „Bube, Dame, König, grAS“ und Snatch spielt Statham diesmal auf den ersten Blick keinen Loser. Sein Charakter Jake Green war zwar gerade sieben Jahre im Gefängnis, dort hat er aber – wie er erzählt – von seinen mysteriösen Zellengenossen (einem Betrüger und einem Schachgenie) alles über die Welt der Spiele gelernt. Nun ist er der Beste in diesem Business und zockt jeden ab. Dabei gerät er an den Unterweltboss Macha (Ray Liotta), der zwar nicht gut spielen kann, aber aufgrund der Angst der Gegner vor Konsequenzen trotzdem immer gewinnt. Nur Jake lässt es sich nicht nehmen, Macha vernichtend zu schlagen, ihm so eine Stange Geld abzuknöpfen und obendrein noch zu demütigen. Das bringt ihn auf Machas Abschussliste. Ein Killer (Mark Strong) wird beauftragt. Doch der, eigentlich der weltbeste seine Faches, wird von Selbstzweifeln und Gefühlen geplagt und verfehlt Jake, der obendrein von den zwielichtigen Kredithaien Avi (André Benjamin) und Zack (Vincent Pastore) unerwarteten Beistand bekommt. Sie bieten ihm Schutz an, wenn er für sie arbeitet. Jake lehnt erst ab, doch als bei ihm eine tödliche Krankheit diagnostiziert wird, entschließt er sich, für die beiden Gangster zu arbeiten.
Klingt doch eigentlich nach der Story für einen Gangsterthriller? Das stimmt durchaus und „Revolver“ hat auch viele Zutaten, nach denen man diese Genreschublade aufmachen würde. Trotzdem passt dieses Etikett nicht. Das liegt daran, dass der Weg back to the roots eben doch nicht beschritten wurde. Guy Ritchie wollte wohl stattdessen etwas ganz Besonderes schaffen. Herausgekommen ist zwar etwas Ungewöhnliches, allerdings bisweilen gleichzeitig auch ein kruder Mix, der im Wechsel mal an David Finchers Fight Club, David Lynchs Lost Highway, Bryan Singers Die üblichen Verdächtigen und die beiden Frühwerke des Regisseurs erinnert. Die Klasse dieser fünf erreicht er allerdings nur phasenweise.
Die geschilderte Story ist nur der Aufhänger für dauernde Richtungswechsel. Es geht um Betrug, Betrügereien und die Kunst des Schachspiels. Dabei ist „Revolver“ selbst Betrug und Schachspiel in einem. Immerzu wird der Zuschauer betrogen. In ihm werden falsche Erwartungen geweckt, er wird geködert, um ihn dann aber ins Leere laufen zu lassen. Die Charaktere sind dabei genauso wie der Zuschauer nur Figuren auf dem Schachbrett des Regisseurs. Dessen Rochaden mit surrealistischen Elementen, Meta-Ebenen und Handwerkszeug aus dem Psychologie-Grundkurs, sind lange Zeit scheinbar fast nur auf Verwirrung angelegt.
Dabei wird schnell klar, dass er ein aufmerksamer Zuschauer erwartet wird. Bestanden schon „Bube, Dame, König, grAS“ und Snatch aus Zeit- und Storyebenenwechseln, wird dies hier auf die Spitze getrieben. Laufend werden Geschehnisse aus unterschiedlichen Zeitebenen ineinander geschnitten. Dazu ist nicht immer klar, was nun filmische Realität ist, wo Traum- und Wahnwelten anfangen oder (wenn überhaupt) aufhören. Beim ersten Schauen wird es für viele Zuschauer problematisch sein, alles aufzudröseln. Probleme hat dadurch aber auch der Film. Vieles ist zu stark auf dieses Spiel ausgerichtet und es funktioniert in seiner Gesamtheit bei weitem nicht so beeindruckend, wie bei den angesprochenen Werken Lost Highway, Fight Club und Die üblichen Verdächtigen. Nichtsdestotrotz ist es höchst interessant, langsam hinter die Zusammenhänge zu steigen. Viele Hinweise werden einem beim ersten Sehen nicht bewusst, offenbaren sich aber bei einem zweiten Betrachten. Mit einigen Elementen muss man sich auch etwas länger auseinandersetzen. Dies wird an dieser Stelle jedem empfohlen. „Revolver“ ist kein Werk, welches man nach dem Anschauen beiseite legen sollte, um zum nächsten Film oder etwas anderem überzugehen. Dann wird man keinen Gefallen daran finden. Und das ist wohl auch ein Grund für die miserablen Kritiken, welche es teilweise gehagelt hat. „Revolver“ erfordert es, dass man das Gesehene rekapituliert und sich die verschiedenen inhaltlichen Ebenen vor Augen hält.
Ein Problem ist dabei aber, dass immer wieder der Stil über die Substanz des Films gestellt wird. Gerade wenn man sich sehr auf den Inhalt konzentrieren muss, erweist sich das bisweilen als störend. Immer wieder hat der Zuschauer den Eindruck, dass an dem Zusammenspiel von perfekt ausgeleuchtetem Setting, Schnitt und Musikuntermalung während der Produktion mehr Interesse bestand, als an dem Inhalt und an seinen Schauspielern. Arrangierte und ins Bild schwebende Untertitel unterstreichen diesen Eindruck. Ähnlich wie Quentin Tarantino in Kill Bill Vol. 1 wird zudem in einer Phase auf einen Comic zurückgegriffen. Während dies bei Tarantino in einem durchgängigen Abschnitt stattfindet, der besonders brutal ausgefallen ist (und durch den Comicstil entschärft wird), wird bei „Revolver“ phasenweise dauernd zwischen Comic und Live Action hin und her geschnitten. Die Personen verwandeln sich förmlich immer mal wieder kurz in Comicfiguren. In einer Szene dient dies auch dazu, einen besonders brutalen Shootout zu illustrieren (mit anschließendem Kamerablick durch das Loch im Kopf des Opfers) und diesem etwas von seiner Brutalität zu nehmen, größtenteils hat dieser Inszenierungsstil aber keine Bedeutung. Optisch ist dieses Vorgehen durchaus ansprechend, doch es lenkt bisweilen einfach zu stark ab. Der exzellent ausgewählte Soundtrack muss sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. Er tritt in den richtigen Momenten in den Vordergrund, um dann, sobald es wieder nötig ist, wieder im Hintergrund zu verschwinden.
Problematisch ist auch der fast dauernd Monologe haltende und seine Gedanken offenbarende Charakter von Jason Statham. Schon dem Beginn werden vier Zitate von Persönlichkeiten wie Caesar oder Machiavelli vorangestellt, die dann auch immer wieder textlich eingeblendet oder von den Figuren geäußert werden. Dies ist noch gar kein Negativpunkt, sind die - wenn auch sehr penetrant eingesetzten – Zitate (wie z.B. “You can only get smarter by playing a smarter opponent.” Oder “The greatest enemy will hide in the last place you would ever look.”) wichtig für die Entschlüsselung. Allerdings reichten die Zitate prominenter Persönlichkeiten scheinbar nicht. Es sollten eigene erschaffen werden. So darf der Protagonist eben unentwegt seine Gedanken offenbaren und aus dem Off die jeweilige Situation kommentieren und analysieren oder (stille) Repliken auf Äußerungen des Gegenübers von sich geben. Das erinnert leider ein bisschen an die Glückskeksweisheiten, die man auch nach dem Essen beim Chinesen um die Ecke bekommt.
Dieser Kritikpunkt kann exemplarisch für den gesamten Film gesehen werden. Alles, was Ritchie einbringt – die Weisheiten, die innovative Inszenierung, etc. – ist für sich gesehen exzellent, wird aber viel zu penetrant eingesetzt. Dabei zeigt sich sein inszenatorisches Talent fast durchweg. Szenen, wie die Geschehnisse rund um den verunsicherter Killer, der wie eine Art Gegenentwurf zu Vinnie Jones’ Rolle in Snatch daher kommt, wirken zu Beginn noch etwas unpassend, doch ihre Bedeutung erschließt sich nach und nach. So wird der Charakter gegen Ende sehr wichtig. In einer der besten Szenen hat er einen exzellenten Auftritt in einem Restaurant, dem noch ein weiterer, nicht minder gelungen inszenierter, folgt.
Es gibt einige solcher exzellent gefilmten Szenen. Eine weitere, die sich besonders ins Gedächtnis brennt, findet sich gegen Ende. Protagonist Jake Green fährt in einem Hotelaufzug nach unten. Zwischen dem 12. und 14. Stock (in vielen Hotels gibt es keinen 13. Stock) stoppt der Aufzug und Green wird unerwartet mit jemandem (dessen Identität hier aus Spoilergründen nicht genannt wird) konfrontiert. Der imaginäre 13. Stock ist ein sehr gutes Beispiel für die Symbolik, die sich an vielen Stellen findet. Hier werden beim Zuschauer ein paar Kenntnisse vorausgesetzt. So sollte man die Schachregeln kennen und auch, wann Yakuza ihren Finger verlieren können.
Darstellerisch überzeugt „Revolver“ weitestgehend. Vor allem Ray Liotta gibt eine beeindruckende Vorstellung als Mafiaboss, die einen fast an Glanzzeiten in GoodFellas erinnert. Daneben ist es erstaunlicherweise trotz der kleinen Rolle die Performance von Mark Strong (Syriana, Oliver Twist), die am nachdrücklichsten in Erinnerung bleibt. Outkast-Sänger André Benjamin kann seine solide Leistung aus Vier Brüder bestätigen, Mafia-Film-Spezialist Vincent Pastore („Die Sopranos“, GoodFellas, Carlito´s Way) agiert gewohnt überzeugend. Seine Besetzung kann durchaus als Zitat auf diese Werke verstanden werden. Die einzigen größeren Abstriche muss man leider bei Hauptdarsteller Jason Statham machen. Mit „Fast-Vokuhila“ auf dem Kopf und Schnauzbart im Gesicht unterscheidet er sich sehr von seinen sonstigen Auftritten. Das kann aber nicht über die bisweilen etwas hölzern wirkende Performance hinwegtäuschen. Es sei aber auch gesagt, dass er in einigen Szenen (zum Beispiel die erwähnte Fahrstuhlszene) ganz hervorragend spielt.
„Revolver“ ist schwer zu bewerten. Ihm fehlt es an der Leichtfüßigkeit der ersten beiden Filme seines Regisseurs. Teilweise will dieser zu viel und verrennt sich dabei ein wenig. Die Story ist keine einfache Kost und bei der ersten Sichtung bleiben wohl bei den meisten Zuschauern einige Fragen offen. Erst mit einer Nachbetrachtung in Form von gedanklicher Auseinandersetzung und vielleicht einer zweiten Sichtung gewinnt „Revolver“ merklich. Von der Katastrophe, zu der ihn ein Großteil der britischen Boulevardpresse gemacht hat (die Gründe lagen dabei aber - zumindest teilweise – bei einem kleinen PR-Skandal 1), ist er auf jeden Fall meilenweit entfernt. Dafür ist er viel zu interessant, zu klug und der Umgang mit verschiedenen Stilmitteln zu optisch ansprechend.
1 Die britische Werbung zitierte groß ein angebliches - sehr lobendes und euphorisches - Zitat („Brilliant... Guy Ritchie at its best!“) der britischen Zeitung „Sun“. Dieses Zitat fand sich allerdings nirgendwo in der Zeitung, sondern nur der Online-Ausgabe. Dort stammte das Zitat auch nicht von einem Mitarbeiter der Zeitung oder der Online-Redaktion, sondern war wiederum ein Zitat eines Pressetextes, der mit dem Film beauftragten PR-Agentur. Im Endeffekt hat sich die PR-Agentur also selbst zitiert. Weite Teile der englischen Presse reagierten darauf sehr säuerlich, berichteten mehrfach negativ über den Vorgang und ließen kein gutes Haar mehr an dem Film. Ein Zusammenhang darf vermutet werden.