Ein Elefant ist nicht zu übersehen, richtig? Man würde es bemerken, wenn man mit dem Elefanten unter einem Dach lebt oder in dieselbe Schulklasse geht wie er. Ein Elefant ist schon von weitem zu erkennen. Und trotzdem liegen am Ende des Tages dutzende tote Schüler in den Korridoren einer Highschool. Ist der Titel „Elephant“ eine Anspielung auf eine Gesellschaft, die so unsensibel ist, dass sie die Hinweise auf lebensgefährliche psychische Krankheiten beim Einzelnen ausblendet; wie ein Dickhäuter eine lästige Stechmücke?
Zuschauern des Films sei geraten, sich sämtliche Fragen, auf die sie gerne eine Antwort hätten, gar nicht erst zu stellen. Denn der Film liefert keine Antworten, auch keine Hinweise. Genau genommen wirft er nicht einmal Fragen auf. Die Kamera begleitet einfach einige Schüler am schlimmsten (letzten?) Tag ihres Lebens.
Der Film hat ein riesiges Problem: keiner der eingeführten Charaktere erfährt irgendeine Form von Entwicklung. Die Interaktion zwischen den Charakteren fehlt komplett, da viel zu viele Kameraeinstellungen darauf verwendet wurden zu zeigen, wie die Charaktere sich allein durch die Gänge der Schule bewegen oder sich mit ihren Hobbys beschäftigen, teilweise minutenlang. Nicht einmal die beiden Täter stechen in ihrer Präsentation hervor, sie sind einfach nur gleichgültige Killer. In meinen Augen macht diese Tatsache einen Film dysfunktional. „Elephant“ genießt jedoch einen Sonderstatus. Aufgrund der Thematik des Films sind hier die stereotypischen Charaktere halbwegs sinnvoll eingesetzt worden: Sie dienen als Identifikationsfiguren für den Zuschauer. Manchmal wird man glauben seine Kinder, Geschwister, oder sich selbst zu sehen.
Würde man das Wissen darüber, was man sich für einen Film gerade ansieht, ausblenden, würde man vor Langeweile einschlafen. Die Spannung des Films geht nur daraus hervor, dem Unvermeidbaren gegenüber zu stehen. Den Moment, in dem die beiden Jungen in Camouflage mit schweren Rucksäcken das Schulgebäude betreten, sehen wir mehrmals, aus verschiedenen Blickrichtungen und zu verschiedenen Zeitpunkten im Film. Man fragt sich immer wieder, wann es geschieht. Mein Schock, als die ersten Kinder durch Gewehrsalven von den Füßen gerissen werden war auch mit Erleichterung vermischt. Man hofft bis zum Ende auf Rettung, obwohl man genau weiß, was für Geschichten das wahre Leben schreibt.
Die Gewalt, die auf dem Bildschirm zu sehen ist, ist unglaublich intensiv. Aber ganz ohne die voyeuristische Energie, die sie in den meisten anderen Filmen hat. Mit anderen Worten: Sie wirkt realistisch.
Die einzigen Gefühle, die der Film in den Zuschauern auslöst sind die, die sie selbst mit hinein tragen. In meinem Fall war es die Erkenntnis, in der gleichen Realität zu leben wie die Menschen im Film, und die Gewissheit, dass der nächste Amoklauf kommen wird.
„Elephant“ wird niemanden kalt lassen. Der Film versagt jedoch narrativ auf ganzer Linie. Welche Daseinsberechtigung hat ein Film, der auf mehreren Ebenen nahezu unerträglich ist? -Er muss als Mahnmal dienen und eine Grundlage für Diskussionen bilden. Diskussionen, die bei null begonnen werden, ohne dass die üblichen Erklärungen heruntergeleiert werden. Ohne dass unangenehme Tatsachen ausgeblendet werden.