Mein Konto
    Die wunderbare Welt des Gustave Klopp
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die wunderbare Welt des Gustave Klopp
    Von Andreas R. Becker

    Aufblende. Ein erdiger Schützengraben, im Hintergrund Stacheldraht, Sandsäcke und Panzersperren, halb versunken in der Erde. Die Wucht einschlagender Raketen zerschneidet die Stille, einige Soldaten mit verschmutzten Gesichtern laufen in Zeitlupe durch das Feld und schießen dabei. Gus ist der Name einer der Soldaten. In einem Anfall verzweifelten Wahns bricht er aus der eben gewonnenen Deckung hervor und feuert besinnungslos auf einen heranrollenden Panzer, bis das Magazin seines MG’s entleert ist. Wie betäubt bleibt er stehen. Gleich wird es vorbei sein. Doch dann öffnet sich die Luke des Panzers. „Heyho! Was ist mit meiner Pizza Vier-Käse?!“ Ein Mann mit Halbglatze sieht ungeduldig aus dem heruntergekurbelten Fenster seines Autos auf, in den Schalter des Pizza Drive-Ins. Dort sitzt Gus, der halb benommen zurückstarrt, wortkarg einen hellbraunen Karton hinausreicht und kurze Zeit später von einem anderen wütenden Mann gekündigt wird. Nein, dies ist kein Ausschnitt aus „James Ryan vs. Pizza Hut“, sondern einer aus der schrägen Komödie „Narco“. Im Spielfilmdebüt der Franzosen Tristan Aurouet und Gilles Lellouche ist der Protagonist mit einem besonderen Handicap gestraft, das ihn nicht nur seinen Job als Pizzaverkäufer kostet, sondern auch jeden anderen, den er hatte und haben wird. Gustave Klopp, oder kurz Gus (Guillaume Canet), ist Narkoleptiker und wird als solcher von plötzlichen Schlafattacken heimgesucht, die ihn ebenso unvorhersehbar wie unaufhaltsam niederstrecken.

    Egal, ob in der Disco, bei der Hochzeit oder während einer heißen Liebesnacht – Gus ratzt einfach weg und fällt um wie ein Stein. Doch in seinen Träumen wird er zum großen Abräumer. Und zwar nicht nur auf dem Kriegsschauplatz, sondern auch als skywalkerscher Sternenheldverschnitt oder Möchtegern-Neo im langen schwarzen Ledermantel. Paméla (Zabou), ihres Zeichens die Angetraute des Traumhelden, hat nach anfänglicher Leidenschaft offenkundig das (sexuelle) Interesse an letzterem verloren, ebenfalls das Verständnis für seinen bedauernswerten Zustand. Stattdessen zieht sie es vor, ihn herum zu kommandieren. Dann gibt es da noch Lenny (Benoît Poelvoorde). Lenny ist Gus’ bester Kumpel, sein Herz schlägt für Karate und Jean-Claude Van Damme, sonst für eher wenig, und ab und zu hat er noch ein paar besonders schlaue Ratschläge für seinen Busenfreund in petto. Weil alle anderen Jobs nicht in Frage kommen, beschließt Gus schließlich aus der sprichwörtlichen Not eine Tugend und aus seinen Tagträumen Comics zu machen. Die sind allerdings so gut, dass sie nicht nur das Interesse, sondern auch den Neid und die kriminelle Energie Dritter auf den Plan rufen. Und die entwickeln nicht nur fatale Auswirkungen auf Gus’ Privatleben, sondern auch auf seine Gesundheit...

    „Frankreichs Antwort auf The Big Lebowski“. So steht es einigermaßen großspurig auf dem Cover der DVD und steckt die Erwartungen eines Coen-Freunds nicht gerade gering. In der Tat sind die Ähnlichkeiten zwischen Gus und dem Dude durchaus erkennbar. Die etwas gammelige Langhaar-und-Vollbart-Optik, umrahmt von schlabbrigen Klamotten, ruft bereits Assoziation auf den Plan. Ein gesunder Phlegmatismus verbindet die beiden Antihelden darüber hinaus ebenso wie ein tragisch-komisches Ereignis: Wie Lebowski es mit denen von Donny tut, entleert auch Gus die sterblichen Überreste seines Vaters aus einer Urne am Strand und verteilt die Asche quer auf dem gelben Sand.

    Gus’ Comics, als einem Angelpunkt der Geschichte, geben bereits den formalen Anstrich des Films. Die Figuren sind durch die Bank, manchmal mehr, manchmal weniger, überzeichnet dargestellt und wandeln durch eine comichafte Bilderwelt, deren ansprechende Ästhetik und Schnitt stellenweise an Die fabelhafte Welt der Amelie erinnern. Gipfel der charakterlichen Skurrilität ist ein Eiskunstlaufpärchen, das nach einem Kindheitstrauma seinem unerbittlichen Trainer den Kopf mit einem Schuh spaltete, um danach in der Branche der Berufskiller Karriere zu machen. Guillaume Canet (The Beach), übrigens verheiratet mit der schönen Deutschen Diane Kruger (Troja, Das Vermächtnis der Tempelritter, Sehnsüchtig), die auch in „Narco“ als Statistin in einer Bar auftritt, kommt als Taugenichts Gus überzeugend trocken daher. Vor allem durch seine ständigen Schlafattacken, die ihn von einer auf die andere Sekunde in einen nassen Sack verwandeln, erzeugt er eine herrlich absurde Situationskomik. Seine Traumwelt ist dabei gespickt von zahllosen Hommagen an die (jüngere) Filmgeschichte, die durch originelle Übergänge mit der realen Welt verwoben werden – „Star Wars“ und die Matrix lassen herzlich grüßen. Zwar hat das Budget scheinbar nicht ganz für die Effektmaschinerie gereicht, die für Weltraumschlachten von Nöten gewesen wäre, das tut der Komik aber keinen Abbruch.

    Klingt soweit eigentlich alles gut. Ist es auch. Aber leider nur bis zur Halbzeit. Danach, so hat man das Gefühl, konnten sich die beiden Regisseure nicht mehr darauf einigen, was für einen Film sie eigentlich machen wollen. Denn was als originelle und temporeiche Komödie beginnt, versinkt dann in einem merkwürdigen Sumpf aus Ernsthaftigkeit und Dramatik, der auch die Nebendarsteller an die Grenzen der Glaubhaftigkeit führt. Da tauchen dann plötzlich Intrigen und Gemeinheiten auf, Krimi- und Dramaeinlagen, und man weiß nicht mehr so recht, was man noch witzig finden soll oder darf. Während viele Filme (American Beauty, „Matrix“ oder - völlig abgedreht und doch gelungen – „Bubba Ho-Tep“ bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, wie gut ein Genremix funktionieren kann, wirkt „Narco“ an diesem Punkt eher planlos und holprig. So auch die unpassend melancholisch-versöhnliche Auflösung, die den Zuschauer mit einem gedanklichen „Hä?!“ entlässt. Statt den bewusst oberflächlich-unterhaltsamen Stil vom Anfang weiter zu verfolgen, wird reichlich kitschige Lebensphilosophie der untersten Schublade ausgepackt. Da hilft auch der selbstironische Gastauftritt eines Jean-Claude Van Damme nichts mehr, der für seinen Jünger Lenny die Glaub-an-Dich-Suppe auf dem Herd der Liebe etwas zu heiß aufkocht. „Du bist doch ein Star für alle Menschen, die dich lieben.“ Au weia.

    Schade drum, muss man da letzten Endes also wohl sagen. Denn „Narco“ ist aufgrund der schönen Kamera und der flotten und witzigen ersten Hälfte sicherlich sehenswert. Die selbstgesteckte Messlatte „Lebowski“ – und damit der Status des Kultfilms – sind aber leider wegen fehlender Beherrschung der dramaturgischen Handwerkskunst um Meilen verfehlt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top