Warum ist auf diese Idee eigentlich vorher noch niemand gekommen? Will Smith spielt einen Superhelden! Wenn das nicht auf der Hand liegt, was dann? Immerhin ist der Megastar doch auch im wirklichen Leben schon beinahe ein Supermann. Womit wir gleich schon bei einem der vielen Probleme von Peter Bergs Action-Komödie „Hancock“ angelangt wären. Smiths sympathisch-monströses Ego und seine charismatische Ausstrahlung erdrücken die titelgebende Figur, die nie eine eigene Identität findet – Smith kann so abgefuckt und proletisch aufspielen, wie er will, das Publikum hat ihn trotzdem immer lieb. Doch daran allein scheitert „Hancock“ nicht. Vielmehr ruiniert die Unentschlossenheit, mit der Berg und seine Drehbuchautoren Vincent Ngo und Vince Gilligan zu Werke gehen, den Film, der nie auch nur einen Hauch von Rhythmus findet.
Ein Mann wacht auf einer Parkbank in Los Angeles auf. Die Whiskyflasche noch immer in der Hand, übel gelaunt und stinkend muss er mal wieder die Stadt retten. Schließlich ist der Obdachlose John Hancock (Will Smith), ein unverwundbarer Held, der schneller durch die Lüfte fliegt als Superman. Aber Hancock hat ein schweres Imageproblem: Die Bürger von L.A. hassen ihren Retter vom Dienst. Warum? Hancock ist ein verbittertes Riesen-Arschloch! Als er den erfolglosen PR-Berater Ray Embrey (Jason Bateman) davor bewahrt, von einem heranrasenden Zug zermalmt zu werden, will sich dieser auf besondere Weise erkenntlich zeigen. Er lädt Hancock nicht nur zum Abendessen mit Frau Mary (Charlize Theron) und Sohn Aaron (Jae Head) ein, sondern bietet ihm auch seine Dienste als PR-Manager an. Hancock soll sich ein besseres Image erarbeiten, damit ihn die Leute wieder lieb haben. Als erste Maßnahme muss der Sturkopf in den Knast gehen und sich seinen Verurteilungen wegen zahlreicher Sachbeschädigungen stellen. Rays Theorie: Nach kurzer Zeit steigt die Verbrechensrate so stark an, dass die Polizei von Los Angeles wimmernd angekrochen kommt, woraufhin Hancock mit verbesserten Manieren als strahlender Held wieder auf den Plan treten soll…
Auf dem Papier wirkt „Hancock“ wie ein todsicheres Ding: Hinter der Kamera steht Schauspieler Peter Berg (Von Löwen und Lämmern, Collataral), der vor allem mit seinem Polit-Actiondrama Operation: Kingdom zeigte, dass er auch das Regie-Handwerk beherrscht. Berg (Very Bad Things, Friday Night Lights, Welcome To The Jungle) ist der Protegé von Meisterregisseur Michael Mann (Heat, Insider, Miami Vice), der auch zu den Produzenten von „Hancock“ zählt. Doch damit nicht genug der geballten Kompetenz. Unter den Produzenten finden sich noch weitere illustre Namen wie Akiva Goldsman (Drehbuchautor von A Beautiful Mind, I, Robot, The Da Vinci Code - Sakrileg, I Am Legend), James Lassiter (Produzent von Das Streben nach Glück, Hitch, Ali), Jonathan Mostow (Regisseur von Terminator 3, U-571) und Will Smith höchstpersönlich. „Mit großer Macht kommt auch große Verantwortung!“ – das gilt nicht nur für Superhelden im Speziellen und Allgemeinen, sondern auch für das All-Star-Filmemacher-Team hinter dem eigentlichen Regisseur Peter Berg. Doch genau an dieser Stelle geht der Film den Bach runter.
„Berg was part of the team of filmmakers that came together to bring Hancock‘ to the screen. Each one – Smith, Lassiter, Mann, Goldsman, and Berg – brought something to the table that helped Hancocks’ journey to the big screen”, heißt es im Presseheft. Das mag ein hehrer Gedanke sein, doch Regisseur Berg ist nicht in der Lage, die unterschiedlichen Ideen und Konzepte zu einem schmackhaften Unterhaltungscocktail zusammen zu mixen, weil ihm zu viele Köche in die Suppe spucken. Es hat den Anschein, als ob jeder Kreative mindestens ein Genre beigesteuert hat, die sich wild abwechseln, ohne zusammenzupassen. Visuell erinnert „Hancock“ mit seiner ruckelnden DV-Kamera, die stets super nah am Geschehen klebt, beispielsweise stark an Michael Manns Gangster-Thriller Collateral – dass dieser ambitioniert-düstere Stil zu einer fluffig-leichten Action-Komödie offensichtlich nicht passt, ist aber offenbar niemandem aufgefallen. Dazu kommt, dass die Mehrzahl der verschiedenen Ebenen nicht einmal für sich betrachtet funktioniert. Der Ansatz, einen „Supermann“ als Alkoholiker und Arschloch (Originalzitat aus dem Film) zum Antihelden zu machen, hört sich zwar amüsant an (und war es in Die Unglaublichen auch), doch geschieht dies hier so überzogen und plakativ, dass dabei kaum Stimmung aufkommt. Wenn Will Smith gleich zu Beginn mit Whiskyflasche zu seinem Einsatz fliegt, wirkt das aufgesetzt schamlos und ist bestenfalls unfreiwillig komisch. Die meisten Lacher der Anfangsphase fußen darauf, dass Saubermann Smith schmutzige Wörter benutzt. Dieser „Tabubruch“ wirkt aber nur noch verlogener, wenn man bedenkt, dass der Film dem Publikum kurz darauf eine Hollywood-typische „Auch afro-amerikanische Penner können mit der Hilfe von lieben, netten, reichen, weißen PR-Beratern bessere Menschen werden“-Moral unter die Nase hält.
Erschwerend kommt hinzu, dass „Hancock“ zwar eine gefühlte Comic-Verfilmung ist, aber nicht auf einem solchen basiert. Der Charakter ist comichaft angelegt, hat aber keine Tradition und gewachsene Kultur im Rücken wie zum Beispiel Spider-Man, Der unglaubliche Hulk, X-Men oder Iron Man. Auf eine Erklärung der Superkräfte verzichtet Berg auch, stattdessen wird der Zuschauer gleich mit einer krachledernen CGI-Verfolgungsjagd überfahren. So bleibt dieser ominöse Hancock erst einmal sehr vage und konturarm. Fast schon tragisch ist die Art und Weise, wie die versammelte Filmemacherschaft dem Star-Vehikel mit dem vermeintlich größten Coup das Genick bricht: Da hat sich der Betrachter nach knapp der Hälfte der Laufzeit mit einer belanglosen Action-Komödie arrangiert, da reißt Berg das Ruder mit einem Donnerschlag herum und segelt fortan mit Volldampf rückwärts in die falsche Richtung. Von nun an regieren Düsternis und Drama in epischen Dimensionen, plötzlich soll charakterliche Tiefe erzeugt werden, doch hierfür fehlt es an Hintergrund und Substanz. Deshalb bleibt alles sehr beliebig. Die mäßigen Dialoge sind da keine Hilfe und dienen lediglich dazu, die Wartezeiten zwischen der Action zu verkürzen. Warum das Drehbuch mehr als eine Dekade in Hollywood erfolglos von Schreibtisch zu Schreibtisch wanderte und Warner den Film schlussendlich zu Sony weiterschob, leuchtet sofort ein. Wie platt es im mit Wolkenkratzern zugepflasterten L.A. des Films zugeht, verdeutlichen auch die einfachen, kleinen Botschaften, die auf das Publikum losgelassen werden: „Böser Hancock“ = versoffen + Drei-Tage-Bart, „Guter Hancock“ = frisch rasiert + ausgenüchtert und akkurat gekleidet. Das ist allzu plump.
Will Smith ist Will Smith ist Will Smith… egal, was er – mal abgesehen von Ali - spielt. Das zeichnet ihn als Box-Office-potenten Superstar aus und garantiert seinen Fans immer ein gewisses Maß an Unterhaltung. Doch sowohl die Figur als auch die Geschichte sind zu unausgegoren, um John Hancock als eigenständigen Charakter abseits des Stars akzeptieren zu können. Am meisten Spaß bereiten da noch einige flotte Oneliner in der ersten Filmhälfte oder kleine gewitzte Einschübe wie eine Szene mit US-Chefhexenjägerin Nancy Grace (offiziell: Legal Commentator bei CNN), die sich selbstironisch als eben solche vorführt. Charlize Theron (Monster, Im Auftrag des Teufels, Aeon Flux) kommt zunächst eine undankbare Aufgabe zu, darf sich später mit einer Extraportion Mascara aber doch noch von der Dominanz eines Will Smith freispielen. Angenehm fällt Jason Bateman (Operation: Kingdom, Juno, Smokin´ Aces) auf, der seine Kinokarriere 1987 in „Teen Wolf 2“ ausgerechnet als Superheld startete. Er gibt dem Film ein bisschen Bodenhaftung und Seele, selbst wenn sein Charakter ein gerütteltes Maß an Naivität nicht verbergen kann. Auf der Antagonistenseite sieht es dagegen übel aus. Ein ebenbürtiger Gegner fehlt „Hancock“ komplett. Am ehesten fällt diese Rolle noch Eddie Marsan (Happy-Go-Lucky, The Illusionist, Match Point) zu, der aber als Verbrecher-Knallcharge mit Captain-Hook-Hand bös‘ verheizt wird.
Fazit: Der als launiger Superhelden-Blues gedachte „Hancock“ scheitert letztlich auf ganzer Linie. Die zwischen diversen Genres mäandernde Action-Komödie trifft nie den richtigen Ton und wird durch die unnötige, weit über Gebühr beanspruchte fiebrige Handkamera von Tobias Schliessler (Dreamgirls, Welcome To The Jungle) und das schwache Skript vollends zu Fall gebracht. Macht aber – zumindest den Produzenten - nichts: Mit der Starpower eines Will Smith lässt sich schließlich jedes Thema an den Mann bringen. Deshalb werden sich die 150 Millionen Dollar Produktionskosten sicherlich trotzdem amortisieren.