Die erste Zusammenarbeit zwischen Regisseur John Madden und seiner Hauptdarstellerin Gwyneth Paltrow stellt für beide den bisherigen Höhepunkt ihrer Karrieren dar. Mit der ungemein charmant erzählten Liebeskomödie Shakespeare In Love entzückten sie bereits 1998 ihr Publikum und konnten nebenbei noch sieben Oscars (u.a. für Paltrow als beste Darstellerin) einheimsen. Nun hat sich das ehemalige Dream-Team wieder zusammengetan, aber statt an leichter Unterhaltung haben sie sich diesmal an der Verfilmung eines Theaterstücks von David Auburn, dem Demenz-Liebesdrama mit mathematisch-physikalischen Einschlägen, „Der Beweis“, versucht. Dabei haben sie sich aber gewaltig verhoben, das Ergebnis ist ein überemotionalisiertes Rührstück, das die Krankheit seines Protagonisten auf ekelhafte Weise ausschlachtet. So schließt „Der Beweis“ eher an Maddens katastrophalen Fehlschlag Corellis Mandoline als an seinen Shakespeare-Megaerfolg an.
Fünf Jahre lang hat sich Catherine (Gwyneth Paltrow, Besessen, Sylvia) aufopfernd um ihren an einer schweren Form von Demenz erkrankten Vater, den weltberühmten Mathematiker Robert (Anthony Hopkins, Instinkt, Bad Company), gekümmert. Nun ist Robert gestorben und Catherine muss mit ihrem Leben und ihrer Angst, selbst auch krank zu werden, wieder alleine klar kommen. Unterstützt wird sie dabei von Roberts ehemaligem Student Hal (Jake Gyllenhaal, Donnie Darko, Brokeback Mountain), der in den Unterlagen, die Robert in seinen lichteren Momenten verfasst hat, eine geniale Formel vermutet und Catherines Schwester Claire (Hope Davis, American Splendor, Arlington Road), die ihre Zurückhaltung bei der Pflege des Vaters an Catherine wieder gutmachen will. Als Hal wirklich ein Notizbuch mit einem bahnbrechenden Beweis (Proof) findet, behauptet Catherine, sie habe ihn selbst verfasst. Zunächst glaubt ihr niemand und dann fängt Catherine auch noch an, selbst an ihrem Verstand zu zweifeln…
Eigentlich geht es in dem Stück um die Differenzen zwischen der Wissenschaft und dem wahren Leben, dem Unterschied von Glauben und Beweisen und Catherines Umgang mit der Angst vor dem „verrückt werden“. Zumindest die ersten beiden Konflikte sind natürlich eher didaktischer Natur und Autor Auburn hat sie so auch in meist geschliffene, stimmige Dialoge verpackt. Aber Regisseur Madden scheint sich für diese Themen nicht ernsthaft zu interessieren und hat „Proof“ stattdessen in eine überemotionalisierte, superkitschige Soap-Opera mit oberflächlichem Anspruch verwandelt. Es ist wichtig zu zeigen, dass Catherine dem Tod ihres Vaters mit gemischten Gefühlen gegenübersteht, sie auch ein wenig Erleichterung verspürt, aber Madden sucht sich stets die „größte“ Möglichkeit, die Emotionen zu präsentieren und lässt Catherine so auf der Beerdigung vor einer vollen Kirche “I´m glad, he´s dead!“ vom Rednerpult herunter schreien. Das raubt der Geschichte nicht nur jegliche Ernsthaftigkeit, sondern fängt auch relativ schnell an, richtig zu nerven. Im Zusammenhang mit dieser Emotionalisierung steht auch der verwerfliche Umgang des Films mit Roberts Demenz-Krankheit. Wenn die Frage “Tickt er gerade richtig oder ist er gerade verrückt?“ für einen Hollywood-Zuckerwatte-Thrill ausgeschlachtet wird, ist das schon recht eklig. Aber wenn der Film jeden pragmatischen Umgang mit der Krankheit verurteilt und stattdessen propagiert, dass es nur Liebe bedarf, um der Sache Herr zu werden, ist das mehr als fatal. Hier wird jeder, der sich von einer medizinischen Seite nähert, als schlechter oder zumindest schwacher Mensch abgestempelt und das ist einfach nicht akzeptabel.
Während Anthony Hopkins nur routiniert sein Programm abspult und Jake Gyllenhaal sogar überraschend blass bleibt, überzeugt vor allem das Zusammenspiel der ungleichen Schwestern Gwyneth Paltrow und Hope Davis. Paltrow spielt als eine Mischung aus dem üblichen Cosmo-Girl und dem ungewohnten Mathe-Geek, für die not boring schon das größte Kompliment ist, vorsichtig gegen ihr Image an. Als Claire versucht, ihrer Schwester ein neues Shampoo anzudrehen, das Haare lebendiger aussehen lässt, erwidert Catherine nur, dass Haare doch eh tot seien – die leichte, aber amüsante Ironie eines Hollywood-Stars, der nebenbei immerhin als Estée-Lauder-Model jobbt. Noch deutlicher wird dieses Spiel mit der eigenen Außenwirkung, wenn Catherine sagt: Eigentlich lese ich Cosmopolitan, die Mathebücher stehen da nur aus Imagegründen.“
Inszenatorisch hat Madden noch nie viel gerissen, weshalb es für Shakespeare In Love berechtigterweise auch keinen Regie-Oscar gab, aber auch in diesem Bereich ist „Proof“ ein neuer Tiefpunkt seiner Karriere. In kaum einer Sequenz kann er die Theater-Herkunft des Stoffes verheimlichen. Die fast nur aus Dialog-Szenen bestehende Geschichte wird mit den immer wieder gleichen Kameraeinstellungen und –schwenks absolut monoton-einfallslos erzählt. Eine filmische Ebene, die den Kinofilm von einer Bühnenversion des Stückes abheben würde, fehlt so völlig. Wenn man sich Gwyneth Paltrow, Hope Davis und Anthony Hopkins für seinen Film ins Boot holt, kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass es schauspielerische Leckerbissen zu bewundern geben wird. Aber irgendetwas hätten auch die anderen Beteiligten zum Film beitragen dürfen – so reicht es vorne und hinten nicht, als dass es sich lohnen würde, 100 Minuten und sieben Euro Eintritt für „Proof“ zu opfern.