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    Der Dämon in mir
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Dämon in mir
    Von Claudia Holz

    Nach zwölf Jahren Gefängnis wird Walter (Kevin Bacon), der wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt wurde, wieder in die Welt entlassen. Walter versucht, ein normales und unauffälliges Leben zu führen, doch die Schatten der Vergangenheit schleichen sich immer wieder in die Gegenwart. Er zieht in ein kleines Apartment und arbeitet in einem Sägewerk, doch seine Umwelt begegnet ihm mit Misstrauen, Ablehnung und Hass. Bis er sich mit seiner Arbeitskollegin Vicki (Kyra Sedgwick) einlässt, die versucht, Walter so zu nehmen, wie er ist. Zwischen den beiden baut sich schnell Vertrauen auf und Walter gesteht Vicki sogar, weshalb er im Gefängnis gewesen ist und stößt bei Vicki auf großes Verständnis. Leider kann Walter jedoch die Angst nicht abschütteln, dass irgendwann seine latenten Impulse und Gefühle wieder ausbrechen, sollte er jemals wieder kleinen Mädchen näher kommen...

    Großartig gespielt, poetisch und einfühlsam inszeniert ist „The Woodsman“ von Nicole Kassell und außerdem ein besonders wichtiger Film. Immer wieder lässt sich in jüngster Zeit im Kino beobachten, wie gebrochene und wenig perfekte Menschen als wahre Sympathieträger, ja sogar Helden erzählt werden (siehe Monster von Patty Jenkins) und somit das Einfühlungsvermögen des Zuschauers um so mehr herausfordern, aber genau dadurch mit Authentizität, Ehrlichkeit und letztendlich Mut gewinnen. So auch versucht es dieser kleine Film mit einem intensiven und anrührenden Kevin Bacon, der in der Rolle des Walter einmal mehr seinen Facettenreichtum zeigen kann. Dabei schafft es Kassell, den Zuschauer mit Walter zu identifizieren, indem er ihn auf Schritt und Tritt verfolgen muss und so gezwungen wird, in den Kopf eines Kinderschänders zu blicken. Dadurch, dass Walter selbst nicht begreifen kann, weshalb er so geworden ist und warum er immer und immer wieder beim Anblick von kleinen Mädchen diese verhängnisvollen Gedanken hegt, bleibt der Zuschauer gespannt und angerührt an seiner Seite. Die Frage, die der Film stellt, ist also, wie unsere Gesellschaft solchen Menschen helfen kann und wie diese nach abgesessener Strafe wieder in selbige integriert werden können. In keiner Weise wird dabei irgendein fehlgeleiteter Voyeurismus bedient. Dabei ist die Figur des Walter ein kleiner Kompromiss, denn er hat seinen Opfern niemals Gewalt angetan. Wahrscheinlich hätte diese Tatsache den Zuschauer zu sehr abgeschreckt, Walter als ein unberechenbares Tier erscheinen lassen und eine Identifikation fast unmöglich gemacht.

    Am Anfang des Films stellt sich Walter immer wieder die Frage, wann er endlich wieder normal sein wird und eigentlich geht es genau um diese Definition. Denn was ist schon „normal“? Bei dem Versuch, sein Leben in geregelte Bahnen zu lenken, gerät Walter immer wieder in schwierige Situationen. So zieht er in eine Wohnung, die direkt gegenüber eines Kinderspielplatzes liegt. Nach und nach beschleichen Walter wieder merkwürdige Gedanken, doch er versucht sich verzweifelt dagegen zu wehren. Die Grundspannung des Films stützt sich natürlich darauf, dass wir nicht wissen, wann und ob Walter jemals wieder rückfällig werden wird. „The Woodsman“ ist eigentlich eine kleine Parabel auf das Thema, denn alle Personen des Films sind Symbole der Gesellschaft. Es kommt die Polizei zu Wort, personifiziert durch Detective Lucas (Mos Def), der Walter seit seiner Freilassung strengstens im Auge behält. Fast schon demütigend geht er mit Walter um und verurteilt ihn durch seine früheren Taten und dennoch tut er in diesem Moment nichts weiter als seinen Job.

    Als Walter dann schließlich Vicki kennen lernt, schöpfen wir Hoffnung, denn sie scheint frei von Vorurteilen. Vicki wurde selbst als Kind von ihren beiden Brüdern missbraucht und kann Walter trotzdem - oder genau deshalb - verstehen. Mit dem Mann seiner Schwester Annette, Carlos (Benjamin Bratt), hat Walter ein freundschaftliches Verhältnis, obwohl Annette ihren Bruder nicht mehr sehen möchte. Doch auch Carlos würde Walter nicht in die Nähe seiner Kinder lassen. Auch beobachtet Walter immer wieder einen fremden Mann vor seinem Haus, der wiederum die Kinder auf dem Spielplatz beobachtet. Hierbei entsteht eine merkwürdige Spannung, denn Walter scheint sich selbst und seine Vergangenheit darin zu sehen - und natürlich die Angst vor der Zukunft. Doch „The Woodsman“ bleibt nicht auf der Stelle und schafft es sogar, fast alle Charaktere herumzudrehen und die eigenen Vorurteile zu betrachten. Im Laufe der Geschichte scheint Walter seinem inneren Drang nicht mehr lange Stand halten zu können. Bald geht er wieder in Parks und spricht Kinder an. In einer der stärksten Szenen im Film wird er dann schließlich auf eine harte Probe gestellt. Er begegnet der kleinen Robin, die alleine im Park Vögel beobachtet...

    „The Woodsman“ ist ein sehenswertes Drama, nicht nur durch das mutige Thema, sondern vor allem durch ein Ensemble, das bewegt und eine lyrische Erzählweise, die auf einem soliden Drehbuch (Steven Fetcher und Nicole Kassell) basiert. Alle Charaktere sind lebendig und keinesfalls eindimensional. Die Kamera bleibt dicht an den Figuren und lässt in den Szenen mit Walter und Vicki sogar Leidenschaft in einer sonst kalten Welt entstehen. Auch erzählt Nicole Kassell symbolhaft ohne zu überladen. Fast alle Szenen werden mit nicht mehr als zwei Schauspielern auf einmal erzählt, was auf Walters Einsamkeit schließen lässt. In diesem Zwischenstadium, nach dem Gefängnis und vor einem „normalem“ Leben, kann Walter in keiner Gruppe agieren - von Familie gar nicht zu sprechen. „The Woodsman“ muss gesehen werden und es muss darüber gesprochen werden. Es ist ein Film über Vergebung und Akzeptanz und letzten Endes über die Menschlichkeit, die irgendwo zwischen Tätern und Opfern verloren gegangen ist.

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