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    Kill Bill Vol.2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Kill Bill Vol.2
    Von Carsten Baumgardt

    Ein halbes Jahr spannte Meisterregisseur Quentin Tarantino seine Fans auf die Folter. Mit dem actiongeladenen Rache-Epos „Kill Bill Vol. 1" meldete sich der „Pulp Fiction"-Macher nach sechsjähriger Schaffenspause furios auf der Leinwand zurück. Zweifel an seiner künstlerischen Integrität pulverisierte der 41-Jährige mit seinem optisch visionären, ultrabrutalen Todesballett. Da die insgesamt 247 Minuten für einen Film in der Kinoauswertung zu viel gewesen wären, zerstückelte er „Kill Bill” in zwei Teile. Mit „Vol. 2” sprengt Tarantino wieder einmal die Erwartungshaltung des Publikums. Die zweite Filmhälfte könnte im Vergleich zur überragenden ersten unterschiedlicher kaum sein. Tarantino setzt völlig andere Prioritäten: Weg von der überbordenden, splatter- und comichaften Gewaltdarstellung, hin zu mehr Realismus und einer erstaunlichen Dialoglastigkeit, die dem Epos mehr Tiefe verleiht und sich enger an den bisherigen Werken des Amerikaners orientiert. Leider hat „Vol. 2“ verteilt auf 136 Minuten einige Längen zu bieten und ist nicht mal so halb cool wie „Vol. 1“.

    Die Rache der Braut (Uma Thurman) ist noch lange nicht vollendet. Bisher konnte sie erst Verdita Green (Vivica A. Fox) und O-Ren Ishii (Lucy Liu) von ihrer Todesliste streichen. Elle Driver (Darryl Hannah), Budd (Michael Madsen) und dessen Bruder Bill (David Carradine) sollen folgen. Nach einer kurzen Rückschau zur bluthaltigen Brautgesellschaft, die Bill von seinem Todeskommando ausradieren lässt, führt die Geschichte die Braut zu Budd, den sie als nächsten von ihrer To-Do-Liste tilgen will. Doch der heruntergekommene Alkoholiker, der als Rausschmeißer in einer Bar sein Geld verdient, erweist sich als überraschend gerissen. Er trickst die Braut aus und jagt ihr eine Ladung Steinsalz in die Brust. Anschließend begräbt Budd die Malträtierte lebendig auf dem Friedhof...

    Mit „Kill Bill Vol. 1” schwor Tarantino zwangsläufig eine Gewaltdebatte herauf. Der rasante, genial montierte und mit perfekter Filmmusik unterlegte Mix aus seinen Lieblingsgenres Eastern, Spaghetti-Western, Martials-Arts, Samurai-Movie und Blaxpoitation war eine tiefe Verbeugung vor seinen Vorbildern, sparte aber nicht mit expliziten Gewaltszenen. Umherfliegende Gliedmaßen und eine Flut von (Kunst)Blut attackierten die Sehgewohnheiten des Mainstreampublikums. Bei Kritik wie Öffentlichkeit (70 Mio Dollar US-Einspiel; 1,2 Mio deutsche Besucher) wurde die dialogreduzierte Kick-Ass-Action begeistert aufgenommen. Bei „Vol. 2“ war es also nur noch die Frage, ob Tarantino über gut vier Stunden Gesamtspielzeit nicht irgendwann die Luft ausgeht.

    Ying und Yang. Zwei Teile eines Ganzen. Das ist eine Sichtweise, die sich bei „Kill Bill“ geradezu aufdrängt. Wer erwartet hat, dass Quentin Tarantino in „Kill Bill Vol. 2“ genau dort weitermacht, wo er in „Vol 1.“ aufgehört hat, wird enttäuscht. Inhaltlich und stilistisch unterscheidet sich die zweite Hälfte dieses geteilten Films enorm von der ersten. Positiv fällt auf, dass Tarantino seinem Rache-Feldzug einen geschickten charakterlichen Unterbau verpasst, der in „Vol. 1“ nur ansatzweise zu erahnen war. Warum Bill, der gewiss kein Kind von Traurigkeit ist, überhaupt zu dieser Tat fähig war, wird schlüssig aufgeklärt. Daneben werden weitere Hintergründe der Story erhellt - nicht nur der richtige Name der Braut.

    Der in „Vol. 1“ nur schemenhaft zu erkennende David Carradine rückt nun neben Uma Thurman in den Brennpunkt. Bill bekommt Tiefe. Er ist zwar mies und durchtrieben, aber trotzdem faszinierend. Bill ist ein Schweinehund, aber einer mit Charakter. David Carradine strahlt in seiner Rolle die größte Coolness aus, die „Vol. 2“ zu bieten hat. Der 67-Jährige weist eine starke Präsenz auf, die den Film vorantreibt. Ebenbürtig ist Uma Thurman, die nach ihrer physischen Tour-de-Force in „Vol. 1“ nun weit weniger körperlich aktiv werden, sondern mehr von ihrer schauspielerischen Klasse aufbieten muss. Das Zusammenspiel von Carradine und Thurman funktioniert hervorragend. Immer dann, wenn beide gemeinsam auf der Leinwand zu sehen sind, hat dies Ereignischarakter. Der allerdings auch nötig ist. Denn die Episoden mit Michael Madsen und Darryl Hannah sind nett anzusehen, bieten aber auch einigen Leerlauf. Tarantinos Wahn, seine Lieblingsschauspieler unterzubringen, wirkt sich hier nicht unbedingt positiv aus. Der aufgedunsene Michael Madsen ist natürlich immer sehenswert, aber in der Rolle des versoffenen Budd steckt nicht allzu viel Substanz. Wesentlich offensichtlicher wird Tarantinos Selbstverliebtheit in der Szene mit seinem erklärten Lieblingsschauspieler Michael Parks. Dessen Rolle als Esteban Vihaio (in Vol. 1 war er als Earl McGraw zu sehen) kurz vor Ende ist weder gut noch nötig. Sie ist schlicht überflüssig. Ab und an treibt es Tarantino mit der Huldigung seiner Idole ein wenig zu weit.

    Auch stilistisch tritt der passionierte Filmfreak gehörig auf die Bremse. Die geschickten Zeitsprünge behält er ab, ansonsten reduziert Tarantino alle Stilmittel des ersten Teils erheblich. Das raubt „Vol. 2“ leider die visionäre Kraft im Vergleich zu „Vol. 1“. Was besonders negativ auffällt, ist die ereignislose Auswahl der Musik. Tarantino überlies seinem Busenkumpel Robert Rodriguez („From Dusk Till Dawn“, „Irgendwann in Mexico“) die Aufgabe, sich an dem Score zu versuchen. Dieser ist Mariachi-inspiriert, bestenfalls nett, aber im Grunde belanglos – verglichen zu allen anderen Tarantino-Werken. Nach einigen Längen dreht „Kill Bill Vol. 2“ zum Ende hin noch einmal auf. Das Finale zwischen der Braut alias Beatrix Kiddo und Bill fällt erfreulicherweise actionmäßig kurz und schmerzhaft aus. Eine weise Entscheidung. Der Showdown von „Vol. 1“ wäre sowieso nicht zu toppen gewesen. Nachdem sich beide vorher im Dialog - und hinter ihrer gemeinsamen Tochter B. B. (Perla Haney-Jardine) versteckend - belauert haben und Carradine in einer der besten (und zitierfähigsten) Szenen des Films über Superman philosophieren durfte, kommt es zum unausweichlichen Ende. Kill Bill!

    Hat sich die Zerstückelung in zwei Teile künstlerisch gelohnt? Kommerziell natürlich auf jeden Fall, aber mit ein bisschen guten Willen hätte sich „Kill Bill“ auch auf einen gut drei- oder dreieinhalb-stündigen Film schneiden lassen. Wobei die Längen eindeutig auf das Konto von „Vol. 2“ gehen. „Vol. 1“ bietet exakt 30 Sekunden Leerlauf („Die Zehen-Wiederbelebungsszene“) - mehr nicht. Neben der erfreulichen Vertiefung der Charaktere geht „Vol. 2“ leider die Brillanz und Eleganz seines Vorgängers ab. Die zweite Hälfte ist immer noch starkes Kino von einem Regisseur, der fast alle Register zieht, aber es bleibt der leicht fade Nachgeschmack, dass „Vol. 1“ einfach besser und vor allem cooler war.

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