Bringt sie nur raus! Die ehrlichen, ambitionierten und selbstbewussten American Independents. Wo war denn bitte schön „American Splendor“ in den deutschen Kinos? Haben wir ein Glück, dass wenigstens „The Station Agent“, der Debütfilm des Autors und Regisseurs Tom McCarthy, einen Starttermin bekommen hat. Wäre nämlich tierisch schade, sich diesen zugegebenermaßen kurzen, aber wahrlich herzlichen Film über Freundschaft, Trauer und Züge entgehen zu lassen. Außerdem: Welcher Film hat denn einen kleinwüchsigen Star mit dem Charisma von Cary Grant am Start?
Der einsame Finbar McBride (Peter Dinklage) erbt ein heruntergekommenes Eisenbahndepot irgendwo am Rande von New Jersey, wo sich der Zugliebhaber ganz seiner Leidenschaft hingeben kann, ohne sich von der breiten Öffentlichkeit wegen seiner kleinen Statur belästigen lassen zu müssen. Doch auch in einem Kaff bleibt so etwas nicht unbemerkt und das ist Finbars Glück im Unglück, denn die unerwarteten Begegnungen mit einer trauernden Malerin (Patricia Clarkson) und einem Hot-Dog-Verkäufer (Bobby Cannavale), scheinen den eisigen Panzer von Finbar abtauen zu können...
„The Station Agent“ (Gewinner des Besten Drehbuches beim Sundance Festival 2003) ist nun wirklich nicht „Willow“ (der Titelheld Warwick Davis war bei seiner Rolle in „Willow“ erst blutjunge 18 Jahre alt und ist in allen drei Harry-Potter-Filmen zu sehen. Sein neuestes Projekt: Douglas Adams „The Hitchhiker's Guide to the Galaxy“ an der Seite von John Malkovich und Sam Rockwell), denn Peter Dinklage schafft es, seinen Außenseiter-Charakter mit einer Präsenz auszustatten, die beispiellos ist und nur noch übertroffen wird, durch eine der trockensten Darstellungen seit Langem – die sich durchaus mit Billy Bob Thorntons Ed Crane in „The Man Who Wasn't There“ messen kann. Überhaupt sind die schauspielerischen Leistungen an erster Stelle zu erwähnen. Von alten Hasen, wie Patricia Clarkson, bis hin zu Newcomern wie Michelle Williams, entsteht mit der Besetzung ein brillantes Potpourri aus warmen Charakteren und die machen „The Station Agent“ zu einem absoluten Schauspielerfilm. So bedarf es keinem komplizierten Plot, denn die Figuren sind sympathisch genug und es reicht dem Zuschauer vollkommen aus, sie zu beobachten, sich die Geschichten anzuhören, die sie zu erzählen haben und ab und zu herzlich mit ihnen zu lachen.
Patricia Clarkson, die schon seit langem auf Independents abonniert wird („Welcome to Collinwood“, „Pieces Of April“, „The Pledge“), ist eine Offenbarung und zeigt unübertroffen einen gelungenen Spagat zwischen superkomisch und herzzerreißend. Aber auch Bobby Cannavales zeigt seinen nervtötenden, kindlichen Charakter Joe mit einem Esprit, dass es einem locker die Schuhe auszieht vor Sympathie. Leider ist die Bibliothekarin Emily an sich ein Freund zu viel in der Geschichte, aber Michelle Williams („Dawson's Creek“) verkörpert hier, bisher untypisch, viel Sensibilität und Sinnlichkeit. Ihre Beziehung zu Finbar ist, wie so manches in diesem Film, angenehm heruntergekocht und unaufgeregt und hält trotzdem noch die eine oder andere Überraschung bereit, sobald man die Figuren besser kennen gelernt hat.
Das alles zu verdanken haben wir dem Schöpfer dieser Geschichte, Tom McCarthy, der eigentlich ein Theatermann ist und somit nicht überraschend, ein schnörkelloses visuelles Konzept vorlegt und außerdem scheinbar furchtlos langen Sprechpausen gegenübersteht. Die meiste Komik entsteht dann nämlich aus der Kombination von Script, Führung der Schauspieler und dem Rhythmus des Ganzen und darin scheint McCarthy ein Naturtalent zu sein. Wir können also hoffen, dass wir von diesem Talent noch mehr auf die Leinwand bekommen. Allzu schwierig scheint es ja nicht zu sein, wenn man in „Indiewood“ (sprich: Sundance) entdeckt wird. Viele der jungen und spritzigen Talente wurden nach ihrem ersten Auftritt dort zu Höherem berufen: Da war zum Beispiel ein gewisser Steven Soderbergh, der 1989 mit „Sex, Lies And Videotape“ den Weg für den neuen amerikanischen Independentfilm ebnete. 1992 war „Reservoir Dogs“ zwar nur nominiert, aber der clevere, vorbildhafte Gangsterstreifen war für seinen Macher, Quentin Tarantino, der erste Schritt zur Unsterblichkeit. „Clerks“ von damals-Debütant Kevin Smith räumte 1994 nicht nur die Filmemacher-Trophäe ab, sondern wurde auch für den Großen Preis der Jury nominiert. Selbstverständlich erinnern wir uns alle an den Wackelkamera-Horror von „The Blair Witch Project“, welcher in Sundance 1999 für eine Million Dollar verkauft wurde und dann mal locker nebenbei weltweit über 140 Millionen einspielte. Und dann wäre da natürlich noch anfangs erwähnter Doku-Spielfilm „American Splendor“, über das gleichnamige Comic und das Leben seines mega-zynischen Schöpfers Harvey Pekar. Auch dafür ging der Große Preis der Jury über den Tisch.
Schade, dass für „The Station Agent" nur das Drehbuch ausgezeichnet wurde, doch vielleicht liegt es daran, dass der Film bei weitem nicht perfekt ist. Denn obwohl zunächst alles richtig gemacht wird, indem der dünne Plot durch die clevere, oftmals witzige und vor allem detailliebende Einführung der Charaktere übermalt wird, hat man später das Gefühl, als fehle ein anständiger dritter Akt. Der Zuschauer ahnt zwar, dass den Figuren noch eine entscheidende Prüfung bevorsteht, doch man hofft, dass es in diesem Film um mehr geht, als simple Läuterung. Und da ansonsten die Erwartungen des Zuschauers ständig umlaufen werden und dies eigentlich auch gut funktioniert, fühlt man sich dann ein wenig in die 80er zurückversetzt, als McCarthy seine Figuren über ihre ganz persönlichen kleinen und großen Klippen schickt. Dennoch können wir uns freuen, denn es bleibt kein schlechter Beigeschmack hängen und wir haben in diesem Film mal wieder einiges gelernt. Vor allem über Züge, Menschen und natürlich auch über uns selbst und unsere Vorurteile und das Peter Dinklage bis zum Umfallen sexy ist.